Filmtipp

Sunset Boulevard (1950)

Kurzbeschreibung: Eine Stummfilmdiva aus den Pioniertagen der Traumfabrik plant ihr phänomenales Comeback. Allen außer ihr ist klar, dass der Ausbruchsversuch aus ihrem egozentrischen Mikrokosmos nicht gelingen wird. Billy Wilders Film ist eine dramatische Geschichte von menschlichem Ewigkeitsstreben, das sich der unbarmherzigen Kurzlebigkeit von Ruhm und Glück zu widersetzen sucht.

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Das verlassene Grundstück ist jetzt seine große Hoffnung. In dessen Einfahrt rettet sich der verschuldete Drehbuchschreiber Joe Gillis (William HoldenInfo-Bubble: zum Anklicken für zusätzliches Filmwissen

Hauptdarsteller William Holden (1918–81) wurde für seine Darbietung 1951 immerhin mit einer „Oscar“-Nominierung bedacht – den Preis gewann am Ende José Ferrer (1912–1992) für „Cyrano de Bergerac“ (1950). 1950 spielte Holden in gleich zwei Produktionen die männliche Hauptrolle („Sunset Boulevard“ und „Born Yesterday“) – beide weiblichen Co-Stars, Gloria Swanson (1899–1983) und Judy Holliday (1921–65), waren bei den 23. Academy Awards im Jahr 1951 für die beste weibliche Hauptrolle nominiert (Holliday gewann). Das wiederholte sich kurze Zeit später: 1954 spielte Holden an der Seite von Grace Kelly (in „The Country Girl“) und Audrey Hepburn (in „Sabrina“), die wiederum beide für die beste weibliche Hauptrolle nominiert wurden, woraufhin erneut eine Holden-Filmpartnerin gewann (Kelly).

). Auf der Flucht vor Geldeintreibern hat er gerade eine Autopanne erlitten. Wie ein entflohener Häftling tastet er sich in seinem Versteck voran. „It was a great big white elephant of a place. The kind crazy movie people built in the crazy twenties.“ Ehe er sich versieht, entpuppt sich die sarkastische Beschreibung als Realität – denn während er das Gelände erkundet, trifft er auf die Besitzerin, die ihn verwechselt mit dem Konstrukteur des Sargs, in dem sie ihren kürzlich verstorbenen Schimpansen bestatten will. Bei der Eigentümerin handelt es sich um Norma Desmond (Gloria SwansonInfo-Bubble: zum Anklicken für zusätzliches Filmwissen

Gloria Swanson hatte zeitweise eine Affäre mit Joseph P. Kennedy, dem Vater des späteren US-Präsidenten John F. Kennedy und des Senators Robert F. Kennedy. Mithilfe des damaligen Bankers Kennedy, dessen Geld ihre Produktionsfirma finanzierte, feuerte sie während der Arbeiten an „Queen Kelly“ (1928/29) Regisseur Stroheim, mit dem sie Jahre später dann in „Sunset Boulevard“ spielte.

), eine depressive Stummfilmqueen in ihren Fünfzigern, deren Trauer weniger ihrem dahingeschiedenen Kumpanen als ihrem verblichenen Starstatus aus den 1920er Jahren gilt. In tiefer Melancholie bewohnt sie zusammen mit ihrem treuen Butler Max (Erich v. Stroheim) ein verwunschenes Anwesen, das mit einem von Ratten bevölkerten Swimming Pool und einer verfallenen Tennisanlage vom Glanz und Reichtum vergangener Zeiten zeugt. Besessen von dem Gedanken, wieder an die Spitze von Hollywood zurückzukehren, hat sie ein Filmskript geschrieben – nun engagiert sie kurzerhand den abgebrannten Schreiber Gillis, damit der bei der Verwirklichung ihrer Obsession helfen kann. Mit der Aussicht auf ein passables Auskommen und in Ermangelung von Alternativen nimmt Gillis das Jobangebot der ganz offensichtlich realitätsentrückten Ex-Diva an.

Was folgt, ist eine Symbiose zweier blockierter Menschen Hollywoods, der eine am Anfang, der andere am Ende seiner Karriere. Gillis quartiert sich in der exzentrischen Luxus-Villa ein, in der hunderte von Desmond-Porträts drapiert sind und in der die Schauspielerin in ihrem Privatkino die eigenen Filme abspielen lässt („So much nicer than going out, she’d say.“). Damit wird Gillis Teil der bizarren Scheinwelt, die Butler Max nach mehreren Selbstmordversuchen Desmonds errichtet hat. Aber die verzweifelte Illusion droht zu enden, als sich die einstige Hollywoodikone zu ihrem alten Studio (Paramount, das auch in der Realität „Sunset Boulevard“ produziert hat) aufmacht, in der festen Erwartung, dort aufgrund ihrer vermeintlich genialen Filmidee mit offenen Armen empfangen und zurück ins Rampenlicht geholt zu werden.

„Sunset Boulevard“ ist ein Film aus Hollywood über Hollywood. Mit tragikomischem Unterton wirft er einen überaus zynischen Blick auf das Filmbusiness im Allgemeinen, die Pathologien und Neurosen der „Traumfabrik“ im Besonderen – ein „Abgesang“, wie es so oft heißt. Man soll sehen, wie verschwenderisch die Stars des frühen Hollywood in ihrem Geld schwelgten und in welch extravagante wie sinnlose Lebensweise sie ihre immensen Gagen investierten. Glück kann man bekanntlich nicht kaufen. Man soll auch sehen, wie sich in den Besitztümern – megalomane Villen, kostspieliges Material für jedes noch so belanglose Accessoire und handgefertigte Limousinen mit Leopardenfell-bespanntem Interieur – bereits die Entfernung von der Wirklichkeit andeutet. Vor allem aber soll man die schnelle Vergänglichkeit von Ruhm nachvollziehen, die im Zusammenspiel mit menschlicher Eitelkeit und Geltungssucht leicht persönliche Tragödien heraufbeschwören kann. Statt sich mit dem Bewusstsein einer glanzvollen Vergangenheit zu begnügen, will Norma Desmond, stellvertretend für Ihresgleichen, um jeden Preis die einstige Größe zurückerlangen, ja steigern. Für die ihr im Tonfilm Nachgefolgten hat sie aus postpubertärem Selbstschutz nichts weiter als Verachtung übrig („We didn’t need dialogue. We had faces. There just aren’t any faces like that any more. Maybe one, Garbo.“). Mit dem Blick auf Norma Desmond lässt sich wirklich gut begreifen, wie fatal der Aufstieg zu Glanz und Gloria sein kann, wenn er zum Selbstzweck verkommt.

Klar: Allzu subtil ist die im Titel eingebaute Metapher des Sonnenuntergangs nicht (was in der deutschen Version „Boulevard der Dämmerung“ noch aufdringlicher daherkommt). Doch im Zusammenspiel mit all den offensichtlichen und versteckten Referenzen zum alten Hollywood ergibt sich dann doch eine ergreifende Aura. Dazu trägt vor allem der erstaunlich selbstironische Wirklichkeitsbezug der Filmbesetzung bei.

Obwohl sie bei Weitem nicht die erste Wahl gewesen war, erweist sich Gloria Swanson (1899–1983) zweifelsfrei als Idealbesetzung für die Rolle der einstigen Stummfilmdiva – denn sie selbst war eine solche. Mehr noch: Sie war überhaupt die erste ihrer Art, mit ihren prahlerischen Ausgaben definierte sie die Grenzen der Extravaganz. Ihr Debütfilm datiert aus dem Jahr 1915, wie ihr Alter Ego in „Sunset Boulevard“ erlebte Swanson ihre schauspielerische Hochzeit in den 1920er Jahren und ebenfalls wie ihr Filmpendant verschliss sie mehrere Ehemänner. Wie Desmond erwarb auch Swanson in der Euphorie ihrer großen Erfolgstage ein Anwesen von zu damaliger Zeit gigantischen Ausmaßes, das eine 22-Zimmer-Villa mit fünf Badezimmern, einem Fahrstuhl und einer 300-Quadratmeterterrasse umfasste (tatsächlich lag Swansons einstige Heimstatt nur wenige Meter vom Sunset Boulevard entfernt); außerdem unterhielt sie einen Rolls-Royce-Fuhrpark (die Leopardensitzbezüge befanden sich allerdings in ihrem Lancia). Um die Parallele zur Wirklichkeit noch weiter zu treiben, wurde zudem die Regielegende Cecil B. DeMille (1881–1959) in das Ensemble integriertInfo-Bubble: zum Anklicken für zusätzliches Filmwissen

Den Film, dessen Dreharbeiten Norma Desmond in „Sunset Boulevard“ unterbricht, als sie majestätisch Einzug in ihr früheres Studio hält, drehte Cecil B. DeMille (1881-1959) tatsächlich gerade: „Samson and Delilah“ (1949). Teile der Filmcrew und des Casts sind in Desmonds Studiobesuch zu sehen.

; DeMille spielt sich selbst und hatte, nicht wie im Film dargestellt mit der fiktiven Desmond, sondern auch einst mit der realen Swanson gedreht. Dem Filmplot gleich, war Swanson durch DeMille bekannt geworden. Und wie bei ihrem Filmcharakter Desmond war auch Swansons große Zeit mit dem Ende des Stummfilmzeitalters vorüber; ironischerweise gelang Swanson mit „Sunset Boulevard“ eine in diesem Kontext umso fulminantere Rückkehr, wurde sie doch 1951 für einen „Oscar“ nominiert (den dann allerdings – auf der Leinwand ebenso an der Seite von William Holden – die über zwanzig Jahre jüngere Judy Holliday für „Born Yesterday“ gewann).

Auch der verschlossene Butler Max, ein gescheiterter Ex-Topregisseur, ist mit einer biografisch konvergenten Persönlichkeit besetzt, nämlich mit dem ehemaligen Stummfilmregisseur Erich v. Stroheim (1885–1957). Im Wien der kaiserlich-königlichen Donaumonarchie 1885 zur Welt gekommen, übersiedelte Stroheim in die USA, wurde Schauspieler, drehte 1918 seinen ersten Film und avancierte in den 1920er Jahren zu einem der bekanntesten Filmemacher Hollywoods. Weil er jedoch regelmäßig die Produktionskosten explodieren ließ, in Hollywoodgefilden bald als „$troheim“ firmierte, wollte irgendwann kein Studio mehr mit ihm zusammenarbeiten.

Die Ähnlichkeit zwischen fiktiven Figuren und realen Schauspielern, die Spiegelung der Schicksale im echten Leben auf der Leinwand und die fast schon masochistische Härte der Darsteller gegen sich selbst, dies vor aller Welt zu spielen: das ist überhaupt das gigantische Moment von „Sunset Boulevard“.

Eine zusätzliche Brisanz gewinnt die Kombination der Stummfilmrelikte Stroheim und Swanson durch deren gemeinsame Geschichte: Zusammen hatten sie 1928/29 für die damals astronomische Summe von rund 800.000 US-Dollar „Queen Kelly“ aufgenommen; noch während der Dreharbeiten sorgte Swanson für Stroheims Rausschmiss. Eben dieser Film flackert zwei Jahrzehnte später in „Sunset Boulevard“ über die Heimkinoleinwand von Norma Desmond (Swanson), während Stroheim als Butler den Projektor ankurbelt.

Kurzum: „Sunset Boulevard“ zieht die Zuschauer auf vielen Ebenen in seinen Bann. Erstens ist er hervorragend gemacht, erzeugt eine stimmige Atmosphäre und bietet ein wirklich imposantes Schauspielensemble auf. Zweitens nimmt der Film eine kritische Perspektive auf das Filmgeschäft mit all seinen Schattenseiten ein; ja er gilt inzwischen als eine legendäre Selbstreflexion Hollywoods, die es in die Riege der absoluten Filmklassiker geschafft hat und seither in ewigen Bestenlisten einen obligatorischen Platz erhält. Drittens schließlich wird das ohnehin schon beeindruckende Werk zusätzlich von den beinahe masochistischen Wirklichkeitsbezügen der Beteiligten veredelt – man achte bloß auf die trostlose Bridge-Partie, die ein Gipfeltreffen der Beletage des Stummfilmzeitalters ist. In dieser Szene hat Norma Desmond Bekannte aus alten Tagen zum verrauchten Bridge-Spiel geladen. Die drei Personen, die Gillis als „her waxworks“ beschreibt, sind tatsächlich Titanen der Stummfilmära: das schwedische Ex-Model Anna Q. Nilsson (1888–1974), das 1914 zur schönsten Schauspielerin der Welt gewählt worden war und 1919 als „the ideal American girl“ firmierte; Nilssons früherer Filmpartner H. B. Warner (1875–1958), der sich unter der Regie von DeMille in „The King of Kings“ (1927) in der Rolle von Jesus Christus einen Eintrag in der Filmhistorie sicherte; und der für seine Alkoholeskapaden berüchtigte Buster Keaton (1895–1966).

Es sind solche scheinbar beiläufigen Einstellungen, auch spontan geniale Einlagen wie Swansons Chaplin-Imitation oder schlicht die edle Schwarz-Weiß-Optik, die Billy Wilders Demontage des Filmstar-Konzepts zu einem der besten Hollywood-Filme machen.

Text verfasst von: Robert Lorenz