Filmtipp

Barfly (1987)

Kurzbeschreibung: Charles Bukowskis teils autobiografische Geschichte handelt von der Poesie des Alkoholismus: die Bar als Refugium der Ausgeschlossenen. Faye Dunaway und Mickey Rourke verwenden ihre filigrane Mimik auf die Darstellung derangierter Visagen zweier Menschen, die im Suff eine eigentümliche Romantik finden.

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Was ist normal? Über diese immerwährende Frage lässt sich trefflich streiten. Aber trotz aller Metamorphosen, die Normalität bislang durchlaufen hat, trotz aller veränderter Definitionen und Anpassungen, so ist in der Geschichte menschlicher Zivilisation der arbeitslose Alkoholiker doch nie normal gewesen, sondern immer die Kontrastfolie zu den Arbeitenden, Leistenden. Für diese immerwährende soziale Spezies greift der gleichnamige Film die wunderbare Metapher „Barfly“ auf: Wie Fliegen, die im Umkreis einer Wärme- oder Nahrungsquelle kreisen, sitzen die heillosen Trinker um die Theke einer kleinen Kneipe herum. Von diesen Etablissments gibt es unendlich viele, kaum ein Film oder eine Serie mit Großstadtszenen kommt ohne sie aus. Zumeist sind sie Kulissen oder Nebenschauplätze, typischerweise gezeigt, wenn Polizeikommissare nach Informationen suchen, brisante Waren oder Informationen ausgetauscht werden sollen oder jemand für kurze Zeit untertauchen will. „Barfly“ porträtiert die amerikanische Bar als sozialen Mikrokosmos, als heimeliges Refugium der Outcasts und Verlierer.

Alkoholisierte Anarchie

Tragische Schicksale versammeln sich hier zuhauf und heben sich dadurch gegenseitig in ihrer Besonderheit auf. Nur selten ergeben sich aus den dort geschlossenen Bekanntschaften konstruktive Beziehungen. „She’s crazy.“ Die abschreckend gemeinten Worte des Barkeepers steigern noch das Interesse von Henry (Mickey Rourke) an der Frau (Faye Dunaway), die ihm an der Theke gegenübersitzt. Nur ein paar Drinks später flüchten Wanda Wilcox und Henry vor der Polizei, ziehen zusammen, saufen und raufen miteinander. Eine chaotische Beziehung in einem anarchischen Alltag. Davon erzählt „Barfly“, ein teils autobiografischer Film des Schriftstellers Charles Bukowski.

Mickey Rourke und Faye Dunaway geben darin ein kongenial desolates Paar ab. Wie sie zusammen an der Bar sitzen und sich mit Whisky betanken, Drinks wie Wasserrationen zu sich nehmen, dabei die Welt um sich herum bedeutungslos werden lassen, ist so schön anzusehen, weil es trotz dieser beiden Stars in keiner Weise künstlich oder übertrieben wirkt. Beide entwickeln im Suff eine ganz eigentümliche Romantik, etwa wenn Henry der schlafenden Wanda fürsorglich den Whisky ans Bett bringt – als alternative Variante des gemütlichen Frühstücks –; oder sich diese bei ihm mit einer Tüte voller Fusel entschuldigt, die sie im Laden hat anschreiben lassen auf den Namen eines Verehrers.

Die Bar als soziales Refugium

Alles, was hier geschieht, ist immer nur der kurzfristigen Perspektive verpflichtet. Als Henry überraschend zu einer größeren Dollarsumme gekommen ist, schmeißt er eine Reihe Lokalrunden, bei denen er jedes Mal mit weit ausgestrecktem Arm sein Schnapsglas reckt und in der Manier eines galanten Gastgebers ruft: „To all my friends!“ Dass diese Leute ihm überwiegend gleichgültig gegenüberstehen, spielt in diesem seligen Moment voller Euphorie und Geselligkeit natürlich keine Rolle – und vermutlich sind diese Leute, die er da mit hartem Alkohol beglückt, nicht oberflächlicher mit ihm verbunden, als das andere im „normalen“ Alltag – am Arbeitsplatz, im Bekannten- oder größeren Familienkreis – wären.

Mit den feinen Gesichtszügen, die unter der ständig ramponierten Visage durchschimmern, und einer beinahe singenden Stimme verleiht Mickey Rourke seiner Figur selbst in deren dunkelsten Momenten eine unverrückbare Würde. Mit dem Schnapsglas als wichtigstem Alltagsutensil in der Hand schleicht Rourke durch das marode Appartement, immer in leicht gebückter Haltung, meist mit blutverschmiertem Gesicht und heftig unterlaufenen Augen. Unter den Handtaschienhieben einer furiosen Wanda knallt er mit einer prächtigen Platzwunde auf den Boden, wird im Kampf mit seinem Erzfeind Eddie, gespielt von Sylvester Stallones jüngerem Bruder Frank Stallone, im dreckigen Hinterhof zusammengeschlagen oder liefert sich einen Messerkampf mit seinem Nachbarn. Immer wieder geht er in die Bar, seinem Zufluchts- und Regenerationsort; mit müden, aber dennoch begeisterungsfähigen Augen stützt er sich dann auf die Theke, für einen weiteren Whisky.

Text verfasst von: Robert Lorenz