Filmtipp

Fremde, wenn wir uns begegnen (1960)

Kurzbeschreibung: Dass sich hinter der Fassade vorstädtischer Familienidylle auch Ehe-, Lebens- und Identitätskrisen verbergen, zeigten nicht erst die „Mad Men“, sondern damit verdiente schon Hollywood in den Fünfzigern sein Geld. „Fremde, wenn wir uns begegnen“ zeigt außerdem den Irrtum, die 1950er Jahre seien im Mainstream-Film besonders prüde gewesen.

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Lange vor „Mad Men“ leuchtete „Fremde, wenn wir uns begegnen“ die Vorzüge und Tücken einer konservativen Lebensführung im amerikanischen Vorstadtmilieu aus. Larry Coe (Kirk Douglas) ist ein begabter Architekt – selbstständig, verheiratet, Vater zweier Söhne – und führt ein geordnetes Leben in einer amerikanischen Westküstenkleinstadt. Dass dieses Mittelklasseidyll bloß brüchige Fassade ist, zeigt sich, als er sich in seine Nachbarin Margaret „Maggie“ Gault (Kim Novak) verliebt. Gault ist unglücklich verheiratet; sie geht auf Coes Avancen ein – und die beiden beginnen eine turbulente Affäre. Begleitet von der obligatorischen Angst, in der Öffentlichkeit erkannt zu werden, verlegen sie ihre heimlichen Rendezvous auf Orte fernab ihrer Familien. Da trifft es sich gut, dass Larry gerade an entlegener Stelle ein Domizil (tatsächlich eigens für den Film erschaffen) für den gleichermaßen promiskuitiven wie wohlhabenden Schriftsteller Roger Altar (gespielt vom Fünfzigerjahre-Comedian Ernie Kovacs) konzipiert und seine häufige Abwesenheit gegenüber seiner Frau mit notwendigen Baubesichtigungen begründen kann. Maggie Gaults Mann ist indes ohnehin wenig an gemeinsamem Eheleben interessiert und vertieft sich allabendlich in einzelgängerische Zeitungslektüre – ein Mittelklasse-Solitär, erstarrt im Phlegma durchschnittlichen Wohlstands.

Vorstadtstraße mit Palmen und einstöckigen Häusern, auf der Straße eine Handvoll Einwohner.

Fremde, wenn wir uns begegnen“ zeigt ein ewiges Motiv menschlicher Gesellschaft: emotionale Abenteuerlust und sexuelle Frustration führen zum Ausbrauch aus beengten Verhältnissen, und stellen doch auch wieder eine Belastung dar, weil sie zentralen Werten und Normen widersprechen. Im Spiegel wurde dies mit Blick auf den Film einmal so beschrieben: „[V]erheirateter Architekt (Kirk Douglas) verliebt sich in attraktive Nachbarsfrau (Kim Novak) […].“[1] Der Film ist natürlich weit mehr als das, komplexer, zeitspezifisch und zeitlos zugleich: Zum einen illustriert er das amerikanische Kleinstadtleben in seinen konformistischen Strukturen, seiner Scheinheiligkeit, unglaublich anfällig für Eskapismus und Extremes – der betuliche Mittelklassewohlstand in den USA der ausgehenden 1950er Jahre, der trotz seiner Annehmlichkeiten keine Glückseligkeit garantiert. Auch verdeutlicht der Film das Selbstbewusstsein der Frauen, nicht hinzunehmen, ihr Dasein in sexueller Unzufriedenheit zu fristen, und stattdessen Gelegenheiten zu ergreifen.

Ein gelber Schulbus hält am Straßenrand, wo Kinder und einige Eltern warten.

Nahaufnahme von Kim Novak als Maggie Gault in ihrem Haus.

Fremde, wenn wir uns begegnen“ handelt von der immerwährenden Gefahr vergänglicher Zuneigung, dem schmerzhaften Eingeständnis, das behagliches Familienleben als beklemmende Routine zu erleben und trotz – oder gerade wegen – allem Erreichten nicht vor der Sehnsucht nach einem alternativen Lebensentwurf gefeit zu sein; aber eben auch von der umgekehrten Erkenntnis, dass Zwanglosigkeit irgendwann das Verlangen nach Bindung aufkommen lässt. Und so stehen auch Maggie und Larry bald vor dem Dilemma, sich zwischen Rückkehr und Aufbruch entscheiden zu müssen.

Maggie und Larry gut gelaunt während einer Autofahrt.

Blick durch die Schneise zweier gefüllter Regalreihen eines Supermarktes; am Ende steht Larry Coe beim Einkauf.

Drei Dialoge bringen all das auf den Punkt: Ein frivoler Plausch zwischen Larry Coe und Altars vorübergehender Liebesgefährtin Marcia (Nancy Kovack) an der Hausbar – Marcia: „Are you married or something?“ Larry: „Yes, I’m married or something.“ Marcia: „You’re missing a lot, architect.“ Larry: „Maybe we both are.“ Oder als Coe mit seinem Nachbarn Felix Anders (Walter Matthau in einer starken Nebenrolle) auf einer Party das Klischee eines Männergesprächs führt – Felix: „Any place you’ve got a housewife, you’ve got a potential mistress. […] I’m a realist. Society says, ‚Felix, you’re a one-woman man.‘ I say, ‚Yes, of course I am.‘ You want to know something, Larry? I’m a liar. So are you. So is everybody. […] I’m just an observer of the human scene.“ Larry: „You’ve got the wrong man, Felix. I’m happily married with two kids.“ Felix: „Sure, we’re all happily married with two kids.“ Und als sich der verheiratete Familienvater Coe und der notorische Playboy Altar trotz konträrer Beziehungsstile in der gleichen Unzufriedenheit mit ihrem Sozialleben gegenübersitzen und das des jeweils Anderen begehren – Larry: „I got a job I want to take, a woman I want. People can’t be hurt.“ Altar: „I’ve never been in love. But I’d like to feel that way about a woman. […] You know what I’m going to do? I’m going out in that street and fall in love with the first girl I see. Then I’ll drag her up to my new house, and she’ll cook scrambled eggs […].“

Larry und Maggie genießen die Aussicht in den Hügeln von Bel Air.

Romantisches Beisammensein von Larry und Maggie an einem Tisch eines Strandrestaurants.

Obwohl selbst nach Hollywoodstandards bis in die Nebenrollen hochgradig besetzt – etwa Barbara Rush als die betrogene Ehefrau oder Walter Matthau als der vorgebliche Freund, der am Ende nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, dennoch gnadenlos realistisch die Situation analysiert – , gehört der Film wohl in die Rubrik „vergessene Klassiker“. Schließlich verbindet man die beiden Stars des Films, Kim Novak und Kirk Douglas, zuerst mit anderen Werken: Während Novak freilich keine für sie ganz untypische Rolle spielt – die der unglücklich verliebten, leicht neurotischen Schönheit, also nicht ganz so weit von ihrem berühmtesten Spiel in Vertigo entfernt – denkt man bei Douglas statt des feinsinnigen Baukünstlers wohl eher an den aufsässigen Gladiatoren, den kompromisslosen Gesetzeshüter oder den bärbeißigen Wikinger. Aber vielleicht erweist sich ja gerade daran Douglas’ Schauspielkunst, wirkt er – der damals ganze 16 Jahre älter als seine Filmpartnerin Novak (*1933) war – doch in keiner Weise deplatziert.

Blick in eine Straße mit Vorstadtflair; am Straßenrand parken vor fast jedem Haus Limousinen.

Blick auf einige Häuser im Vorstadtbereich von Los Angeles.

Ein Supermarkt, vor dem einige Limousinen parken.

Der Film fängt das expandierende Wohlstandsniveau in den Post-Koreakriegs-USA ziemlich gut ein, gibt eine Vorstellung von der Lebensweise eines damals beträchtlichen Teils der US-amerikanischen Gesellschaft. Wenn Maggie mit unterdrückter Verbitterung ihr Seelenleid in Vergangenheit und Gegenwart reflektiert und hoffnungsvoll den Hörer des grauen Wandtelefons in der Küche ergreift, um der Stimme einer mutmaßlich besseren Zukunft zu lauschen, dann erkennt man hier unweigerlich die Vorlage für Betty Draper aus der Serie Mad Men“ (2007–15). Und: Während „Mad Men“ die Vergangenheit mit perfekten Bildern rekonstruiert, liegt über „Fremde, wenn wir uns begegnen“ die Patina der Sechzigerjahre-Aufnahmetechnik, die dem Film (wenn auch unfreiwillig) gerade im Kontrast zu aktuellen Darstellungen jener Zeit ein optisches Flair verleiht.

Die Eheleute Coe in einem düsteren Raum in krisenhaften Posen.

Maggie steht am Fenster in einem dunklen Raum des neuen Hauses.

Ob die Küchenunterhaltung von Eve und Larry Coe vor dem kleinen Sohn Peter (Larry: „A couple of Martinis never hurt anybody. They make me amorous.“ Eve: „You just think they do. Martinis don’t mix with S-E-X.“ Peter: „What’s X-E-X? […] Is it like Santa Claus?“ Larry: „In a way, son.“), eine zweideutige Baustellenszene im Anschluss an eine Liebesnacht zwischen Larry und Maggie oder die Konversation zwischen Larry und Maggie während ihres ersten Dates (Maggie: „What do you want?“ Larry: „I want to make love to you.“): Wie nach anderen Filmen aus dieser Zeit (etwa Peyton Place oder Boys’ Night Out) muss man sich auch nach „Fremde, wenn wir uns begegnen“ fragen, ob die Vorstellung von den späten 1950er und frühen 1960er Jahren als einer von Prüderie gezeichneten Gesellschaft überhaupt zutreffend und nicht nachträglich konstruiert ist.

Walter Matthau als Felix Anders, bei starkem Regenfall niedergeschlagen auf dem Rasen.

Überhaupt transportieren die Aufnahmen viel von dem Lebensgefühl der 1950er Jahre: Cola-Automat, Supermarkt oder die Chromfronten und Heckflossen der amerikanischen Autoindustrie. Aber wie wichtig Fahrzeuge für die Wirkung eines Films sind, beweist hier der schwarze Ford „Falcon“ mit seinen Weißwandreifen, der eine besonders melodramatische Aura entfaltet, wenn er sich in Bewegung setzt, um seine Insassin zu einer Verabredung zu bringen, die jedes Mal aufs Neue die letzte einer leidenschaftlichen Romanze sein könnte – ergreifend ist dann auch das Filmende, das Douglas hinterher verfluchte und Kim Novaks Einfluss auf Richard Quine zuschrieb, den Regisseur des Films und damaligen Liebhaber der Novak.

Blick auf das fertiggestellte Bel-Air-Haus aus Holz mit Pool.

[1] Aus: Der Spiegel vom 05.08.1974.

Text verfasst von: Robert Lorenz