Filmtipp

The Public Enemy (1931)

Kurzbeschreibung: In den frühen 1930er Jahren waren irre Psychopathen die Hauptfiguren der großen Hollywood-Hits. Und mit James Cagney in der Hauptrolle erschuf die Gangsterballade „The Public Enemy“ gleich eine Hollywood-Ikone.

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Eine ganz und gar biedere und banale Moral ist das, die uns der Epilogtext am Ende aufschwatzen will. „‚The Public Enemy‘“, heißt es da, „is not a man nor is it a character – it is a problem that sooner or later WE, the public, must solve.“ Aber natürlich muss man diese Sentenz vor dem Hintergrund ihrer Zeit sehen. „The Public Enemy“ war einer der ersten großen Gangsterfilme; mit Little Caesar (ebenfalls 1931) und Scarface (aufgrund von Schwierigkeiten mit der Zensur erst 1932 veröffentlicht) bildet er eine stilikonische Trias, welche die nachfolgenden Werke dieses Genres geprägt hat. Und als der Film in die Kinos kam, hatten Al Capone und Konsorten noch bis vor Kurzem in Chicago gewütet, hatten als heimliche Könige der Prohibitionszeit die Bevölkerung mit einem beispiellosen Gewaltregime tyrannisiert, hatten mit Wild-West-Methoden die Gesetzlosigkeit in die amerikanische Großstadt getragen. Filme wie „The Public Enemy“ waren verzweifelte Moralappelle an die amerikanische Bevölkerung – auch an die Regierung, die Staatsautorität –, diesem irrwitzigen Treiben endlich Einhalt zu gebieten. Aber natürlich profitierte Hollywood von diesem Komplex – bedienten diese Filme doch auch einen gewissen Voyeurismus der Öffentlichkeit, in das glamouröse und brutale Leben der Gangster, von denen regelmäßig in den Zeitungen zu lesen war, einzutauchen. In ihrem Subtext verbarg sich dennoch ein traumatischer „Nie wieder“-Grundsatz: nie wieder Maschinenpistolengewalt à la Capone & Co. Die Bandenkriege der Prohbitionszeit mit ihrer Schattenwirtschaft und grassierenden Korruption hatten offensichtlich tiefe Narben in der Seele der USA hinterlassen.

die Gangster Nathan (gespielt von Leslie Fenton), Powers (gespielt von James Cagney) und Doyle (gespielt von Edward Woods) sitzen in einer Bar in Gegenwart etlicher Getränke

Alle drei Werke – Little Caesar, „The Public Enemy“ und Scarface – erzählen im Grunde das Gleiche: den Aufstieg eines kleinen, einfachen Straßenganoven zum großen, mächtigen, stinkreichen Gangsterboss; der sagenhafte Aufstieg einfacher Leute zu gefürchteten Potentaten der Straße; von der unersättlichen Gier nach Macht und Geld, dem materialistischen Schwelgen im stillosen Luxus und narzisstischer Extravaganz; und vom abrupten Fall, dem düsteren Untergang als Quittung für dieselbe Hybris, die diese Männer einst nach oben katapultiert hat. Sie sind die homines novi des rauschenden Großstadtlebens im 20. Jahrhundert, die den technologischen Fortschritt zynisch missbrauchen, indem sie rücksichtslos auf Automobile und Maschinenpistolen, Handgranaten und das Telefon zurückgreifen, um ihre illegalen Geschäfte immer noch größere Dimensionen annehmen zu lassen – eben tatsächlich ein Problem, das die Gesellschaft zu lösen hatte, wie der Filmepilog so pathetisch konstatierte.

Tom Powers (gespielt von James Cagney) und Matt Doyle (gespielt von Edward Woods) wohnen im Beisein eines Dritten der Vorbereitung eines Coups bei

Der titelgebende public enemy – in den USA die Bezeichnung für eine Person, die als Gefahr für die Gesellschaft angesehen wird – ist Tom Powers, der Sohn eines Polizisten (Purnell Pratt), der schon als Teenager in die Kleinkriminalität abdriftet und sich fortan in Gangsterkreisen bewegt. James Cagney spielt ihn – nein, er spielt ihn nicht: er lebt ihn, verleiht ihm eine solch unglaubliche Intensität, wie sie nur selten entsteht, wenn Schauspieler so gut auf ihre Rollen passen. Dabei sollte er ihn anfangs gar nicht spielen, sondern dessen Jugendfreund und Komplizen Matt Doyle, den schließlich Edward Woods mimte – der seinerseits für die Hauptrolle des Tom Powers vorgesehen war. Hier erweist sich wieder einmal die Macht des Zufalls: Kurz vor Beginn der Dreharbeiten tauschten Regisseur William A. Hellman und Produzent Darryl F. Zanuck einfach die Besetzung und gaben Cagney die Hauptrolle – eine Entscheidung, die eine Hollywood-Ikone hervorbrachte. Lange Zeit war Cagney daraufhin der ultimative Leinwandganove und avancierte zu einem der einprägsamen Gesichter, die noch heute das klassische Hollywoodkino repräsentieren.

Schon in Cagneys Pyhsiognomie liegt die tiefe Verschlagenheit dieses ruchlosen Gauners, mit seinem fiesen Grinsen, seinen psychopathischen Blicken und unvorhersehbaren Eruptionen. Aber es war noch mehr: Mit kleinen Gesten, unscheinbaren Bewegungen, verlieh Cagney seiner Performance etwas ganz Besonderes – etwa als er beschwingt tänzelt, nachdem er Gwen Allen, kongenial gespielt von Jean Harlow, mit seinem Protzcabriolet aufgerissen hat; oder wenn er ständig kleine Faustknüffe verteilt, in denen mindestens ebenso viel Drohung wie Zuneigung steckt. Apropos Jean Harlow: Sie ist die verruchte Gangsterbraut, eine texanische Glücksjägerin, die sich sofort in Powers’ unverhohlene Prollattütide verliebt („You’re not the worst I’ve ever seen, either.“). Und dann ist da noch die berühmte Grapefruit-Szene: Am Frühstückstisch ist der im Schlafanzug gekleidete Powers dermaßen genervt von seiner Freundin (Mae Clark), dass er ihr mit einem Mal eine halbierte Südfrucht ins Gesicht schmiert – eine emotionale Gewaltszene, viel härter, als wenn Powers seine Freundin einfach verprügelt hätte.

Kitty (gespielt von Mae Clark) und Tom Powers (gespielt von James Cagney) sitzen am Frühstückstisch

The Public Enemy“ schildert im Zeitraffer die Kriminellenwerdung des Tom Powers, ehe der Film in seinem eigentlichen Szenario angelangt: den 1920er Jahren und damit der düsteren Prohibitionszeit. Von 1920 bis 1933 galt in den USA ein strenges Alkoholverbot, an dem sich das organisierte Verbrechen maßlos bereicherte. Tom Powers verkörpert diese Leute, die mit einer illegalen Infrastruktur und schwer widerstehlichen Korruptionsgeldern die Prohibition unterliefen, um am unveränderten Alkoholbedürfnis der Bevölkerung viel Geld zu verdienen. Auch Powers nimmt sich alles, was ihm das bigotte Prohibitionsamerika zu bieten hat.

Eine Szene zeigt den Moment, als 1920 in den USA das 13 Jahre währende Alkoholverbot in Kraft tritt: Panikartig stürmen Menschen in die Spiritousenläden, die mit hektischem Ausverkauf werben; vor einem dieser Geschäfte stoppt der Lieferwagen eines Floristen – eiligst schmeißt der Fahrer die Blumensträuße und Kränze aus dem Gefährt, um Platz für die letzten Alkoholkisten zu schaffen; auf dem Bürgersteig ziehen lauthals Menschenzüge von dannen – inmitten dieser Kaufmeute eine Mutter, die ihr Baby auf dem Arm trägt, während der Vater den mit Schnaps- und Whiskeyflaschen vollgestopften Kinderwagen schiebt. Kurz darauf sehen wir Tom Powers, wie er mit roher Gewalt hilflosen Barbesitzern den Ankauf von Bierfässern für ihre Speakeasys aufzwingt – für die Kneipen, in denen illegal Alkohol ausgeschenkt wurde und mit denen die Gangster à la Powers ihr großes Geld machten. Auch spielt der Film mit den Eigentümlichkeiten der Gangstersubkultur und ihrem Hang zu mehr oder minder originellen Spitznamen – so begegnen uns in den etwa achtzig Minuten von „The Public Enemy“ Typen wie „Putty Nose“, „Schemer“ Burns oder „Nails“ Nathan. Zu Geld gekommen, beschafft sich Powers dann eine sündhaft teure Wohnung, ein teures Auto, geht zum Maßschneider und kreuzt bei seiner proletarischen Mutter mit dicken Geldbündeln auf.

Gangster warten mit ihren Fahrzeugen vor einem Brauereigebäude

Ma Powers (Beryl Mercer) würde das Geld ihres Jüngsten auch gerne annahmen, aber ihr älterer Sohn Mike (Donald Cook) will sich von den Machenschaften seines kleinen Bruders abgrenzen. Als die innerlich zerrüttete Familie Powers dann zu Tisch sitzt, denkt man bei dieser Szene in ihrer optischen Konstellation unweigerlich an Coppolas „The Godfather (1972): Cagneys Tom gleicht darin James Caans stürmischem Sonny Corleone und Bruder Mike in seiner mit allerhand Orden dekorierten Uniform des heimgekehrten Kriegsveteranen Al Pacinos Michael Corleone, der – zumindest zu diesem Zeitpunkt – dem kriminellen Treiben seiner Familie noch mit großer Distanz gegenübersteht. Der Große Krieg, in den Mike Powers als patriotisch beflügelter Freiwilliger zog, hat ihn kaputt gemacht. Donald Cook trägt unter seinen Augen dick aufgetragene Schminke, in dem sich die düsteren Erfahrungen seiner Figur im europäischen Grabenkrieg manifestieren.

In dieser Konstellation steckt auch reichlich Zynismus: Während der aufrichtige Patriot sein Leben auf einem fernen Kontinent riskierte, avancierte der Daheimgebliebene zum reichen Player. Als der Patriot nach Hause zurückkehrt, ist er ein Wrack, emotional derangiert und zurückgeworfen auf die gleiche Perspektivlosigkeit aus der Zeit vor seiner Abreise, während der selbstbewusste, agile Bruder vor Macht und Geld strotzt. Daraus entspinnt sich ein klassischer Konflikt, wie ihn auch Scarface thematisiert: Trotz der finanziellen Misere wird das zwar rettende, jedoch illegal erwirtschaftete Geld des schwarzen Schafs der Familie mit dem Stolz der rechtschaffenen Arbeiterklasse abgelehnt. Aber die implizite Botschaft könnte dennoch lauten: Redlichkeit ruiniert.

Tom Powers (gespielt von James Cagney) und Gwen Allen (gespielt von Jean Harlow) stehen sich gegenüber

The Public Enemy“ hat eine faszinierende Wirklichkeitsnähe. Als der Film 1931 in die amerikanischen Kinos kam, war das, was er zeigte, noch Realität. Das organisierte Verbrechen terrorisierte die Menschen in den Großstädten, allen voran New York und Chicago. Al Capone, an den die Figur des Mike Powers angelehnt ist, war zur Drehzeit noch auf freiem Fuß und wurde erst im Herbst 1931 zu einer Haftstrafe verurteilt. Der Film basiert auf dem Roman „Beer and Blood“, der zwar nie veröffentlicht wurde, dessen Autoren John Bright und Kubec Glasmon aber vieles daraus selbst in Chicago, wo Al Capone wütete, beobachtet hatten. Darryl F. Zanuck, der berühmte Studiochef von Warner Bros., hatte mit seinem wachen Geschäftsinstinkt die Filmrechte an dem Buch gekauft. Mit Little Caesar und Scarface bildet „The Public Enemy“ ein furioses Trio des frühen Gangsterfilms, das trotz seiner technischen Rückständigkeit fast nichts an seiner Wirkungskraft verloren hat.

Text verfasst von: Robert Lorenz