Filmtipp

Fail-Safe (1964)

Kurzbeschreibung: In Schwarz-Weiß-Optik und spärlichem Licht entfaltet dieser Film, gedreht inmitten des Kalten Kriegs, die beklemmende Atmosphäre eines drohenden Atomkriegs. Nüchtern und minimalistisch offenbart „Fail-Safe“ den Wahnsinn des atomaren Gleichgewichts – ein Film, der in jeden Schulunterricht gehört.

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Jeder sollte diesen Film sehen. „Fail-Safe“ ist eines der seltenen must see movies, die zum verbindlichen Bestandteil eines jeden Schulunterrichts gehören sollten. Denn nirgendwo sonst wird in einer solchen Nüchternheit der abrgundtiefe Wahnsinn des Atomzeitalters geschildert wie hier. Fail-Safe hieß nicht nur der Roman, auf dem der Film basiert, sondern auch das reale System des amerikanischen Strategic Air Command, das einen unbeabsichtigen Angriff auf die Sowjetunion ausschließen sollte. Im Film aber tritt das Undenkbare, angeblich Unmögliche ein: Sämtliche Sicherheitssysteme, ausgeklügelt von genialen Köpfen und unter Berücksichtigung aller Risiken, versagen und der Präsident der Vereinigten Staaten muss mit einer erschütternden Entscheidung den Dritten Weltkrieg und die Vernichtung der Menschheit abwenden.

Schon 1945, als testweise die erste Atombombe in der entlegenen Wüste von New Mexico gezündet wurde und wenig später über Japan zum Einsatz kam, wussten die Kernphysiker, dass die Menschheit zum Frieden verdammt wäre, würde ein nachfolgender Krieg den Einsatz dieser noch immer unvorstellbaren Massenvernichtungswaffe bedeuten. Das war das Paradoxon des Kalten Kriegs: Die Existenz eines allesvernichtenden Nukleararsenals und die erklärte Absicht beider Atomgroßmächte, der USA und der UdSSR, einen Kernwaffenangriff mit einem gleichwertigen Gegenschlag zu vergelten, gewährleisteten den Frieden – zumindest zwischen den beiden Weltanschauungsblöcken. Wie gefährlich dieser Zustand, die drohende massive retaliation, in Wirklichkeit war, und auf welch riskanten Mechanismen er gründete, zeigt „Fail-Safe“ in aller Schärfe.

Cockpit eines US-amerikanischen Atombombers mit den beiden PIloten und dem Funker

Der Film spielt an mehreren Orten, zwischen denen in den knapp zwei Stunden hin und her geschaltet wird: dem Hauptquartier der amerikanischen Bombenluftflotte, dem Pentagon, dem Weißen Haus und dem Cockpit eines Bombers. Voller Stolz auf das subtile System der amerikanischen Atomwaffenabwehr führt General Bogan (Frank Overton) den Kongressabgeordneten Raskob (Sorrell Booke) durch die unterirdische Schaltzentrale in Omaha, Nebraska. Gerade ist eine Alarmstufe eingetreten, weil die Sensoren ein unbekanntes Flugobjekt im amerikanischen Luftraum geortet haben – eine hervorragende Gelegenheit für Bogan und sein Team, dem Politiker, der mit seinem Komitee die Gelder beeinflusst, die Funktionstüchtigkeit dieses formidablen Verteidigungssystems zu demonstrieren.

Von der Routine in die Katastrophe

Während Kampfjets das Objekt identifizieren, finden sich Bomber, die Atomwaffen geladen haben, an festgelegten Punkten ein, um im Ernstfall in den sowjetischen Luftraum einzudringen und den Gegenschlag auszuführen. Das ganze Geschehen breitet sich vor den Terminals der hochtechnisierten Zentrale in Omaha auf einem riesigen Monitor, in der Größe einer Kinoleinwand, aus. Aber wie von den Experten erwartet, erweist sich das „UFO“ bloß als eine vom Kurs abgekommene Zivilmaschine; der Alarm wird aufgehoben, die Situation ist geklärt – eine Routineaktion, die laut General Bogan mehrmals im Monat vorkommt.

Blick in eine der Entscheidungszentralen, in denen sich mehrere Männer in kleinen Gruppen unterhalten

Nur ist dieses Mal etwas schiefgegangen. Eine der zurückbeorderten Bombergruppen, auf der Operationskarte symbolisiert durch eine Wolke kleiner Dreiecke (damals noch handgezeichnete Animationen), steuert weiterhin auf die Sowjetunion zu. Denn unbemerkt vom Personal hat der Computer berechnet, dass es sich um eine reale Gefahr handelt, und der Bombergruppe den Angriffsbefehl erteilt. Mit zitternden Händen und schwerer Atmung öffnen die beiden Piloten in der Führungsmaschine ihre um die Brust gehängten „Top Secret“-Taschen und bestätigen sich gegenseitig das Angriffsziel: Moskau. Die Funkverbindung ist unterbrochen – von den Sowjets, wie sich später herausstellt –, sodass Omaha den irrtümlichen Angriffsbefehl des digitalen Systems nicht mehr stornieren kann.

Versuche, das Bomberkommando abzuschießen, scheitern – die Raketen der Abfangjäger verfehlen ihr Ziel. Obwohl mit minimalen Mitteln gefilmt, ist das eine dramatische Szene, in der die amerikanischen Jäger ihre Nachbrenner zünden, im Wissen nicht mehr zurückkehren zu können, um dem vorauseilenden Bombergeschwader nachzujagen, und sie dann in der Sekunde ihres letzten Treibstoffrests ihre Raketen abfeuern und in das arktische Meer abstürzen. Das Schicksal der Piloten ist so hoffnungslos, dass General Bogan nicht einmal mehr die Marinerettung verständigt. Die Technologieprahlerei des Anfangs ist jetzt einer fassungslosen Leere und wachsender Verzweiflung gewichen.

Als nächstes muss der Präsident im Kreml anrufen. Henry Fonda spielt den amerikanischen Staatschef – so gut, dass die Amerikaner ihn damals (es war Wahlkampf) vermutlich weit vor den beiden realen Kandidaten Johnson und Goldwater ins Oval Office gewählt hätten. Fondas namenloser Präsident – der ultimative Film-Präsident – sitzt im Atomschutzkeller des Weißen Hauses, in einem kargen Büro mit Schreibtisch und Liege, in Begleitung seines Russisch-Dolmetschers Buck; auf dem Tisch befinden sich lediglich eine Telefonanlage und ein Getränkeservice. Den Dolmetscher spielt der junge Larry Hagman: der spätere Öl-Baron J.R. Ewing aus „Dallas“ (1978–91 u. 2012–14), ein Mann mit größerem Machtbewusstsein als es jemals ein US-Präsident hatte. Aber hier ist Hagman eine beinahe hagere Figur, schüchtern, zurückhaltend, demütig – und das mit der gleichen Glaubwürdigkeit, mit der er den berüchtigten Fiesling J.R. spielt.

Closeup von Henry Fonda als US-Präsident mit Telefonhörer am Ohr

Die Telefonate mit dem (ebenfalls namenlosen) sowjetischen Premierminister sind die besten Szenen des Films: Darin zeigt die Kamera Hagman, wie er mit einem Kopfhörer neben dem Telefonapparat, einer absurden Konstruktion, sitzt und neben seiner Übersetzung immer wieder die Stimme des Kreml-Chefs einzuschätzen sucht; und Fonda, der mit einer faszinierenden Darstellung die wechselnden Gemütszustände des Präsidenten ausdrückt. Entweder zeigt die Kamera auf die knallhart konzentrierten Gesichter dieser beiden Männer, die in diesen Momenten mit ihren Worten das Schicksal der Welt bestimmen, oder filmt sie in einer Art Schreibtisch-Totale beide zusammen. Und während sie der Dinge harren, in der Stunde ultimativer Entscheidung, reden auch sie über das Wetter.

Dolmetscher Buck (gespielt von Larry Hagman) und der US-Präsident (gespielt von Henry Fonda) beim Telefonat im Atombunker des Weißen Hauses

Pentagon-Panik

Im Pentagon konferiert unterdessen eine Runde aus dem Verteidigungsminister (William Hansen), hochrangigen Militärs und dem Wissenschaftler Groeteschele (Walter Matthau), der angeblich auf dem Futorologen und Intellektuellen Herman Kahn (1922–83) basiert. Und wie sein reales Vorbild versucht auch Groeteschele sich mit einer eitlen Vehemenz in die Regierungsgeschäfte und Militärstrategien einzumischen. Als die Runde von dem außer Kontrolle geratenen Bombergeschwader erfährt, ist es Groeteschele, der sofort darauf drängt, das Flugzeug seine Mission ausführen zu lassen, weil er darin die einzigartige Chance auf einen Sieg über die Sowjetunion zu erkennen glaubt: „The Russians will surrender and the threat of Communism will be over forever.“ Und die Annahmen, mit denen er seine vermeintlich wissenschaftlichen Aussagen trifft, basieren auf grobschlächtigen Stereotypen und Verallgemeinerungen: „These are Marxist fanatics, not normal people.

Groeteschele steht am Rednerpult vor einer großen Karte, im Vordergrund ein voll besetzter v-förmiger Konferenztisch

Als der Präsident die Zentrale in Omaha beordert, im Rahmen einer Telefonkonferenz mit den sowjetischen Militärs zusammenzuarbeiten, sind die Offiziere mit ihrer patriotischen Überzeugung und all ihren Dienstschwüren selbst unter diesem Druck kaum in der Lage, brisante Geheimnisse der amerikanischen Militärtechnologie preiszugeben. Einer von ihnen (gespielt von Fritz Weaver) versucht sogar, General Bogan auszuschalten und das Kommando zu übernehmen, weil er in seiner ganzen Blockkonfrontationsparanoia bis zum letzten Moment dem Ansinnen der Sowjets misstraut und hinter der ganzen Krise einen hinterlistigen Trick des Gegners vermutet – und mit dieser Haltung ist er nicht allein.

Doch obwohl die amerikanischen Offiziere unter mentalen Qualen die pikantesten Informationen schließlich doch noch preisgeben, gelingt auch den Sowjets nicht, die amerikanische Bombergruppe vom Himmel zu holen. Deren Abwehrmaßnahmen und Flugmanöver erweisen sich als zu gut, als dass sie aufgehalten werden könnten. Die Ingenieure, Wissenschaftler und Ausbilder haben erstklassige Arbeit geleistet, denn nach allen denkbaren Schritten ist noch immer einer der Überschallbomber auf dem Weg nach Moskau.

Bestürzend ist nicht zuletzt die Szene, in der noch einmal Funkkontakt besteht zu dem Piloten, der speziell darauf trainiert ist, auf keinerlei Funksprüche mehr zu hören. Das System ist dermaßen perfektioniert, dass weder der Präsident („Damn it, Grady, ths is the president!“) noch die flehenden Worte seiner Frau den Piloten irritieren können; ohnehin geht dessen Crew davon aus, dass ihre Heimat längst ein radioaktiv verseuchtes Ödland ist: „There’s nothing to go home anyway.

Um zu verhindern, dass die Sowjetunion auf die nun unvermeidliche Vernichtung Moskaus mit einem nuklearen Gegenschlag reagiert, bringt der Präsident ein unfassliches Opfer: Er ordnet an, zwei Atombomben – mit der gleichen Sprengkraft wie der über Moskau gezündeten – über New York abzuwerfen. Ein Zeitungsartikel verrät den Zuschauern, dass sich dort die First Lady aufhält; und der General, den der Präsident mit dieser Schreckensmission betraut, ein alter Kommilitone, hat in New York Frau und Kinder – nachdem er in stoischer Pflichterfüllung die beiden Bomben freigegeben hat, begeht er im Cockpit mit einer Spritze Selbstmord.

Doch zunächst wartet man die Ereignisse in der Sowjetunion ab; telefonisch ist dem Präsidenten der US-Botschafter in Moskau zugeschaltet. Im Atombunker des Weißen Hauses weiß man Bescheid, wenn ein schriller Klang ertönt: Dann ist der Telefonhörer des Botschafters im atomaren Feuerball geschmolzen. Und als dieser Ton dann tatsächlich zu hören ist, technisch eine einfache Rückkopplung, ist das ein solch verstörender, furchtbarer Sound, dass keine Hollywood-Bilder die Vorstellung von dem apokalyptischen Inferno, das der US-Bomber entfesselt hat, drastischer, einprägsamer hätten vermitteln können.

Die Zerstörung der Weltstadt New York bezeichnet der Präsident im Gespräch mit seinem sowjetischen Pendant als „showing our intentions“ – und zum „ground zero“ hat er das „Empire State Building“ erklärt. Derweil erteilt Professor Groeteschele bereits in der Pentagon-Runde mit der unbeirrten Autorität des Wissenschaftlers Ratschläge, was nun zu tun sei: eine sofortige Evakuierung – freilich nicht der Überlebenden, sondern der Akten all der amerikanischen Konzerne, die in der Handelsmetropole am Hudson River ihre Zentralen haben: „Our economy depends on this.“ Zuvor hat er noch die Operzahlen überschlagen: „I estimate the immediate dead at about three million. I include in that figure those buried beneath the collapsed buildings. […] Add another million or two who will die within about five weeks.

After us, the machines

Die Erkenntnisse des Films sind Dinge, die uns heute im Zusammenhang mit Big Data und dem wachsenden Einfluss von Algorithmen ständig in Feuilletondebatten begegnen: die (unheilvolle) Macht computergesteuerter Entscheidungen und Informationsverwendung; denn die Frage, auf welcher Grundlage die Computer der beiden Supermächte ihre fatalen Entscheidungen errechnet haben, erfolgt die etwas hilflose Antwort: „Probability. The law of averages. They have their own logic.“ Auch das demokratische Defizit der computergenerierten Daten- und Entscheidungsmacht wird angesprochen, als Raskob, der Kongressabgeordnete, feststellt: „Who voted who the power to do it this particular way? I’m the only one around here that got elected by anybody.“ Und schon damals philosophieren zwei Air-Force-Piloten, Veteranen, über die Digitalisierung, nachdem sie die amerikanischen Bomberflotten des Zweiten Weltkriegs nostalgisch als multikulturelle Melting pots verklärt haben („Jews, Italians, all kinds“): „After us, the machines. We’re halfway there already.

Closeup von Henry Fonda als US-Präsident mit bedächtigem Blick

Die bedrückende Grundstimmung des Films wird – weniger Folge eines durchdachten Konzepts als des geringen Budgets – visuell verstärkt von dem spärlichen Licht, das die Gesichter der Militärs und Politiker häufig nur schwach ausleuchtet und überall finstere Augenpartien hinterlässt. Und überhaupt wirkt Fail-Safe, zu dem 2000 ein Remake gedreht wurde, durch seine Schwarz-Weiß-Optik sehr düster und pessimistisch. Sämtliche Kommandozentralen und Prozeduren entspringen zudem der Fantasie von Sidney Lumets Team, das beim Kulissenbau wegen der extremen Geheimhaltung auf keinerlei Informationen von Militär oder Regierung zurückgreifen konnte.

Fail-Safe ist leider der unbekanntere der beiden Filme, die 1964 auf die akute Atomkriegsgefahr eingingen. Der andere, weitaus erfolgreichere ist „Dr. Strangelove or: How I learned to Stop Worrying and Love the Bomb“ von Stanley Kubrick. Als Kubrick und die Columbia mit einer Plagiatsklage vor Gericht gehen wollten, kaufte das Studio einfach Fail-Safe und veröffentlichte ihn unter schlechteren Bedingungen als zuvor „Dr. Strangelove“. Kubricks Film ist jedoch nicht annähernd so erschütternd wie Lumets Fail-Safe, werden dort doch die Figuren satirisch überzeichnet, wodurch sie kaum in der Lage sind, überzeugte Befürworter des Konzepts der massive retaliation und des Gleichgewichts der Atommächte umzustimmen. Deshalb sollte „Fail-Safe“ endlich aus dem Schatten von „Dr. Strangelove“ – längst ein Kultfilm – treten.

Text verfasst von: Robert Lorenz