Filmtipp

The Candidate (1972)

Kurzbeschreibung: Ein Außenseiter bewirbt sich um einen Platz im US-Kongress. Die amerikanische Wahlkampfkultur mit ihren oberflächlichen Routinen und banalen Ritualen macht aus dem Idealisten einen Zyniker des Politgeschäfts.

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Rechtsanwalt Bill McKay (Robert Redford) ist der Sohn eines Ex-Gouverneurs. Er kennt daher nur zu allzu gut die Leiden und Eigenheiten der Politik – jedenfalls aus Sicht der Kollateralopfer: der Familienangehörigen. Nun wird er von der Demokratischen Partei gebeten, im Rennen um einen der beiden kalifornischen Senatsplätze gegen den Amtsinhaber Crocker Jarmon (Don Porter) anzutreten. Der linksliberale Herausforderer McKay verfügt zwar über jugendlichen Charme und rhetorisches Talent; doch aus Sicht der Parteistrategen ist er von vorneherein nur ein Zählkandidat – sind doch im politischen System der USA Kandidaturen gegen amtierende Kongressmitglieder zumeist aussichtslose Unterfangen, erst Recht gegen Vollblutpolitiker vom Schlage Crocker Jarmons Info-Bubble: zum Anklicken für zusätzliches Filmwissen

Diese wissenschaftlich gestützte Erkenntnis war auch Tenor der damaligen Zeit. Im November 1973 charakterisierte etwa der Spiegel in einer Titelgeschichte das politische System der USA als eine korruptionsanfällige Eigenwelt, in der „sich die stolzen Herren der Gesetzgebung ihres Lebens freuen, an ihren Pulten ruhig schlafen, sich selber Zuschüsse aus Steuergeldern zuschanzen […] und sich in Sicherheit wiegen, weil sie wissen, wie unwahrscheinlich es ist, daß man ihnen dieses Vergnügen und diese Macht jemals wegnimmt“.

. Aus Sicht der Partei geht es also lediglich um eine würdevolle Niederlage. Aber McKay lässt sich dennoch breitschlagen und kandidert – aber natürlich reichen seine Ambitionen weiter, als bloß ein passabler Verlierer zu sein.

Schnell droht dann auch die Kampagne des Greenhorns McKay (Slogan: „The Better Way!“) in einem Debakel zu enden. Helfen kann ihm nur noch der routinierte Politstratege Marvin Lucas (Peter Boyle), der verzweifelt versucht, dem unkonventionellen Kandidaten einen professionellen Auftritt zu verschaffen. Dadurch allerdings fällt es dem telegenen McKay zunehmend schwerer, seine anfangs reine Moral nicht durch opportunistische Anpassung zu korrumpieren. Bald werden jedoch aus überzeugten Statements medientaugliche Floskeln. McKays hehre Ansprüche werden immer weiter reduziert, bis der Kandidat in der oberflächlichen Routine des Politikbetriebs aufgeht, in dem die Mittel zum Zweck werden. McKay muss sich strapaziösen Prozeduren wie den Straßengesprächen oder politkulturellen Ritualen wie dem Wahlkampfbarbecue aussetzen, sich in der Disziplin des hektischen Small Talks beweisen und Unglücksfälle verkommen zur willkommenen Kulisse persönlicher Profilierung.

„The Candidate“ entstand zu einer Zeit, als sich Redford gerade anschickte, zum Superstar des amerikanischen Kinos zu avancieren. In seiner persönlichen Filmchronologie steht die Politsatire unmittelbar vor Filmen wie „The Sting“/„Der Clou“ (1973), „The Great Gatsby“ (1974) oder „All the President’s Men“ (1976), die seinen Status als Hollywood-Legende begründet haben. Zusammen mit Regisseur Michael Ritchie hatte Redford noch kurze Zeit zuvor die Skisportinspektion „Downhill Racer“ (1969) gedreht.

Seine Figur des politischen Seiteneinsteigers in „The Candidate“ entwickelte schnell ein Eigenleben. Nachdem bereits bei einer kalifornischen Abstimmung im Sommer 1972 auf mehreren Stimmzetteln für „McKay“ votiert worden war, planten Ende der 1970er Jahre demokratische Aktivisten in Redfords Wahlheimatstaat Utah, den Schauspielstar für die Senatswahlen zu nominieren. In der Tat gewinnt man bei „The Candidate“ den Eindruck, in Redford einen ultimativen Wiedergänger der ermordeten Kennedy-Brüder vor Augen zu haben.

Inszenierung statt Programmatik

In brillantem Understatement führt „The Candidate“ die Absurditäten des politischen Wahlkampfs im Zeitalter der Massenmedien vor. Einfach herrlich zaubert Redford wie aus dem Nichts zynische Momente hervor, die dem Politikgeschäft einen bitteren Spott entgegenstellen und den leidenschaftlichen Idealismus der Aktivisten verhöhnen. Die beiden besten Szenen zeigen zum einen McKay während einer Autofahrt inmitten seiner Terminhatz in einem Anfall sarkastischer Selbstreflexion; und zum anderen McKays Wahlkampfteam, für das die Auswahl der Lunch-Sandwiches den gleichen Stellenwert einnimmt wie die Besprechung der Kampagnentaktik. Überhaupt versteht sich der Film als boshafte Satire der modernen Politikmaschinerie, in der auf die Frage: „What do we now?“, niemand eine Antwort weiß.

Die Botschaft ist klar: Im Wettbewerb um demokratische Mehrheiten kann Politik schnell zu einer substanzlosen Angelegenheit degenerieren, in der Inszenierung wichtiger ist als Programmatik, der Wahlkampf bedeutsamer als die Legislaturperiode. Man mag das banal oder übersteigert finden – letztlich berührt diese Kritik jedoch eine zeitlos kontroverse Facette von Politik.

Text verfasst von: Robert Lorenz