Filmtipp

Days of Wine and Roses (1962)

Kurzbeschreibung: Zwischen Joe und Kirsten entwickelt sich aus einer Liebesbeziehung eine Ehe, in der sich die beiden zu einem desolaten Alkoholiker-Pärchen ruinieren – ebenso brillant wie verstörend von Jack Lemmon und Lee Remick gespielt.

Social-Media-Optionen

Jack Lemmon (1925–2001) hat sich in die Herzen des ewigen Filmpublikums mit seinen zahllosen Komödien gespielt. Doch neben den EvergreensSome Like it Hot“ (1959), „Irma la Douce“ (1963) oder „The Odd Couple“ (1968) finden sich in Lemmons fast ein halbes Jahrhundert zählendem Schauspiel-Œuvre auch drastische, erschütternde, unfassbar tragische Rollen. Eine der ersten davon spielte er in „Days of Wine and Roses“, einem Schwarz-weiß-Drama von unglaublicher Härte und zutiefst berührender Dramatik.

Joe Clay (Lemmon) arbeitet für eine Marketing-Firma in New York. Aber sein Selbstbewusstsein in dieser chauvinistischen Gesellschaft voller selbstbewusster Männer ist so gering, dass ihn der Stress und die langen Abende in trinkfreudigen Gesellschaften in den Alkholismus führen. Anfänglich kann er sich noch zusammenreißen, stellt seine Chefs zufrieden und gewinnt das Herz einer Frau: Kirsten Arnesen (Lee Remick). Die beiden heiraten und bekommen eine Tochter. Aber Kirsten leidet unter der ständigen Abwesenheit ihres Mannes und der Tristesse ihres Alltags, den sie in ihrem Appartement mit Fernseher und schreiendem Baby als bittere soziale Isolation erlebt.

Auch sie greift zur Flasche – ihre heimliche Trunksucht wird Joe erst bewusst, als sie im Suff die Wohnung in Brand setzt und damit beinahe das Leben ihrer hilflosen Tochter ausgelöscht hätte. Joe stürzt ab, wird erst ins ferne Houston versetzt, dann verliert er seinen Job. Die Clays zerbrechen an den Normen der amerikanischen Leistungsgesellschaft und verfallen immer mehr dem Alkohol. „Days of Wine and Roses“ zeigt den erschreckenden Niedergang zweier Menschen, die in ihrem ständigen Verlangen nach Schnapsflaschen zu selbstentwürdigenden Verzeiflungstaten greifen und im gemeinsamen Rausch zu einer traurigen, düsteren Romantik finden.

Beide, Remick und Lemmon, spielen ihre extremen Charaktere mit beängstigender Glaubwürdigkeit. Ausgerechnet der notorische Komödien-Protagonist Jack Lemmon brilliert in der Darstellung der schrecklichen Alkoholikerfratzen. Allein die zwei Szenen, in denen er den irren Kontrollverlust im tiefen Rausch nachstellt, machen „Days of Wine and Roses“ zu einem sehenswerten Film, der einem länger als manch andere im Bewusstsein bleibt: Auf der hysterischen Suche nach einer versteckten Schnapsflasche demoliert er mit hektischen Bewegungen erst das Gewächshaus seines Schwiegervaters, der ihnen Obdach gewährt hat, um anschließend gierig sein Gesicht mit der suchtstillenden Flüssigkeit zu überströmen. Glaubt man in diesem Moment, Zeuge der erschütterndsten Einstellung des Films geworden zu sein, muss man sich nur einen Augenblick später eines Besseren belehren lassen, als Lemmon seine Figur in einer Ausnüchterungszelle, eingepfercht in eine Zwangsjacke, panische Verrenkungen aufführen lässt, die ihn in seinen besinnungslosen Posen durch den Raum bewegen, ehe die mit Medikamenten bewehrten Pfleger eingreifen. Aber auch ee Remick verleiht ihrer Kirsten eine bestürzende Echtheit, wenn sie in halbwachen Bewegungen zur Flasche greift und sich wie in Trance das unheilvolle Getränk einflößt.

Selten hat ein Film so klar und minimalistisch gezeigt, wie sich ein Liebespaar durch den Alkohol zugrunde richtet.

Text verfasst von: Robert Lorenz