Filmtipp

Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia (1974)

Kurzbeschreibung: Kopfgeldjäger suchen im Auftrag eines mexikanischen Patriarchen nach einem Mann namens Alfredo Garcia – gebracht werden soll aber nur dessen Kopf. Ein infernalischer Roadtrip mit der geballten Peckinpah-Ästhetik aus brachialem Mündungsfeuer, akribischer Gewalt in Zeitlupe und Projektilen, die in bald toten Körpern detonieren.

Social-Media-Optionen

Nein, niemand möchte in der Haut von Alfredo Garcia stecken. Aber das ist in den ersten Minuten des Films noch nicht klar. Darin sitzt eine junge Frau am Ufer eines Sees, offenbar hochschwanger. Zwei Männer holen sie ab und begleiten sie in die Villa eines nahe gelegenen Anwesens. Die beiden tragen Hüte, enge Hosen, haben sich Revolver umgeschnallt und ihre Stiefel sind mit Sporen bewehrt. Im Innern des Gebäudes beten Nonnen, eine alte und eine jüngere Frau sitzen dort in vollständig schwarzer Kleidung, zwischen ihnen und den übrigen Anwesenden stehen Männer mit Patronengürteln und halten Gewehre im Anschlag. Bilder und Relikte erinnern an die Zeiten der spanischen Konquistadoren im heutigen Mexiko. Nichts aber erinnert an die Zeit, in der diese Szene spielt.

Töten als Geschäft

Allein in diesen wenigen Schnitten stellt sich eine bizarre Bedrohlichkeit ein – denn weder weiß man als Zuschauer, in welcher Zeit man sich befindet, noch welchem Schicksal die abgeführte Frau entgegensieht. In all ihren Belangen mutet die ganze Szenerie freilich an wie das 19. Jahrhundert; doch dass es sich hier nicht um die Wild-West-Ära handelt, verdeutlicht Sam Peckinpah, der Regisseur, wenige Augenblicke später unmissverständlich mit einem brachialen Bruch, der den trügerischen Eindruck durch eine fulminante Explosion der Moderne mit einem Mal zerstört: grölende Motoren heulen auf, als sich Muscle-Cars und riesige Limousinen ihren Weg durch die Festung eines mexikanischen Patriarchen bahnen, gefolgt vom Donner eines abhebenden Flugzeugs. All das sind unverkennbar technologische Symbole der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und sie lassen keinen Zweifel aufkommen, dass der alte Westen, der schon in Peckinpahs legendär brutalem „The Wild Bunch“ aus dem Jahr 1969 unterging, hier schon lange passé ist.


Fast vergisst man als Zuschauer dabei, was kurz zuvor eigentlich passiert ist. Der mexikanische Patriarch (Emilio Fernandez) – der im ganzen Film lediglich als „El Jefe“ firmiert –, dem die anachronistische Gemeinschaft der Anfangsszene andächtig lauscht und dem die junge Schwangere vorgeführt wird, erteilt einen Auftrag . Er will den unehelichen Vater des ungeborenen Kindes – und zwar tot. Dafür bietet er amerikanischen Kopfgeldjägern eine Million Dollar. Denn wenn Liebe umschlägt („He was like a son to me.“), dann verkehrt sie sich zumeist in Hass. So auch hier: Der Patriarch will nicht Garcia, er will Garcias Kopf. Die Männer, die für ihn in Aussicht auf das phänomenale Honorar losziehen und kurz darauf im Motorengetöse ihrer Fahrzeuge durch den Staub brettern, sind allerdings keine Kopfgeldjäger im Western-Outfit; sie sind, auch ihrem Selbstverständnis nach, Geschäftsleute, die in dem hasserfüllten Patriarchen einen zahlungskräftigen Kunden sehen, dessen Motive und Urteil sie nicht hinterfragen.

Den titelgebenden Alfredo Garcia wird man im Film niemals, jedenfalls nicht lebendig, zu Gesicht bekommen. Von Anfang an ist er eine ominöse Figur, lediglich ein Name für die Kopfgeldjäger, die nach ihm suchen sollen. Eine ganze Organisation klemmt sich hinter die Suche nach Garcia, dessen Kopf schließlich so viel Geld verspricht. Zwei organisieren das Projekt vom Hotelzimmer aus, das kurzerhand in ein provisorisches Büro umgewandelt worden ist und in dem sich Informationslieferanten melden können – die beiden sitzen dort wie zwei Agenturchefs aus „Mad Men“. Die anderen beiden, Sappensly (Robert Webber) und Quill (Gig Young), begeben sich unterdessen auf die Suche. Dass sie Anzug und Krawatte tragen und in diesem Outfit problemlos an jeder Vorstandssitzung eines Konzerns teilnehmen könnten, verdeckt nicht, dass sie wie archaische Jäger durch das Grenzland ziehen und in gnadenloser Bereitschaft zu töten nach ihrer Beute Ausschau halten. Über diesen Garciawissen sie freilich nichts, ihr einziger Anhaltspunkt ist dessen freundliches Bild in einem Medaillon. Damit durchstreifen sie die Straßen und Kneipen, fragen sich durch, erfolglos, bis sie in einer der unzähligen Kaschemmen auf Bennie (Warren Oates) treffen.

Der kennt Alfredo Garcia, meint ihn gar finden zu können und macht sich also auf, um einen Anteil an der Belohnung zu erhalten. Deren wahre Höhe ahnt er freilich nicht, die Männer vom Killerbusiness bieten ihm eine im Vergleich zu ihrem Honorar lächerliche Summe, die für den abgehalfterten Bennie in diesem Moment trotzdem die Welt bedeutet. Was dieser frustrierte Mann, der hier eine einzigartige Chance sieht, seinem trostlosen Leben zu entfliehen, allen anderen voraus hat, ist seine Freundin Elita (Isela Vega). Die hatte mit Garcia ein Verhältnis und weiß, wo er zu finden ist. Elita ist eine Frau, die mit Bennie ein neues Leben beginnen will, auch ohne das Geld, das Garcias Kopf verheißt. Notgedrungen folgt sie ihrem Bennie bei der Suche nach Garcia, aber in Wirklichkeit hält sie nichts von dem Unterfangen, ist davon sogar angewidert und will eigentlich nichts damit zu tun haben. Allerdings verzehrt sie sich geradezu danach, von Bennie um die Hochzeit gebeten zu werden. Der aber will von seinem Vorhaben nicht abrücken; weil er Elita als Kompass benötigt, willigt er in eine baldige Eheschließung ein, aber den gleichen Elan wie seine Elita kann er dabei nicht aufbringen.

Das verleiht ihrer Beziehung eine elendige Tragik: In einer Einstellung sitzen sie zu zweit unter einem Baumwipfel nahe des Straßenrands. Was überall sonst der Auftakt einer romantischen Szene gewesen wäre, gerät hier zum emotionalen Desaster. Statt eines Picknickkorbes haben sie eine Schnapsflasche dabei, die Frau ringt um ein glaubwürdiges Liebesgeständnis und einen verbindlichen Heiratsantrag, aber nichts davon wird sie bekommen. Und das ist nur eines aus der großen Ansammlung kleiner Dramen, die Peckinpah in seinem Film untergebracht hat.

Das Porträt einer feindseligen Gesellschaft

Die Gesellschaft, die Peckinpah hier zeigt, ist brutal und hinterlistig. Überall lauern Ausbeutung, Gier, Verderben. Bennie hat keine Lust mehr, sich mit Klaviergeklimper in viertklassigen Bars durchzuschlagen, das Schicksal von Alfredo Garcia berührt ihn deshalb nicht. Die Kopfgeldjäger hingegen – das gehört zu ihrem Beruf – sind weitaus unbarmherziger und arbeiten mit miesen Tricks; Leichen pflastern ihren Weg, und dennoch wähnen sie sich als legitime Akteure auf einem gutbezahlten Markt. Auf ihrer Odyssee treffen Bennie und Elita während einer Reifenpanne auf zwei Motorradfahrer, die von den beiden Country-Musikern Kris Kristofferson und Donnie Fritts gespielt werden. Kristofferson hatte erst wenige Jahre zuvor eine vielversprechende Militärkarriere in den Wind geschlagen und sich der Unterhaltungsbranche verschrieben, Fritts war bis 2013 Kristoffersons Keyboarder. Diese Biker sind quasi die Gegenentwürfe zu den beiden Protagonisten aus „Easy Rider“ (1969); hier, bei Peckinpah, sind es keine freiheitsliebenden Rebellen, sondern unberechenbare Vergewaltiger, deren Interpretation von Freiheit die eines rücksichtslosen Egoismus ist.

Und wie erbarmungslos jemand zugrunde gehen kann, illustriert Peckinpah an seinem Protagonisten Bennie: Zu Beginn dessen Suche nach Garcia trägt er einen beigen Anzug und eine Sonnenbrille mit ausladenden Gläsern, die er bis auf wenige Augenblicke über den gesamten Film hinweg nicht ablegt. Aber je weiter er in den Abgrund seiner gierigen Jagd nach dem Kopfgeld gerät, desto ramponierter sieht er aus. Anfangs wirkt diese Figur nur schäbig und verschlagen, doch am Ende des Films ist sie aufgeladen mit einer strengen, tragischen Aura. Nach mehreren Karambolagen und Schießereien ist Bennies Anzug verdreckt und zerrissen, geronnenes Blut hat sich über seine Stirn gelegt, die Haare sind verschwitzt und durcheinander, er selbst gründlich aufgerieben – eine völlig desolate Figur, deren erschreckenden Niedergang man minutiös mitverfolgen kann. Irgendwann redet Bennie nur noch zu den Toten, weil ihm niemand mehr geblieben ist.

Tod in Zeitlupe

Diesen pessimistischen Blick auf moderne, und doch zugleich vorzeitliche, Menschen inszeniert Peckinpah mit einem Stil, der die meisten seiner Filme geprägt und zu einer markanten Signatur geworden ist. Vor allem die überraschende Verlangsamung ist dabei Peckinpahs Lieblingsinstrument: Wird jemand erschossen, fällt er nicht einfach zu Boden, sondern wird durch den Einschlag des Projektils in Zeitlupe nach hinten gerissen; in Zeitlupe auch werden die Patronenhülsen aus der unablässig feuernden Maschinenpistole geschleudert, eingefangen von einer seitlich postierten Kamera; und in Zeitlupe schlittert Bennie mit seinem Fahrzeug unmittelbar auf einen anderen Pkw zu – obwohl es zwischen den beiden Autos zu keiner Kollision kommt, weil das eine fünf Meter vor dem anderen quer zum Stillstand kommt, wirkt diese Szene gewaltiger, als wenn beide Objekte einfach aufeinandergeprallt wären. Solche Bilder sind es, die schon „Straw Dogs“ (1971) und „The Getaway“ (1972) unvergesslich gemacht haben.

Und wie diese beiden Peckinpah-Werke ist auch die Jagd nach Alfredo Garcias Kopf eine schonungslose Inszenierung: einer Schwangeren werden die Knochen gebrochen, ein Grab wird geschändet, eine alte Frau stirbt im Kugelhagel, Gefangene werden nicht gemacht. Überhaupt: Menschen werden hier nicht einfach erschossen; nahezu jeden Tod zeigt Peckinpah in akribischer Bedächtigkeit, fast immer sieht man, wie sich die blutigen Einschlaglöcher der Patronen in den bald leblosen Körpern auftun – man mag das nicht gut finden, aber man muss darin keine Gewaltverherrlichung sehen, die Peckinpah mitunter vorgeworfen worden ist. Keine Frage: Nach allem, was über ihn geschrieben und gesagt worden ist, muss Peckinpah eine verrückte, in vielen Belangen fragwürdige Persönlichkeit gewesen sein: ein Trinker, ein Menschenquäler, ein Workaholic. Aber die Gewaltszenen, die er arrangiert, zeigen Sinnlosigkeit und Brutalität, wie sie normalerweise, in anderen Filmen, nicht wahrgenommen werden, weil sie dort zumeist beiläufig passieren. Peckinpah aber nimmt sich die Zeit, um die Bedeutungsschwere einer Mordtat, eines Todesschusses oder eines körperlichen Gewaltakts zu zeigen.

Wie gesagt, entgegen des Eindrucks der Anfangssequenz spielt „Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia in der (damaligen) Gegenwart. Aber Peckinpah wäre nicht Peckinpah, würde er nicht trotzdem originäre Wild-West-Elemente in seinen Film einbauen. So kommt es ungeachtet eines festgezurrten Systems von Gesetzen und Verordnungen mehrmals zu tödlichen Shootouts, die niemanden verschonen. Wenn Bennie und Elita mit ihrem Auto durch Mexiko fahren, sind sie genauso verwundbar, als würden sie zu Pferd durch die Wüste reiten. Und wie in Wild-West-Filmen ist das Schicksal oft erbarmungslos. Ein Happy End kann es hier gar nicht geben.

Text verfasst von: Robert Lorenz