Filmtipp

Dieses Land ist mein Land (1976)

Kurzbeschreibung: Hal Ashbys Film erzählt den Aufstieg der Folksong-Legende Woody Guthrie vom arbeitslosen Kleinstadtbewohner zu einem der ganz großen Gesellschaftskritiker unter Amerikas Singer-Songwriter-Giganten. Aber er fasst auch eine der schlimmsten Wirtschaftsdepressionen der amerikanischen Geschichte in ergreifende Aufnahmen, die ganz ohne Pathos die historische Grundlage von Guthries politischen Songs verdeutlichen – Bilder wie aus einem postapokalyptischen Szenario.

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Wenn sie nicht wäre, wüsste man nicht, in welcher Zeit man gerade ist. Aber die Zapfsäule, an der das Benzin von Hand gepumpt werden muss, ist der entscheidende Hinweis, mit diesem Film nicht im „Wilden Westen“ gelandet zu sein. Natürlich hat uns auch schon eine zuvor eingeblendete Notiz aufgeklärt, dass es sich um den Sommer 1936 handelt und dass man sich in Pampa, Texas befindet. Und Pampa ist in der Tat wie die sprichwörtliche Pampa. So wie in einem großen Teil der argentinischen Grassteppe ist es auch hier trocken, spärlich, karg, im Ganzen trostlos. An besagter Zapfsäule hält unter bewundernden Pfiffen der Einheimischen eine Limousine – damals State of the art, heute ein Oldtimer. Heraus steigt ein Geschäftsmann, dessen Wohlstand sich in der Möglichkeit manifestiert, eine kalte Coke und etwas Kraftstoff bezahlen zu können. Auf dessen Frage, was es denn Neues gebe, antwortet einer der Männer: „It’s been pretty dusty around here.“ Dieser Mann ist Woody Guthrie (David Carradine) – nicht mehr lange, und er wird seinen Aufstieg als Sänger und Songwriter zur Folklegende beschreiten, wird Musiker inspirieren, die ihrerseits zu Legenden werden, so wie Bob Dylan. In diesem Moment aber ist Guthrie nur ein Mann, der im Staub steht. Im Staub einer texanischen Kleinstadt, inmitten der amerikanischen Wirtschaftskrise.

Eine andere Neuigkeit ist die vom schleichenden Exodus, von der Ausreise vieler Menschen gen kalifornischer Westküste. Kalifornien: Das ist damals, im Sommer 1936, eine Chiffre der Hoffnung. Immer mehr Menschen wollen dorthin, klammern sich an vage Vorstellungen, packen ihre wenigen Habseligkeiten und binden sie auf ihre maroden Pickups, um in eine ungewisse, aber vielleicht ja irgendwie bessere Zukunft aufzubrechen. Die Great Depression: Sie dauerte von Ende der 1920er Jahre bis zum Beginn der 1940er Jahre und hinterließ tiefe Narben in der amerikanischen Seele. Guthrie, der brillante Songwriter, besaß ein feines Gespür für Details und Mentalitäten; so avancierte er zu einem der wichtigsten Autoren des Soundtracks zur amerikanischen Rezession der 1930er Jahre. Seine große Zeit begann am Ende der Great Depression, als er nach New York ging. Er nahm zahllose Platten auf, leistete im Zweiten Weltkrieg in der Marine seinen Wehrdienst ab und gründete später eine Gewerkschaft für Folkmusiker. Diese Lebensphase wie auch seine spätere genetisch bedingte Erkrankung an dem fatalen Nervensyndrom Chorea Huntington zeigt Hal Ashbys Film nicht. Stattdessen rückt er Guthries mittlere Jahre in den Fokus, als dieser bereits Familienvater war, aber seine musikalische Karriere noch nicht begonnen hatte.

1936 ist Guthrie, Jahrgang 1912, noch denkbar weit weg von New York, bemalt für ein paar Cents Ladenschilder und zupft melancholisch an seiner Gitarre. Pampa: Dort ist es so staubig, dass man die erste halbe Stunde des Films über bangt, die verbleibenden neunzig Minuten mit einer mittelmäßigen Bildqualität auskommen zu müssen. Staubig ist es zwar später auch im buchstäblich staubtrockenen Kalifornien, aber in Pampa, Texas atmen die Leute Staub. Die Herrschaft des Staubs kulminiert in einer Szene, als ein kleines Mädchen in einen Tanzabend der Erwachsenen hereinplatzt und ruft: „Dust storm’s comin’!“ Das ist zugleich der Auftakt einer beeindruckenden Sequenz, in der die Kamera schräg über der Kleinstadt steht, während sich von der linken Seite eine gewaltige Sandsturmwand nähert – eine Naturgewalt, wie man sie heutzutage im Computer erzeugen würde, bahnt sich unaufhaltsam ihren Weg in die Stadt, bereit, alles zu verschlingen. Die Staubwalze fegt dann auch über den hilflosen Ort hinweg; dessen Bewohner verbarrikadieren die Fenster ihrer Häuser mit Decken und Vorhängen, in den Wohnzimmern harren sie mit übergezogenen Tüchern aus, während sich langsam die Staubschichten über Menschen und Möbel legen. Diese Einstellung könnte genauso gut aus einem Katastrophenfilm stammen: Während draußen der Sturm tobt, sitzt Guthrie auf der Couch, singt und spielt Gitarre, während Vater, Frau und Kinder neben ihm sitzen, keuchen, ihre Münder notdürftig mit Tüchern abdecken und hoffen, unbeschadet aus diesem Naturschauspiel hervorzugehen.

Die Menschen von Pampa sind dem Sandsturm ähnlich ausgeliefert wie dem wirtschaftlichen Stillstand, unter dem sie leiden. Auch Guthrie beschließt kurze Zeit später, sich nach Kalifornien, diesem gelobten Land, aufzumachen. Seiner Frau erzählt er davon nichts, von seinen Kindern verabschiedet er sich nicht, einzig ein handbeschriebener Zettel an der Schranktür dokumentiert die stille Abreise.

Für Guthrie beginnt damit eine Odyssee, die stellvertretend steht für das Schicksal ungezählter Menschenmassen dieser Zeit. Hierin liegt eine der ganz großen Stärken dieses Films: in der ausführlichen Darstellung bemitleidenswerter Existenzen, der detailgenauen Wiedergabe zeitgenössischer Phänomene. So etwa dem des „Trainhopping“>: Zusammen mit weiteren Arbeitsuchenden lauert der darin noch gänzlich unerfahrene Guthrie am Bahndamm auf einen vorbeirauschenden Frachtzug, um sich aufzuschwingen und die enorme Distanz zwischen Texas und Kalifornien zu überwinden. Jetzt sitzt er mit einer zweistelligen Zahl von Menschen in einem Transportwaggon, allesamt Leute auf der Suche nach einer Möglichkeit zum Überleben. Damit gehört Guthrie zu den Millionen von „Hobos“, den Wanderarbeitern, die für noch so miserable Arbeitsgelegenheiten unfassbare Wege zurücklegen.

Mit dabei hat Guthrie lediglich eine Handvoll Pinsel, mit denen er hofft, auf seinem Weg nach Kalifornien Schilder bemalen zu können – die besten Pinsel, die man für Geld kaufen kann, wie er sagt. Kurz darauf verliert er sie, denn die Enge in dem überfüllten Waggon stiftet unter den auf harten Egoismus gepolten Insassen Aggressivität; die entlädt sich in brutalen Fausthieben, einer Massenschlägerei, der Guthrie nur knapp entkommt, indem er auf das Dach des Waggons flüchtet. Diese Reisen als illegale Passagiere auf Güterzügen waren ein Phänomen jener Zeit, in der die Leute nichts hatten außer schmutzige Kleidung und den Willen, durchzuhalten – irgendwie. Und sie waren brutal, rücksichtslos; auch das zeigt der Film: Als der Zug an einem Zwischenhalt ankommt, stehen dort Schlägertrupps mit Knüppeln bereit, von den Eisenbahngesellschaften angeheuerte „Railroad Bulls“, die ungebetene Mitfahrer aus den Waggons prügeln sollen. Männer, Frauen, Invalide: Sie alle werden vom Zug geholt, zusammengetrieben und stehen nun wie vor einem Exekutionskommando an den Bahngleisen.

Der Anführer der Knüppelmänner tritt hervor und mustert die Gefangenen. Keiner weiß, wie der schwitzende Mann reagieren wird; nur eines ist klar: Hier, in diesem Moment, hat er das Sagen. Jeder könnte jetzt seiner Willkür zum Opfer fallen. Einen hageren jungen Mann, der lediglich gegrinst hat, zwingt er mit vorgehaltenem Revolver auf den Boden, in eine Hundestellung. Nach dieser erniedrigenden Machtdemonstration endet die Strapaze glimpflich: Wer Geld hat, wird in einen Passagierzug gesteckt, die anderen müssen zu Fuß weiterreisen. Das ist nicht immer so, später – auf einem anderen Zug – wird Guthrie um ein Haar von einer Gewehrkugel getroffen; stattdessen erwischt es seinen Begleiter, der im Staub neben dem wegfahrenden Zug verendet. Schon die Reise nach Kalifornien ähnelt dem Überlebenskampf in einer postapokalyptischen Welt – Guthrie, eine Art Mad Max mit Hut und Gitarre.

Diese Endzeitatmosphäre setzt sich fort, als Guthrie in ein Lager voller Wirtschaftsflüchtlinge kommt. Von überallher sind sie in verbeulten Trucks und Pickups angereist, mit dem letzten Hab und Gut, mit dem sie an ihren Fahrzeugen notdürftige Lager aufschlagen. Sie warten darauf, von Landwirtschaftsunternehmen als billige Arbeitskräfte rekrutiert zu werden. Doch für die wenigen Arbeitsplätze auf den Feldern gibt es viel zu viele Interessenten. Nur eine Schar ganz weniger wird am nächsten Tag angeheuert – den anderen bleibt selbst ein Hungerlohn verwehrt. Auch dieses Lager liegt im Staub, darüber erheben sich die Dämpfe der improvisierten Lagerfeuer und Kochstellen, bei manchen der Bewohner ist unklar, ob sie überhaupt noch atmen. Eine Einstellung zeigt dieses Lager in seiner entmenschlichten Dimension, als Lager von Körpern, brachliegender Arbeitskraft – ein episches Bild, wie aus einer alttestamentarischen Bibelillustration.

Vor allem: Die Menschen, die in solchen Stätten vegetieren, warten lediglich darauf, auf den riesigen Plantagen und in den großen Fabrikhallen ausgebeutet zu werden. Gewerkschaften scheinen einen aussichtslosen Kampf zu führen, die Unternehmen stecken Geld in Union Busting – in einer Szene wird eine gewerkschaftliche Versammlung von Schlägern gestört, statt in politischen Beschlüssen endet sie in Handgreiflichkeiten. Die Feldarbeiter lassen sich nicht für den politischen Arbeitskampf gewinnen, sie haben schon Angst, über ihre Arbeitsbedingungen auch nur zu sprechen – denn noch vor Ort könnten sie auf der Stelle entlassen oder gar zusammengeschlagen werden.

Und selbst dort, wo die Unternehmen vermeintlich fortschrittlich sind, geht es doch nur wieder auf Kosten der Arbeiter und ihrer Familien. So sitzt am Rand eines Feldes eine Gruppe von Kindern, betreut von einer Frau; doch diese Erleichterung der Work-Life-Balance in Form einer Kinderbetreuung wird sogleich konterkariert von einem vorbeifliegenden Flugzeug, dem die Kinder zujubeln, ehe sie von der Pestizidwolke erfasst werden, die es über dem Feld zur Insektenbekämpfung abgelassen hat. Später ziehen dann Eltern und Kinder wieder zurück ins Lager.

Ausgerechnet hier, auf diesem Horrorzeltplatz, wird Guthrie seine große Chance bekommen. Dann nämlich, als er auf den Entertainer Ozark Bule (Ronny Cox) trifft, der mit seinen linken Folksongs bei den Armen und Entbehrlichen der heraufziehenden Konsumgesellschaft politische Stimmung für die Gewerkschaften machen will – und mit seiner Musik ein wenig von den Alltagssorgen ablenkt. Bule, ein professioneller Radiomusiker, entdeckt Guthries Talent und nimmt den begabten Vaganten gleich mit ins Studio. Dort bekommt Guthrie die Gelegenheit, sein musikalisches Können zu beweisen, aber auch eine Plattform geboten, seine gesellschaftskritischen Songs zu publizieren.

Tagsüber musizieren die beiden live im Radio, abends fahren sie mit Bules Limousine in die Elendslager der Arbeitslosen, um diese mit politischen Liedern gegen die menschenverachtenden Praktiken der Agrarunternehmen aufzuwiegeln. Immer wieder müssen sie vor deren Schlägertrupps flüchten, die sie sich mit Schlagstöcken anschleichen und unvermittelt losprügeln. Abschrecken lassen sich die beiden davon freilich nicht, ihr subversiver Kampf gegen die miesen Erwerbsbedingungen geht weiter.

„Dieses Land ist mein Land“ erzählt von einer schlimmen Zeit, von vielen leidvollen Schicksalen, von einer Gesellschaft ohne Sozialversicherung und mit schwachen Gewerkschaften. Vor allem aber erfolgt diese eindrückliche Schilderung ohne Pathos. Der Film gewinnt seine wuchtige Wirkung gerade nicht aus übertriebenen Szenen, sondern aus zurückhaltenden, geradezu lakonischen Aussagen. Etwa als einer von Guthries Bekannten aus dem Lager der Arbeitsflüchtlinge auftaucht, ein kräftiger, arbeitswilliger Mann – gespielt von Randy Quaid –, der mit seiner Meinung über die moralischen Verwerfungen nicht mehr zurückhalten wollte und nun vor Guthrie mit blaugeschlagenem, aufgequollenem Gesicht steht – und doch nicht viel mehr dazu sagt als: „Oh, we had some trouble out there.“ Und noch in Pampa, als Guthrie mit seiner Frau im Bett liegt und gerade der Sandsturm über die Stadt hinweggezogen ist, man als Zuschauer längst allein durch die Bilder die üble Hoffnungslosigkeit dieses abgeschiedenen Ortes begriffen hat, bricht Guthrie die eigentlich unerträgliche Malaise seines Daseins auf den euphemistischen Satz herunter: „Seems like thing’s just ain’t goin’ so good around here.“

Nachdem sie Guthries Stimme und Gitarrenspiel gehört haben, engagieren sie diesen abgehalfterten Typen, der eben noch mit nichts als einer geliehenen Gitarre das Aufnahmestudio betreten hat. Für Guthrie könnte sich nun der amerikanische Traum bewahrheiten, schon bald winken ihm lukrative Verträge und prestigeträchtige Engagements. Aber dafür müsste er sich disziplinieren, müsste sich den Gepflogenheiten des Showbusiness beugen, müsste sich für das Establishment prostituieren.

Seine Frau würde sich das wünschen, für sich und die Kinder. Nach Monaten der Abwesenheit hat Guthrie sie zu sich geholt, hat ein kleines Einfamilienhaus beschafft, das für diese Leute aus Pampa, dem texanischen Nirgendwo, in diesem Moment die Welt bedeutet. Als seine Frau Mary (Melinda Dillon – sie spielt im selben Film auch die Folksängerin Memphis Sue) das Haus betritt, bricht sich sogleich ihre Begeisterung Bahn über die Errungenschaften des modernen Amerika, von denen sie bislang ausgeschlossen gewesen ist – symbolisiert durch den großen Kühlschrank.

Aber Guthrie stellt die Belange seiner Familie hinter seine politische Integrität zurück; vielleicht ist er aber auch einfach bloß unfähig, mit all seiner Kreativität und Wut ein normales, geregeltes Leben zu führen und seine tiefen Erlebnisse aus den amerikanischen Armutsschichten einfach hinter sich zu lassen. So widersetzt er sich jeglichen Routinen und Mustern: Er hat es eigentlich geschafft, ist für die Plattenfirmen ein Goldjunge, mit dem sich viel Geld verdienen lässt und dem deshalb auch mit Reichtum überhäuft – Guthrie könnte sich alles leisten, alles erlauben. Aber er macht das einzige, das ihm dann doch nicht erlaubt ist: Er geht einfach. Bald ist er wieder auf dem Weg zur Bahnlinie, der Lebensader des amerikanischen Wirtschaftswachstums. Die schweren, beinahe kilometerlangen Güterzüge, die dort im Auftrag ausbeuterischer Konzerne rollen, sind Woody Guthries Vehikel, mit denen er die Gesellschaft bereist, sich soziologische Innenansichten aus nächster Nähe holt, die er dann in ganz prosaischen Zeilen in seinen Songs verarbeitet. Aber das ist, wie gesagt, nur eine Facette dieses ungemein sehenswerten Films.

Text verfasst von: Robert Lorenz