Filmtipp

Made in Britain (1982)

Kurzbeschreibung: Mit diesem Low-Budget-Film debütierte Tim Roth in den frühen Achtzigern. Darin spielt er einen 16-jährigen Skinhead, der in einem selbstzerstörerischen Feldzug gegen Normen und Autoritäten durch die Straßen von London zieht.

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Kaum zu glauben. Aber alleine das macht diesen Film, der zu Beginn der 1980er Jahre für eine lächerliche Summe von etwa 1000 Pfund für das britische Fernsehen produziert worden ist, schon sehenswert: Der gewaltbereite Skinhead mit seinem Hakenkreuz-Tattoo zwischen den Augenbrauen ist kein Geringerer als Tim Roth, damals noch jungenhafte zwanzig Jahre alt. Sein Charakter, den er hier in seinem Schauspieldebüt mimt, ist zwar etwas jünger, erst 16. Aber nichtsdestotrotz legt der junge Roth hier eine erschütternd furiose Vorstellung hin. Die innere Anspannung, die ziellose Entschlossenheit und das berserkerhafte Gemüt seiner Figur sprechen aus Körperhaltung und Mimik von Roth. Wie ein eingesperrter Tiger schleicht er im Kreis hinter der verschlossenen Tür der Zelle, in die man ihn mit mehreren Männern kurz zuvor wie ein wildes Tier im Würgegriff gezerrt hat.

Trevor ist ein notorischer Autodieb, aber auch ein hasserfüllter Rassist, der seinen „Stolz“ auf Großbritannien als aggressives Bekenntnis postuliert und die britische Gesellschaft von Ausländern bedroht sieht. Gerade hat er einem „fuckin’ Paki bastard“ das Fenster eingeschmissen, nun steht er mal wieder vor Gericht. Unbeeindruckt von der einschüchternd gemeinten Szenerie der Justizinstitution lässt er sich vom Richter, dem grauhaarigen Stereotyp der von Trevor verhassten Klasse, seine Delikte aufzählen, um dann mit einer umso größeren Entschlossenheit den Gerichtssaal wieder zu verlassen. In dieser Szene wird ein besonders aggressiver Song der schottischen Punkcombo „The Exploited“ eingespielt – und damit Trevors innere Wut aus dessen stummem Gesicht geschrien.

Für das Gefängnis ist Trevor noch zu jung; aber diesmal wird er in ein „Assessment Center“ verwiesen, wo sein soziales Rehabilitationspotenzial unter mehrwöchiger Beobachtung beurteilt werden soll. Nachdem ihm die Sozialarbeiter klargemacht haben, dass für ihn als nächste Stufe nur noch das Gefängnis bevorsteht, besinnt er sich nicht etwa, sondern fährt unberührt fort, als ob er einem Computer gleich ein selbstzerstörerisches Programm ausführte, dessen Ablauf, einmal gestartet, nicht mehr abgebrochen werden kann. Seinem Betreuer, den er im Glauben gelassen hat, sich im Austausch für ein paar Zugeständnisse nun an die Regeln zu halten, stiehlt er den Schlüsselbund, um seinen Chaostrip durch die von ihm zutiefst verachtete Mehrheitsgesellschaft fortzusetzen. Gemeinsam mit seinem Zimmergenossen Errol schleicht er sich in den Karteiraum, um auf seine Akte zu urinieren; anschließend kapert er den „Transit“-Bus der Anstalt, startet einen rassistischen Steineschmeißer-Raid auf ein Haus, in dem er Pakistaner vermutet (sein Opfer Mr. Shahwanaz verhöhnt er als „Mr. Shahnawanker’s“), um die ganze Aktion schließlich darin eskalieren zu lassen, dass er am Haupteingang einer Polizeistation ein Behördenfahrzeug rammt.

Für Polizisten und Staatsdiener – ob in der Besserungsanstalt oder im Jobcenter – hat er nur Verachtung übrig, überzieht alle, auf die er trifft, mit wüsten Beschimpfungen und lässt auf der Straße nur wenige Meter vergehen, ehe er ein Auto knackt oder eine Scheibe einschmeißt. Die manchmal ja mitunter berechtigte Kritik an pauschalen Disziplingeboten formaler Autoritäten und insofern legitime Forderung nach mehr persönlicher Entfaltungsfreiheit und Selbstbestimmung – das also, für was die Chiffre der „68er“ steht –, überhitzt sich bei Trevor zu einem antisozialen Amoklauf gegen sämtliche Normen und Konventionen. Die Intelligenz, die ihm seine Lehrer und Betreuer in ihren zahllosen Berichten attestiert haben, findet ihre Befriedigung nicht in herkömmlichen Erfolgserlebnissen, sondern in der permanenten Flucht aus brenzligen Situationen, aus Verhaftungen, Gerichtsverfahren und eben Betreuungsinstitutionen, in die sich Trevor immer wieder manövriert.

Tim Roth spielt diese impulsive Figur beängstigend realistisch. So gut, dass man sich unweigerlich fragt, welche soziale Konstellation eine solche Persönlichkeit eigentlich gebiert. Zu keiner Zeit lässt sich vorausahnen, welche halsbrecherische, selbstzerstörerische Aktion als nächste bevorsteht und zu welcher Steigerung Trevor noch fähig ist. Dieser Typ ist zwar nicht dumm, aber durchgeknallt und unberechenbar. Die Rolle markiert den Beginn einer ganzen Serie exzentrischer Figuren, die Roth gespielt hat: In „The Hit“ (1984) trat er als hooliganesker Assistent eines Profikillers (John Hurt) auf, mit dem zusammen er eine Geisel von Spanien nach Paris bringen soll – und auf dem Trip u.a. eine Gruppe Spanier in einer Straßenkneipe zusammenschlägt; längst Kult ist seine Rolle als Mr.&nbsp,Orange in Quentin Tarantinos „Reservoir Dogs“ (1992), in dem er einen namenlosen Gangster spielt, der elendig an einer Schussverletzung krepiert.

Jedenfalls: Die explosive, zerstörerische Energie, die Tim Roth seiner Figur verleiht, darf ohne Umschweife als große Leistung gelten. Aus Roth’ Trevor spricht eine Angst, die damals, in den frühen 1980er Jahren, in der britischen Gesellschaft grassierte: Seinerzeit wandelte sich die historisch begründete Angst vieler Briten vor einer militärischen Invasion in eine Angst vor der demografischen Unterwanderung, einer schleichenden Fremdeninvasion. „Made in Britain“ entstand zu einer Zeit, als etwa ein Londoner Stadtrat eine Einreisebeschränkung für Ausländer vorschlug. „Made in Britain“ ist aber auch die Geschichte von einem, der glaubt, nichts, aber auch gar nichts zu verlieren zu haben, und aus dieser Überzeugung eine energische Radikalität bezieht, mit der er gnadenlos die Schwächen des Systems von Law-and-Order ausnutzt und ausgerechnet jene tyrannisiert, die zu seiner Hilfe eilen. „You were a constant truant at school – a failure, it seems. […] It’s a long, depressing list.“ – Dieses ernüchternde Fazit seiner bisherigen Lebensleistung hält ihm ein Sozialarbeiter entgegen; aber in diesem Film gibt es nicht den erlösenden Augenblick der Läuterung.

Text verfasst von: Robert Lorenz