Filmtipp

Pat Garrett jagt Billy the Kid (1973)

Kurzbeschreibung: Zu einer Zeit, in der nur die Macht entschied, wer auf welcher Seite des Gesetzes steht: Sam Peckinpahs starke Verfilmung des amerikanischen Westernmythos um den Gunslinger Billy the Kid ist eine Collage aus schmutzigen Western-Visagen, kaltblütigem Waffengebrauch und dem brachialen Tod in Zeitlupe.

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In der bewegendsten, besten Szene des Films – vielleicht des gesamten Siebzigerjahre-Kinos – sitzt Sheriff Baker, eben erst von Garrett für seine Menschenjagd rekrutiert, auf einem Stein, mit einem Bauchschuss ist er dorthin gewankt, abseits eines Gehöfts, an dem er sich an der Seite von Garrett mit einer Ganoven-Bande gerade noch eine Schießerei geliefert hat. Im Hintergrund schwebt allmählich lauter werdende Musik heran – „Uh, uh, uh, huh“ –, Bakers Frau eilt ihrem Mann hinterher, erkennt sofort das Ausmaß der Verwundung und ihr schießen die Tränen in die entsetzten Augen, während der sterbende Baker, aufrecht sitzend, ihr seine letzten stummen Blicke zuwirft; – im Hintergrund beginnt eine Stimme zu singen: „Mama, take this badge off o’ me, ’cause I can’t use it anymore. It’s gettin’ dark, too dark to see. I feel like I’m knockin’ on Heaven’s door.“ Was unseren Ohren heute nur allzu vertraut vorkommt, war damals brandneu, nie zuvor gehört – Bob Dylan schrieb seinen anschließenden Welthit für diesen Film, für diese Szene.

Slim Pickens, oft besetzt für Kerle mit Südstaaten-Slang, spielt den tragischen Baker und gehört sicherlich nicht zu den Schauspielern, deren Namen man sich ad hoc erinnert, weil sie zum Kanon klassischer Filmbildung zählen. Wohl aber ist Pickens unvergesslich, für alle Zeit, der Mann, der in Stanley Kubricks „Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb (1964) am Ende des Films die Atombombe wie einen texanischen Stier reitet.

Diese verhängnisvolle Wild-West-Mentalität aus Kubricks berühmtem Film ist letztlich auch Thema von Sam Peckinpahs „Pat Garrett & Billy the Kid, das ein kleines, aber prominentes Kapitel der US-Geschichte auf die Leinwand gebracht hat. Der Wilde Westen kennt ja viele Mythen und Legenden, die allesamt einen beträchtlichen Teil des Geschichtsschatzes der USA ausmachen. Eine der bekanntesten Gestalten war Billy the Kid, eigentlich Henry McCarty (und auch, wie in diesem Film, William H. Bonney genannt); er lebte von 1859 bis  1881.

The law is a funny thing“ – auf diese simple Zeile wird im Film ein zentrales Charakteristikum jener Zeit heruntergebrochen: Wer einst auf der Seite des Gesetzes stand, kann sich schon kurz darauf in der Kriminalität wiederfinden. So erging es Billy the Kid, der im sogenannten Rinderkrieg von Lincoln County – einer dieser gesetzlosen Konflikte, bei denen die Sieger über legal und illegal entscheiden – focht und sich irgendwann in der Rolle des Outlaws wiederfand, weil er in einer privaten Fehde zum Rinderdieb geworden war. Der im Film kaum ausgeführte Hintergrund der Handlung ist ein Komplex aus Macht, Gier und Bestechung. Pat Garrett (James Coburn), frischgebackener Sheriff von Lincoln County, soll Billy the Kid (Kris Kristofferson) – seinen alten Gefährten – aus dem Weg räumen.

Aber Garrett will nicht; er will aber auch Job und Status behalten. In der Gesellschaft, in der Garrett und Billy so lange überlebt haben, ist so etwas fast schon ein Liebesbeweis: Garrett gewährt seinem alten, gewarnten Kompagnon genug Zeit, um sich über die Grenze nach Mexiko abzusetzen. Doch Billy bleibt, wird verhaftet, entkommt – und spätestens jetzt entbrennt eine Jagd auf ihn. Garrett soll ihn endgültig fassen, verschafft ihm jedoch abermals einen Vorsprung und damit die Möglichkeit zur Flucht ins Exil –&mnsp;und erneut bleibt der sture Gangster in einer trotzigen Freiheitsliebe, wie sie beinahe idealtypisch für die Seele der USA stehen könnte. Ein Dilemma: Zwei Freunde, beide Meister des todbringenden Waffengebrauchs, voller Respekt füreinander, stehen sich, mehr oder minder durch die äußeren Umstände gezwungen, fortan auf Leben und Tod gegenüber.

Peckinpahs Western ist voll von schmutzigen Visagen, üblen Charakteren, dreckigen Toden im Staub von New Mexico: Als Billy the Kid, faktisch zum Tode verurteilt, ausbricht, pustet er buchstäblich seinen Peiniger Ollinger (R. G. Armstrong), der Billys Exekution kaum abwarten kann, vor der versammelten Kleinstadtbevölkerung mit einer Shotgun weg – im Hintergrund hat man schon den Galgen errichtet; der Mexikaner Paco (Emilio Fernàndez) will mit Frau und Kind eine Farm aufbauen – und (ver-)endet massakriert in der Wüste; J. W. Bell (Matt Clark), einer von Garretts Männern und auch ein Weggefährte Billys, wird von Letzterem in den Rücken geschossen und dabei tot aus einem Fenster auf die Straße geschleudert.

Die politische und wirtschaftliche Elite wird nur in einer einzigen Szene gezeigt, in der Garrett zum Gouverneur (Jason Robards) einbestellt wird – und zwar als korrupt und durchtrieben: Ihre beiden wieselhaften Vertreter werfen Garrett ein 500-Dollar-Bündel zu, auf dass dieser mit brachialer Waffengewalt den flüchtigen Billy einfangen soll, der angeblich das Wachstum der aufstrebenden Region stört. Und Garrett straft diese Bigotterie mit all seiner Verachtung, die er in diesem Moment aufbringen kann. Robards spielt hier übrigens den historischen Lew Wallace (1827–1905), der damals das von Gewalt erschütterte Territorium ordnen sollte: einen früheren Bürgerkriegsgeneral und den Autor von „Ben Hur“.

Garrett handelt also als Interessenvertreter des Establishments, Billy ist eine Art anarchischer Volksheld, Peckinpahs Film eine antikapitalistische Systemkritik. Ein Lieblingsthema des Regisseurs: Für die klassischen Eisenbahn- und Bankräuber aus The Wild Bunch“ (1969) oder eben freiheitsfeiernde Gunslinger wie Billy the Kid ist in der heraufziehenden Moderne des frühen 20. Jahrhunderts mit ihren Politikern und Wirtschaftsmagnaten kein Platz mehr. Aber Peckinpah hat unter diesem Film gelitten, denn die Produktionsfirma – die altehrwürdige Metro – stutzte den Film vor Veröffentlichung zusammen, schnitt vor allem Dylan-Szenen raus, die als zu laienhaft galten. Für Peckinpah war das der letzte Beweis, dass sich in Hollywood nicht mehr frei drehen ließ – so als ob er sich in einem seiner eigenen Abgesänge befände.

Peckinpah treibt in seinem Film das alte Western-Prinzip, demnach die Skrupellosesten am längsten leben, auf die Spitze: Als Billy zum Duell mit Alamosa Bill (gespielt von Jack Elam, einem Gangstergesicht der Fünfziger) schreitet, verabreden die beiden, in der Manier von Gentlemen erst zehn Schritte zu gehen, bevor sie sich umdrehen und bei größtmöglicher Chancengleichheit ihr Glück mit dem Revolver versuchen. Aber beide betrügen – nur ist Billy dabei noch heimtückischer als sein Kotrahent. Während des Countdowns bleibt er Billy einfach stehen, dreht sich mit vorgehaltener Waffe um und wartet; Alamosa Bill setzt sich dagegen zunächst regelkonform in Bewegung, dreht sich aber bereits nach sechs Schritten um, woraufhin ihn Billy niederschießt. Und schließlich Pat Garrett, der am Ende des Films in das Haus eindringt, in dem Billy gerade mit seiner Geliebten Maria geschlafen hat (gespielt von Rita Coolidge, die mit Kristofferson von 1973 bis 1980 verheiratet war; 1983 sang sie für „Octopussy“ den Bond-Song „All Time High). Als Billy, unbewaffnet, wieder das Haus betritt, erschießt ihn Garrett ohne Vorwarnung. Was Peckinpah damit zeigt: Nur jemand, der die gleiche Mentalität hat, die gleiche Methodik anwendet, die gleiche Arglist aufbringt, kann einen Gesetzlosen wie Billy the Kid zur Strecke bringen.

Kris Kristofferson trägt hier, stets glatt rasiert, nicht seinen charakteristischen Bart, mit dem man ihn eigentlich kennt und mit dem er seine großen Rollen spielte – was ihm hier eine gänzlich andere Ausstrahlung zuteilwerden lässt. Mit der Chuzpe des gerissenen Revolverhelden schießt er sich aus brenzligen Situationen und verteidigt seine ständig bedrohte Freiheit. Er würde ihn ja wohl nicht in den Rücken schießen, fragt Bell, der von Billy im Gefängnis überlistet worden ist und ihm nun hilflos gegenübersteht – Billy schießt ihm in den Rücken und Kristofferson verleiht dem Killer dabei die Unschuldsmiene eines aufmüpfigen Jungen, der den Erwachsenen lediglich einen Streich gespielt hat. Billy the Kid reiht sich ein in Kristoffersons lebenslange Vorliebe für Außenseiter und Desperados. Er selbst war damals auch fast einer: ein Kettenraucher und Alkoholiker, der seine Army-Karriere weggeschmissen hat, Aschenbecher in den Musik-Studios von Nashville leerte, ehe er als Country- und Folk-Musiker große Erfolge feierte. Zum Superstar avancierte Kristofferson erst später, durch A Star Is Born“ (1976) oder auch „Convoy“ (1978) – aber Billy the Kid war eine seiner ersten großen Filmrollen.

Der damals ungleich berühmtere James Coburn stolziert indessen durch manche Szenen des Films wie ein eitler Dressman; in einem Bordell bestellt er sich als Bestandteil seines Wellnesprogramms einen Haufen Prostituierte zu einer kleinen Sex-Party in sein Zimmer. In seinem ersten Filmauftritt zu sehen ist Bob Dylan: Er spielt einen Mann, der sich „Alias“ nennt, auf die Seite von Billy the Kid stellt und blitzschnell einem von dessen Feinden ein Messer in den Hals wirft. Auf die Frage: „Who are you?“, entgegnet Alias/Dylan süffisant: „That’s a good question.

Stets liegt eine aggressive Grundstimmung in der stickigen Luft. Zu Beginn des Films vertreiben sich testosterongeladene Waffennarren ihre Zeit mit Zielschießen auf in einer Reihe drapierte Hähne, die dann von den Projektilen unter dem Gelächter der Männer zerfetzt werden, während im Hintergrund eine Gruppe Kinder diesem morbiden Schauspiel als gaffende Voyeure beiwohnen. Kinder sind in Peckinpah-Western ja ohnehin oft frühzeitig brutalisierte Gesellschaftsmitglieder – in „The Wild Bunch“ (1969) malträtieren sie einen Skorpion; in „Pat Garrett & Billy the Kid“ schaukeln sie vergüngt am Galgenstrick.

Oder Garretts Begleiter (gespielt von Richard Jaeckel und John Beck): Begierig warten sie darauf, Billy the Kid endlich ihre Kugeln zu verpassen; und als schließlich die Leiche des Kids auf der Veranda liegt, will ihr sogleich jemand den „trigger finger“ als kostbares Souvenir abschneiden. Oder Garrett selbst: In einer Bar zwingt er die Anwesenden in eine völlig absurde Situation. Alias muss dem Barkeeper dessen Hut ins Gesichts ziehen, sodass dieser nichts mehr sieht und mit seiner Hand nach dem Whiskyglas tastet; und während Alias im Hintergrund die Aufschriften der in einem Regal gestapelten Konservendosen vorliest, muss ein Dritter eine Flasche Whisky austrinken und ist binnen Sekunden nicht mehr zurechnungsfähig, während Garrett – ohne eine Miene zu verziehen – gelassen am Tisch sitzt, als lasse er einen anstrengenden Arbeitstag ausklingen.

Neben den detailversessenen Szenen, die sich zu einem feinfühligen Porträt der rauen Frontier-Gesellschaft zusammenfügen, ist der Film – ein weiterer Clou dieses grandiosen Werks – nicht zuletzt aus feministischer wie auch aus antirassistischer Perspektive bemerkenswert progressiv: Wann immer Filme dafür gefeiert werden, möglichst „normal“ und frei von Geschlechter- und ethnischen Stereotypen eine Frau bzw. die Angehörige einer Minderheit als Protagonistin und Heldin, als gleichrangig und nicht als Sexobjekt zu zeigen, sollte man sich diesen Peckinpah-Streifen aus dem Jahr 1973 ansehen, in dem Katy Jurado als Ehefrau eines weißen Sheriffs wortlos die Shotgun aus dem Schrank nimmt und mit Garrett loszieht, um Kriminelle zur Strecke zu bringen – ganz en passant, ohne jegliches Aufheben um ihr Geschlecht oder irgendein anderes Merkmal.

Text verfasst von: Robert Lorenz