Filmtipp

Pal Joey (1957)

Kurzbeschreibung: Der große Frank Sinatra als mittelloser Entertainer, der im San Francisco der späten 1950er Jahre die Chance sucht, einen eigenen Nachtclub zu führen. Bei der Verwirklichung seines Traumes gerät er in eine amouröse Zwickmühle. Ein Film, in dem drei Hollywood-Legenden aufeinandertreffen und der zeigt, wie sexualisiert die 1950er Jahre in Wirklichkeit waren.

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Die Frauen liegen ihm zu Füßen, er kann fantastisch singen und kostet gerne Drinks – und schöne Frauen. Er genießt das Jetzt – es sind Züge, die man der rheinländischen Lebensart nachsagt, die diesen Mann auszeichnen. Und der Darsteller dahinter spielt sich zu einem guten Teil selbst: Frank Sinatra. Im Dezember 2015 wäre er 100 Jahre alt geworden. Geboren wurde er am 12. Dezember 1915 am Hudson River in Hoboken, dem berüchtigten Stadtteil von New Jersey, gegenüber von Manhattan. Aber Sinatra assoziiert man nicht unbedingt mit dem melancholisch-intellektuellen Klima der Ostküste; stattdessen ist er eine Repräsentationsfigur des kalifornischen Glamour-Lebens, eine Ikone des Hollywoods der 1950er und 1960er Jahre. Dorthin, in die Gefilde der sonnenbeschienenen Westküste, verschlägt es ihn auch in „Pal Joey“, nach San Francisco.

Geld oder Liebe

Wie gesagt: Auch Sinatra trank gerne über den Durst und mochte die Frauen, sein Geld hielt er eine Zeitlang mehr schlecht als recht zusammen – so ebenfalls der Protagonist in „Pal Joey“. Der heißt Joey Evans und ist ein abgehalfterter Entertainer, den die Polizei aus einer namenlosen Stadt wirft, weil er dort mit der (minderjährigen) Tochter des Bürgermeisters angebandelt hat. Dieser offensichtliche Tunichtgut und notorische Herzensbrecher, dessen einziger Besitz aus einem Dreiteiler mit Hut und einem Paar Schuhe mit roten Sohlen, auf denen in weißer Schrift sein Name prangt, besteht, kommt nun mit leeren Taschen (und ohne Gepäck) im San Francisco der späten 1950er Jahre an. Mittelos wie er ist – und ganz offenbar daran gewöhnt –, begibt er sich umgehend in die zwielichtige Unterhaltungsszene und heuert als Sänger in einem Nachtclub an. Der ist eine Sammelstätte hübscher Tänzerinnen, die sogleich sämtlich Joeys unverwechselbarem Charme erliegen – amouröse Komplikationen sind also vorprogrammiert.

Joey Evans indes will seinem turbulenten Leben eine Wendung geben, endlich einen alten Traum verwirklichen. Der besteht darin, einen eigenen Nachtclub zu führen – aber natürlich fehlt ihm dafür das Geld. Also geht er auf die Suche nach einem Sponsor – er findet ihn in Gestalt einer steinreichen Witwe findet. Hier ist der Film, erstaunlich für die damalige Zeit, völlig offen und direkt, beinahe zynisch: Denn die Frau, selbst einmal Sängerin gewesen, verlangt für ihr finanzielles Investment nichts anderes als Sex. Im Austausch für den Club muss Evans lustvolle Liebesnächte in ihrem Bett verbringen. Verliebt hat er sich aber in eine andere: die schüchterne Tänzerin Linda English (Kim Novak). Das Leben in der Unterhaltungsbranche, so die bittere Botschaft des ansonsten heiteren Films, ist hart und verlangt manchmal schmerzliche Kompromisse.

Aufeinandertreffen zweier Generationen

Dem Film liegt ein gleichnamiges Musical zugrunde, das in den 1940er und 1950er Jahren am Broadway viel Geld einspielte. Auch die Kinofassung ist als Musical ausgewiesen; doch sollte man hier, je nach persönlicher Neigung, weder skeptisch noch euphorisch sein. Denn die Gesangseinlagen – nur Sinatra hat seine Parts selbst gesungen – sind insofern realistisch, als sie bis auf eine Ausnahme lediglich auf der Bühne, also in natürlichem Kontext, stattfinden; niemand braucht also zu fürchten (oder zu hoffen), dass der konventionelle Spielfluss der Akteure durch spontane Gesangseinlagen unterbrochen wird, sprich: Keiner singt hier Dialoge, die Handlung wird nicht mit Musical-Szenen à la „Mary Poppins“ (1964) oder „Sweeney Todd“ (2007) weitergesponnen.

Der Cast ist in den Hauptrollen hochkarätig, jedoch ohne Überraschungen. In einer Nebenrolle spielt die damals 28-jährige Barbara Nichols (1928–1976), die in den 1950er Jahren mit Marilyn Monroe (1926–1962) um den Status von Amerikas attraktivster Blondine konkurriert hat. Zu verfehlen ist sie im Film auch so nicht, denn die von ihr gemimte Tänzerin Gladys besticht durch ihre grelle Stimme, mit der sie ziemlich unverhohlen Joey zu einer lasziven Zweisamkeit überreden will. In der Komparsen-Riege versteckt sich zudem der Big-Band-Leader Bobby Sherwood (1914–1981), der zwischen 1933 und 1942 für Bing Crosby arbeitete und zeitweise mit Judy Garlands Schwester verheiratet war.

Das eigentliche Moment des Films liegt allerdings im Zusammentreffen der reichen Witwe Vera Simpson mit der jungen Tänzerin Linda English; denn dabei handelt es sich zugleich um eine symbolträchtige Konfrontation des seinerzeitigen Hollywood-Flaggschiffs Rita Hayworth (1918–87) mit Kim Novak, damals noch ein Sternchen am Firmament der Traumfabrik. Hayworth, obwohl erst 38 Jahre alt, wirkt hier bereits wie ein Star vergangener Tage, dessen große Zeit erkennbar abgelaufen ist. Der Glanz der einstigen „Love Goddess“ lässt sich nur noch erahnen, der Zenit ihrer Karriere – etwa in der Rolle der unvergesslichen Femme fatale „Gilda“ (1946) – liegt hier ja auch schon mehr als ein Jahrzehnt zurück. Überhaupt drehte sie nach „Pal Joey“ nur noch eine Handvoll Filme (darunter „Sie kamen nach Cordura“ (1959), „Mohn ist auch eine Blume“ (1966) oder „Der Bastard“ (1968)).

Ganz anders Kim Novak: „Pal Joey“ ist ihr letzter Film vor „Vertigo“ (1958), dem wohl bedeutsamsten und prominentesten Werk ihrer Karriere. Darin drehte sie mit Meisterregisseur Alfred Hitchcock (1899–1980) und an der Seite des Hollywood-Haudegens James Stewart (und nicht zu vergessen Barbara Bel Geddes, der späteren Miss Ellie in „Dallas“). In einer bereits für 1941 geplanten Adaption des Broadway-Hits „Pal Joey“ hatte ursprünglich Hayworth, die spätere Vera, Novaks Rolle der jüngeren Linda übernehmen sollen. Die Filmstudio-Rivalität verhinderte damals jedoch eine Umsetzung: MGM wollte seinen Star Gene Kelly (1912–96), der für die männliche Hauptrolle des Joey vorgesehen war, nicht für die Columbia-Produktion hergeben. Kellys Quasi-Nachfolger mutet im Rückblick freilich als Idealbesetzung an. Wenngleich Sinatra, ohnehin kein Muskelpaket, würde er noch leben, beim Anblick seiner schmächtigen Statur fürsorgliche Menschen zu einer eiligen Nahrungsmittelspende verleiten könnte.

Playboy-Romantik und Striptease

„Pal Joey“ zeigt ein zwischen Hedonismus und Melancholie schwebendes Ensemble im Grunde zeitloser Sozialfiguren, die es so auch 1920, 1940 oder 1970 hätte geben können: den geldhungrigen Clubmanager, den mittellosen Künstler und die aufstrebende Tänzerin, die sich mit hochtrabenden Karriereträumen trägt, aber deren Aufstieg wie bei so vielen vor und nach ihr mehr als ungewiss ist. Vom Epochenkolorit bekommt man ansonsten jedoch nicht viel mit, die meiste Zeit bewegen sich die Charaktere im Club oder in Schlafzimmern. Die wenigen Außenszenen stechen mit ihren gemalten Kulissen auch in das ungeübte Auge; aber zumindest einmal entsteigt Joey Evans einem der obligatorischen Cable Cars. Die offensichtlich nicht im Studio gedrehte Bahnhofsszene zu Beginn des Films stammt hingegen aus Berkeley. Nur die barocke Villa, in der sich der zweite Teil des Films abspielt, steht tatsächlich in San Francisco: das luxuriöse Domizil der Witwe des amerikanischen Tycoons Adolph Spreckels in den Pacific Heights. Dort, wo Sinatra, Hayworth und Novak im Film ihre Konflikte austragen und versuchen, einen Nachtclub auf die Beine zu stellen, mussten in der Realität ursprünglich acht viktorianische Gebäude zugunsten des kostspieligen Neubaus an andere Orte verlegt werden.

Die besten Szenen im Film stehen dann aber doch noch im Kontext „Musical“. Während Frank Sinatra (1915–98) in einigen seiner Kinoproduktionen einfach sich selbst spielt, wenn er als Entertainment-Virtuose diverse Songs zum Besten gibt und als charmanter Playboy die Frauen verführt, ist man das von Hayworth- und Novak-Rollen nicht gewohnt – zumal bereichert um eine abrupte Striptease-Szene. Sicher: Vieles von dem, was einstmals den Reiz des Films ausgemacht haben dürfte, entzieht sich den Sensoren heutiger Zuschauer. So werden einem wohl kaum die „wohlgeölten Gesänge und Tänze der drei Hauptdarsteller und die bunte Schau von Millionärsluxus und Nachtklubzauber“ auffallen, auf die im Sommer 1958 der Spiegel aufmerksam machte. Wohl aber „überflotte“ und „wehleidige Dialoge“: Wie in so manchen anderen Filmen aus dieser Zeit kommt das Thema „Sex“ in Form zweideutiger Formulierungen fast noch anzüglicher zur Sprache, als wenn die vermeintlich obszöne Angelegenheit einfach deutlich ausgesprochen worden wäre. An dieser Stelle nur eine Kostprobe der sexuell aufgeladenen Dialoge:

„By the way, I’m helping her with some of her arrangements.“ „Looks like she’s pretty well arranged as it is.“

„My sister worked with you in Fresno. She told me all about you.“ „Which one was she?“ „The one you didn’t get to first base with.“ „Oh, she was the ugly one. Must be twins.“

„She’s not my type.“ „They’re all your type, Joey.“

„What did I do last night?“ „You kissed me“ „I wasn’t myself.“ „Yeah, but whoever you were, you were great.“

Und als sich Hayworth’ Charakter Vera im Schein der Vormittagssonne glückselig auf ihrem Glamourbett wälzt, braucht man die erotische Liebesnacht, die diesem Glücksgefühl vorangegangen ist, nicht mal mehr erahnen. Überhaupt: Der Großteil der Handlung besteht schließlich in der Tatsache, dass sich der Protagonist seinen Nachtclub im Austausch für körperliche Liebesdienste finanziert. So ist der Film in Frankreich mit Bezug auf die Rivalität der beiden Joey-Verehrerinnen Vera und Linda sowie in Anbetracht seines frivolen Schwerpunkts dann auch konsequenter Weise unter dem Titel „La Blonde ou la Rousse“ („Die Blonde oder die Rothaarige“) erschienen.

Text verfasst von: Robert Lorenz