Filmtipp

Kiss Me Deadly (1955)

Kurzbeschreibung: In Robert Aldrichs brilliantem Noir-Thriller wird der gerissene tough guy Mike Hammer, ein Privatdetektiv, in einen mörderischen Verbrechenskomplex verstrickt, dessen Zweck bis zum Schluss verborgen bleibt. Einer der besten Filme der 1950er Jahre, zeitlos gut.

Social-Media-Optionen

Dieser Film, mitten in den schwarz-weißen Filmfünfzigern gedreht, ist so zeitlos, elegant und stimmungsvoll wie nur wenige andere seiner Zeit. Genauso wie die Motive, die hier Menschen foltern, erpressen und töten lassen: die Gier nach Macht und die Gier nach Geld. Anderthalb Stunden jagen die Beteiligten etwas hinterher – um was es geht, erschließt sich den Zuschauern zusammen mit dem Protagonisten Mike Hammer (Ralph Meeker) jedoch erst ganz zum Schluss. „What is it you’re after, Mike?“, fragt irgendwann Hammers Sekretärin Velda Wickman (Maxine Cooper). „They are the nameless ones who kill people for the great whatsit. Does it exist? Who cares? Everyone is everywhere involved in a fruitless search – for what?

Diese mörderische Jagd nach dem „great whatsit“ ist unfassbar destruktiv und kennt am Ende nur Verlierer. Alles beginnt auf einer Straße in den kalifornischen Hügeln, außerhalb von L.A.: Hammer, ein gutaussehender, stämmiger Privatdetektiv, braust in seinem Sportwagen durch die Westküstennacht und liest eine Frau auf (Cloris Leachman), die lediglich einen Trenchcoat trägt. Sie ist gerade aus einer Institution geflohen, die man damals vermutlich als „Irrenanstalt“ bezeichnet hätte. Aber Hammer und die Frau kommen nicht weit, geraten in die Fänge von Gangstern. Sie wird zu Tode gefoltert, während Hammer bewusstlos am Boden liegt. Hammer überlebt dagegen den Crash, als die unbekannten Killer ihn und die Frauenleiche im Sportwagen einen Abhang hinabstoßen.

Damit sind Hammers Wut und Ehrgeiz entfesselt, seinen Beinahemördern auf die Schliche zu kommen. Als Anhaltspunkt hat ihm die ermordete Frau einen Brief hinterlassen, in dem wie eine Nachricht aus dem Jenseits steht: „Remember Me“. Normalerweise befasst sich der egozentrische Schnüffler nur mit schmierigen Scheidungsfällen; aber jetzt ermittelt er aus eigenem Interesse – unablässig, unerschrocken, unerbittlich. So verschlägt es ihn irgendwann nach Beverly Hills, auf ein Luxusanwesen. Dort wohnt der Ganoven-Anführer Carl Evello, gespielt von Paul Stewart, der ganz schauderhaft äußerliche Ruhe mit innerlicher Verdorbenheit mischt. Evello trägt schon damals, lange vor den „Goodfellas“ (1990) oder den „Sopranos“ (1999–2007) ein zugeknöpftes Lacoste-Poloshirt und hat in seinem Haus spießige Accessoires, wie kleine Porzellanvasen, drapiert, umgibt sich mit Eichenholzmobiliar und hölzernen Barhockern an der Haustheke – der Gangsterboss als Spießer.

An seiner Seite weiß Hammer nur zwei Menschen. Velda, seine Assistentin und Geliebte: Sie durchschaut alles, stellt die genau ins Mark treffenden Fragen und bringt mit ihren entwaffnenden Analysen alles auf den Punkt. Sie liebt Hammer und in einer Szene entlarvt sie ihre ungleiche Beziehung: „I’m always glad when you’re in trouble because then you always come to me.“ Und Nick (Nick Dennis): Ein griechischstämmiger Mechaniker, der sich mit kindlicher Freude für starke Motoren begeistert, die er immer wieder mit Inbrunst imitiert.

Sein Schöpfer, Mickey Spillane (1918–2006), hatte Mike Hammerr ursprünglich als Comic-Figur konzipiert; erst als aus dem Projekt nichts wurde, machte er ihn zum Roman-Protagonisten. Mike Hammer – den Stacy Keach fast fünfzig Mal in der gleichnamigen TV-Serie in den 1980er Jahren spielte – gilt als Archetyp des hardboiled detective: eigennützig, brutal, eiskalt und gerissen. Gleich zu Beginn von „Kiss Me Deadly“ sagt die mysteriöse Frau, die Hammer am Straßenrand aufgabelt, als müsste sie diesen Typus Mensch in aller Prägnanz beschreiben: „You have only one real, lasting love. You. You’re one of those self-indulgent males who thinks about nothing but his clothes, his car, himself … (…) You’re the kind of person who never gives in a relationship, who only takes.

Freilich ist Mike Hammer kein gefühlskalter Egoist. Aber er riskiert andauernd das Leben der Menschen, die ihm etwas bedeuten: Nick wird wegen ihm ermordet, Velda gekidnappt. Aber wenn ihnen etwas zustößt, will Hammer die Missetäter sofort schnappen und zur Strecke bringen. Die ganze Zeit sterben Leute im Umfeld von Hammer oder werden tödlich bedroht – und nie verzieht er dabei auch nur eine Miene. Aber als Nick in seiner Werkstatt unter einem Wagen begraben wird, weil jemand – man sieht nur die Schuhe – den Wagenheber weggezogen hat: Da geht Mike Hammer in eine Bar und lässt sich volllaufen.

Der Film bezaubert mit seinen Einstellungen. Jedes Mal, wenn sich Mike Hammerr hinter das Steuer seines Sportwagens schwingt, rückt die Kamera das Fahrzeug in den unteren Bildrand, die Horizontale mit der wuchtigen Karosserie füllend; und wenn es los geht, dann braust Hammer mehr, als dass er einfach nur fahren würde – mit brüllendem Motor, dem Sound, den Nick so liebt. Robert Aldrich, der Regisseur, zeigt die Autos, als ob sie eigene Charaktere des Films wären, an der Handlung mindestens so beteiligt wie die unzähligen Nebenfiguren, mit denen sich Mike Hammer herumschlägt. Oder der kalifornische Kontrast: In der einen Szene noch inmitten der Großstadt und ihren vierspurigen Boulevards, in der anderen draußen an der Küste auf einer Straße, die nur wenige Meter vom Pazifikwasser am Sandstrand entlang führt.

Und Aldrich stellt genüsslich all die kleinen Gewalttaten heraus, auf die seine Charaktere bei der Verfolgung ihrer Interessen zurückgreifen. Etwa die Szene, in der Hammer endlich auf das Geheimnis stößt, das sich in dem Satz: „Remember me“, versteckt – ein Schlüssel, den ihm der geldgierige Obduktionsarzt (Percy Helton) erst gegen entsprechendes „Cash“ aushändigen will und sich mit dem Dollar-Bündel, das ihm Mike Hammer auf den Schreibtisch legt, nicht zufrieden gibt. Diese Gier des Pathologen bestraft Hammer, indem er die Hand des Arztes in der Schreibtischschublade einklemmt, als der dort gerade den kostbaren Schlüssel wegschließen will – und die Kamera zeigt dabei abwechselnd auf den Pathologen, der mit schmerzverzerrtem Gesicht entsetzlich schreit, und auf Mike Hammer, der dabei grinst. Und während der Arzt anschließend wimmernd an der Wand lehnt, grübelt Mike Hammer in aller Seelenruhe, was die Kennung „HAC“ auf dem Schlüssel wohl zu bedeuten hat.

Schließlich der Schlussteil des Films: Nahezu den gesamten Film über ist Hammer stets makellos adrett, konzentriert, energisch, unermüdlich; dann aber, nach der unheilvollen Begegnung mit dem „great whatsit“, ist er im Moment der so lange begehrten Erkenntnis völlig derangiert, ermattet: die Krawatte nur noch lose umgehängt, das Haar zerzaust, die Kleidung verkrumpelt. Und noch immer ist für die Zuschauer nicht ganz klar, was sich nun eigentlich in der Box verbirgt, die Mike Hammer bloß für einen kurzen Moment geöffnet hat.

Die Schlussszene offenbart es dann, eine Horrorvorstellung der Menschen im Zeitalter der Atomenergie: Wie Höllengeschrei – im Untertitel als „powerful hissing“ beschrieben –, wird das Strandhaus, in dem sich Mike und Velda befinden, von grellem Licht, das trotz Dunkelheit in flackerndem Rhythmus den ganzen Strand erleuchtet, vertilgt. Eine grauenvolle Macht ist am Strand von Malibu entfesselt – viel wütender und tobender als das Ende in „Raiders of the Lost Ark“ (1981).

Text verfasst von: Robert Lorenz