Regisseur des Unbedingten – zum 100. Geburtstag von Sam Peckinpah

Kurzbeschreibung: Am 21. Februar 2025 wäre der US-amerikanische Filmemacher Sam Peckinpah 100 Jahre alt geworden. Von Zeitgenoss:innen der perversen Gewaltlust bezichtigt, ging es ihm in Wirklichkeit um eine Kritik am gewaltsamen Wesen des Menschen.

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Er bestellte Prostituierte zum Drehort und warf Messer am Set; er demütigte seine Schauspieler:innen und Crew-Mitglieder, die ihm später dennoch dankbar waren, weil er sie zu Höchstleistungen angetrieben und ihr volles Potenzial entfaltet hatte; er konnte ganze Kinosäle entweder in Schockstarre oder einen Blutrausch versetzen – keine Frage: Sam Peckinpah war ein Regisseur der Extreme, einer der kontroversesten Charaktere, die Hollywood jemals hervorgebracht hat.

In seinen Filmen bannte Peckinpah jene Welt auf die Leinwand, die er aus Geschichten alter Cowboys kannte und deren Geist er noch in ihren letzten Ausläufern auf der Ranch seines Großvaters in den Bergen Kaliforniens selbst gespürt hatte. Sein Handwerk erlernte er in den 1950er Jahren im Fernsehen, für das er Westernserien schrieb und später auch selbst drehte – die knallharten Bedingungen dort prägten damals einige der besten Regisseure, darunter Sidney Lumet und John Frankenheimer.

In Peckinpahs erstem Spielfilm, dem Western „Deadly Companions aus dem Jahr 1961, setzt sich eine Witwe in den Kopf, den Sarg ihres erschossenen Kindes durch Apachen-Gebiet in eine entlegene Geisterstadt neben dem Grab des Vaters beizusetzen. War sein Debütwerk „Deadly Companions“ noch stark unter den Vorgaben des Produzenten entstanden, drückte Peckinpah seinen nächsten Filmen Ride the High Country“ (1962) und Major Dundee“ (1965) schon deutlich stärker seine inzwischen unverkennbare Handschrift auf; mit The Wild Bunch“ (1969) definierte Peckinpah schließlich das totgeglaubte Westerngenre neu und profilierte sich zugleich als einer der innovativsten Filmemacher Hollywoods.

Zeigte „Major Dundee“ bereits einen besessenen Nordstaatenoffizier, der mit seiner Kavallerietruppe in Mexiko eindringt, um ohne Rücksicht auf Verluste einen Apachen-Häuptling zur Strecke zu bringen, war spätestens „The Wild Bunch“ kein gewöhnlicher Hollywoodstreifen mehr – der Western, in dem eine Bande professioneller Zugräuber vor gierigen Kopfgeldjägern nach Mexiko flieht, gipfelt in einem Inferno der Gewalt, wie es das schockierte Hollywoodpublikum selbst nach dem verstörenden Kugelhagel am Ende von Bonnie and Clyde“ (1967) nicht erlebt hatte. Spätestens nach Straw Dogs“ (1971), in dem sich der schmächtige Dustin Hoffman als verquaster Mathematiker mit einem blutrünstigen Überlebenskampf in einem südenglischen Farmhaus gegen einen Lynchmob erwehrt, stand Peckinpah im Ruf der hemmungslosen Gewaltverherrlichung – dabei sah sich der Regisseur bloß als konsequenter Kritiker menschlicher Gewalt, der mit drastischen Darstellungen von Schießereien und Vergewaltigungen sein Publikum des Voyeurismus überführen wollte. Peckinpahs Filme hielten dem Kinopublikum den Spiegel vor und basierten auf der These, dass in uns allen animalische Gewaltpotenziale schlummern.

Im kommerziellen Hollywood, wo die alten Studios schon lange ins Straucheln geraten waren und nach Kinokassenerfolgen dürsteten, war es nahezu unausweichlich, dass ein radikaler Filmemacher à la Peckinpah aneckte. Mehr noch: Peckinpah suchte geradezu den Konflikt mit seinen Produzenten und den Studiobossen, brauchte Feinde, gegen die er Cast und Crew aufwiegeln und hinter sich versammeln konnte.

Als das Studio die Westernballade „Pat Garrett & Billy the Kid“ (1973), für deren ergreifendste Szene Bob Dylan „Knockin’ on Heaven’s Door“ geschrieben hatte, mit einer neuen Schnittversion verstümmelte, da kannte Peckinpahs Hass auf Hollywood keine Grenzen mehr – er ging nach Mexiko und drehte dort Bring Me the Head of Alfredo Garcia“ (1974), in dem der abgewrackte Barpianist Bennie einem mexikanischen Gangsterboss den Kopf des Mannes bringen soll, der seine Tochter geschwängert hat. Anti-Hollywood-Kino par excellence, an den Kinokassen brutal gefloppt und der einzige seiner Filme, von dem der Regisseur behauptete, er habe ganz und gar seinen Vorstellungen entsprochen – Peckinpah-Veteran Warren Oates spielte den dauersonnenbebrillten, unaufhörlich fluchenden Protagonisten als Peckinpah-Persiflage.

Zweifelsohne gehörte Peckinpah zu den begabtesten Filmemachern seiner Generation – wenn nicht zu den größten Regisseuren der Kinogeschichte. Seine Western waren stets schmutziger und detailversessener als andere Genre-Ableger; quälende Zeitlupen mit brachialen Austrittswunden entrissen den Hollywood’schen Filmtod seiner Nebensächlichkeit; und immer wieder zeigte Peckinpah Kinder als Zeugen der Gewalt, die sich dadurch unaufhörlich zu reproduzieren schien.

Peckinpah focht schon länger mit seinen inneren Dämonen. Aber Mitte der 1970er Jahre nahm sein Drogen- und Alkoholkonsum überhand. Hätten ihm nicht treue Gefolgsleute wie seine Assistentin Katy Haber immer wieder unter die Arme gegriffen, wäre Peckinpah wahrscheinlich schon viel früher untergegangen. So aber drehte er noch den Antikriegsfilm „Cross of Iron“ (1977) – der zeitgenössisch als eindimensionale Landser-Action verschrien war, aus heutiger Sicht aber mit ungemein realistischen Szenen der Frontbarbarei besticht, die uns den Irrsinn des Krieges buchstäblich vor Augen führen.

Das im Kokainnebel des Regisseurs mit Ach und Krach vollendete Trucker-Roadmovie „Convoy“ (1978) läutete dann das traurige Ende von Peckinpahs Karriere ein. Seine zornige Kompromisslosigkeit und unberechenbare Gemütsschwankungen wurden irgendwann nicht mehr durch die genialischen Einfälle aufgewogen, selbst Peckinpah-Loyalisten wandten sich ab.

Ein Mensch, dessen Lebensinhalt die Leinwand war, machte ein halbes Jahrzehnt keinen Film mehr, ehe ihn mutige Produzenten aus dem Exil zurückholten. Peckinpah drehte noch zwei Musikvideos für Julian Lennon und den Actionthriller „The Osterman Weekend“ (1983), worin er einen pessimistischen Vorblick auf eine technologisierte Überwachungsbürokratie wagte. Ob der blutige Tod in Zeitlupe oder melancholische Momente, die an zelluloide Poesie grenzen: Vielleicht bietet Sam Peckinpahs 100. Geburtstag eine gute Gelegenheit, sein Werk (wieder) zu entdecken – ein ungemein vielfältiges Œuvre, in dem sich das ganze Spektrum des kalifornischen Filmemachers zwischen Wahnsinn und Genie mit einer Wucht entfaltet, die seither im Kino vermisst wird.

Text verfasst von: Robert Lorenz