Filmtipp

Grand Prix (1966)

Kurzbeschreibung: Mit unfassbarem Perfektionismus drehte John Frankenheimer diesen Film während des echten Wettkampfs auf inzwischen legendären Strecken wie Monte Carlo, Brands Hatch oder Monza. Heraus kamen der ultimative Rennsportfilm und eine historische Momentaufnahme des Rennzirkus im stylishen Ambiente der Sechziger – spürbarer lassen sich Geschwindigkeitsrausch und Gefahr nicht transportieren.

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Blut, Schweiß und Tränen stecken in diesem Film, dessen Titel auch „Tollkühne Männer in ihren zerbrechlichen Kisten“ lauten könnte. Vielleicht noch nie zuvor war ein Film so dicht an der Wirklichkeit dran gewesen wie John FrankenheimersGrand Prix“ aus dem Jahr 1966 – und nur wenige danach. Fast jeder große Regisseur hat in seinem Œuvre einen Geniestreich vorzuweisen, der als eine Art ewig gültige Visitenkarte fungiert. Bei John Frankenheimer ist das „Grand Prix“ – ein mitreißender, grandioser Film, dem man in jeder Szene anmerkt, wie viel Sorgfalt und Mühe darin stecken, wie viele Nerven er seine Schöpfer gekostet haben muss.

Kaum einer, der sich an die Dreharbeiten erinnert, verschleiert, dass John Frankenheimer ein unerbittlicher Perfektionist und Regietyrann gewesen sein muss. Wo normalerweise eine Second Unit Zusatzmaterial für den Schneideraum dreht, um den Regisseur zu entlasten, winkte Frankenheimer ab und übernahm deren Aufgabe lieber gleich selbst. Auch die Geduld der Anwohner und Geschäftsleute in Monaco, die sich gefälligst in ihren Häusern und Läden zu verbergen hatten, bis die Rennszenen im Kasten waren, strapazierte er; Archivaufnahmen zeigen ihn und James Garner, wie sie sich mit einem Ladenbesitzer zanken, der mehr Geld als Entschädigung verlangt. Aber so sehr die Darsteller, Techniker und Kameraleute auch darunter gelitten haben mögen, so sehr müssen es ihm die Zuschauer danken. Denn „Grand Prix“ ist einer der besten, vielleicht der beste Film über den Rennsport, seine Faszination und sein Grauen.

Um Frankenheimers Anspruch auf ultimativen Realismus zu erfüllen, schien keine Anstrengung zu groß: Die Dreharbeiten begleiteten den echten Formel-1-Grand-Prix des Jahres 1966; das eigens modifizierte Kamerafahrzeug, das auf den Parcours die Rennwagen filmte, wurde gesteuert von Phil Hill, dem ersten amerikanischen Formel-1-Weltmeister (1961 für Ferrari); angblich hat Lorenzo Bandini auf Nachfrage Frankenheimers in Monte Carlo eine realistische Unfallstelle heraussuchen sollen – er wählte den Punkt, an dem er ein Jahr später selbst tödlich verunglückte; bis auf Brian Bedford, der sich als völlig untalentiert erwies und von der britischen Rennlegende Jackie Stewart gedoubelt werden musste, hatten sämtliche Schauspieler-Fahrer ihre Wagen selbst zu steuern, wofür sie im Vorfeld der Dreharbeiten extra ausgebildet worden waren – James Garner erhielt Bob Bondurant als Racing-Mentor, einen Ex-Formel-1-Piloten. Garner, der zuvor mit Autos, geschweige denn Rennen, nicht viel anfangen konnte, war angeblich so gut, dass er damals in der realen Formel 1 hätte bestehen können. Dass Garner, Yves Montand & Co. selbst ihre Lenkräder herumreißen und in ihren zerbrechlichen Gefährten über die Strecken von Brands Hatch, Monte Carlo oder Monza mit ihren gefährlichen Kurven krachen mussten, merkt man ihren Gesichtern an, in denen all die Strapazen, Ängste, aber auch Hochgefühle geschrieben stehen, die man vermutlich als noch so großer Mime nicht ausdrücken könnte, ohne sie selbst erlebt zu haben.

Frankenheimer schöpft das ganze Gefühlsspektrum aus, zeigt strahlende Sieger ebenso wie ramponierte Verlierer in ihren mit Blut und Motoröl befleckten Overalls. Selten wird einem ebenso martialische wie anmutige Optik des Rennsports so eindringlich vorgeführt wie in „Grand Prix“. Aber auch die Akustik: Das zornige Motorgeheul, die zuckenden Drehzahlmesser – dieses irrsinnige Zusammenspiel von Bild und Ton veranschaulicht, welch gewaltige Kräfte mit diesem Sport einhergehen sind. Die Fahrer sind hinter dem Steuer ihrer Boliden, herabgelassen wie in Wannen, ohnehin kaum zu erkennen und verschwinden schließlich vollends, nachdem sie sich ihre glänzenden Helme und die Windschutzbrillen aufgesetzt haben. Zitternde Tachonadeln künden von der brachialen Hubraumgewalt, die von den temposüchtigen Fahrern gleich entfesselt wird – drei „Oscars“ gab es für Sound, Schnitt und Effekte. Und schon der Filmtitel erscheint lautstark vor dem Hintergrund eines dunklen, wutschnaubenden Auspuffrohrs, aus dem die Kamera herauszoomt.

Heute weiß man, was ein John-Frankenheimer-Film bedeutet – damals wusste man es noch nicht. Was Frankenheimer und seine Crew hier inszeniert haben, ist schlichtweg beeindruckend und lässt einen als Zuschauer während des Films kaum noch los: Durch die an der Fahrzeugfront befestigte Kamera fliegen wir als Zuschauer über den Asphalt, während am Fahrbahnrand die Bäume, Büsche und Häuser vorbeirauschen, sodass man die atemberaubende Geschwindigkeit dieses waghalsigen Sports erahnen kann. Dreifach-Splitscreens und Helikopterfahrten übertragen das hektische Tempo, schnelle Schnitte und Perspektivwechsel mit dem Fokus auf Hände, Beine und Füße vergegenwärtigen das enorme Koordinationsvermögen, das die Fahrer zur Beherrschung ihrer Fahrzeuge aufbringen müssen, und die filigrane Mechanik, auf die ungeheure Kräfte einwirken und die bereits von kleinsten Störungen in fataler Weise zerstört werden kann – und all das besser, ausführlicher, einfühlsamer als es jede moderne Fernsehübertragung vermag.

Für Formel-1-Fans ist natürlich das Ambiente sehenswert. Denn der noch vergleichsweise simple Rennzirkus der Sechziger wird hier nicht mit dem Wissen seiner Zukunft von Nachgekommenen rekonstruiert, sondern „Grand Prix“ ist eine seltene Momentaufnahme, ein unverfälschtes Zeitzeugnis. In Monaco wird ja noch heute, ein halbes Jahrhundert später, gefahren; aber damals waren die Veränderungen am Straßenbild so gering, als würde man heute einen Altstadtlauf organisieren. Die Banner der einschlägigen Unternehmen klaffen an den Hauswänden, aber die Piste ist mit wenig Aufwand abgesteckt, die Sicherheitsmaßnahmen wirken aus heutiger Sicht geradezu lächerlich.

Zum Flair des Films trägt sicherlich auch die Besetzung bei, die das internationale Fahrer-Spektrum spiegelt: der Amerikaner James Garner, der Engländer Brian Bedford, der Franzose Yves Montand; aber auch die beiden Rennstallbesitzer aus Italien und Japan, gespielt von Adolfo Celi (als Anspielung auf Enzo Ferrari) und Toshirô Mifune (angelehnt an Soichiro Honda).

Grand Prix“ gewährt kleine fiktive Einblicke in das Privatleben der Formel-1-Piloten. Jean-Pierre Sartis (Montand) Appartement sieht aus wie ein Kinderzimmer: eine Tapete, auf der verschiedene Rennwagen abgebildet sind, und überall hängen Bilder von Autorennen, dazu ein eingerahmtes Lenkrad. Stoddard (Brian Bedford) zieht sich nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus in eine Art Trophäenmausoleum seines verstorbenen Bruders zurück, der einmal Champion gewesen ist. Und der Italiener Nino Barlini (Antonio Sabato) versucht, mit so vielen Frauen wie möglich zu schlafen und im trügerischen Gefühl der Unbesiegbarkeit das Leben maximal auszukosten. Sartis’ und Stoddards Ehen liegen in Trümmern: Stoddards Frau (Jessica Walter) hat eine Affäre mit dessen Ex-Teamkollegen Pete Aron (Garner); und Sartis’ Frau (Geneviève Page) weiß um die Affären ihres Mannes, will ihren Status als Ehefrau aber unter keinen Umständen preisgeben.

Die Sex-Szene zwischen Jean-Pierre Sarti und der amerikanischen Journalistin Louise Frederickson (Eva Marie Saint) wird unglaublich dezent gehalten: Zwei Einstellungen werden übereinander gelegt, wobei das Drink-Geplänkel davor und das Anziehen danach deutlich zu erkennen sind, während sich davor ganz schwach, nur schememhaft, das Bettgetümmel abzeichnet, bei dem man Sartis nackten Rücken sieht, der zärtlich von Fredericksons Händen umschlossen wird.

Das Fahrer-Briefing vor dem Rennwochenende wirkt mit der Streckenkarte wie eine Generalstabsbesprechung im Krieg; und zwischen den fiktiven Film-Fahrern sitzen die echten Rennprofis Jochen Rindt, Bruce McLaren und Graham Hill, durch die sich eine ungemein faszinierende Verschmelzung von Fiktion und Realität vollzieht.

Gleich zu Beginn schockt uns Frankenheimer mit einer Horrorszene: Pete Arons Fahrzeug rast auf das Meer zu, durchbricht die Planke und stürzt ins Wasser, während Scott Stoddards Bolide schräg über einen Steilhang irrt, um sich dann grauenvoll zu überschlagen. Aron kommt mit wenigen Blessuren davon und wird von Tauchern und herbeieilenden Fischern aus dem Wasser gezogen, das versunkene Fahrzeugwrack später, in der Nacht, von einem Kran geborgen. Auch Stoddard überlebt den Crash; aber er wird, fast wie ein lebloser Torso, aus dem völlig demolierten Wagen gezogen, der sich in dieser Szene als bedrohliche Todesfalle präsentiert.

Dass die Fahrer von Rennen zu Rennen denken, spiegelt sich auch in der Handlung von „Grand Prix“ wieder, die eigentlich nur aus der ständigen Abfolge der wahnwitzigen Rennen besteht. Der Film spürt dem buchstäblichen Drive der Fahrer nach, weshalb sie Rennen auf Rennen ihr Leben riskieren: Für Geld? Für Ruhm? Als die Wagen durch die verschlungenen Straßen von Monaco brausen, hört man die Fahrer im Monolog, wie sie ihre Gedanken offenbaren. Sie gehören zu einer kleinen Elite – auf der ganzen Welt existieren höchstens dreißig Menschen, die den Belastungen der Formel 1 standhalten. Und sie alle scheint bloß der Nervenkitzel anzutreiben, sich in die „Särge“ zu setzen, als die sie manch einer von ihnen selbstzynisch bezeichnet.

Text verfasst von: Robert Lorenz