The Wicker Man (1973)
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Ein Mädchen wird vermisst. Seit vielen Monaten sei die Zwölfjährige nicht mehr aufgetaucht, so teilt es der anonyme Brief mit, den Sergeant Howie (Edward Woodward) in seinen Händen hält. Howie ist der Chef einer winzigen Polizeistation auf dem britischen Festland; der Brief indes stammt von der entlegenen, kleinen Insel Summerisle. Wie ihm sein Pflichtbewusstsein gebietet, schwingt sich der Sergeant sogleich in sein Dienstgefährt, ein einsitziges Wasserflugzeug, mit dem er zu dem beschaulichen Eiland im Norden Großbritanniens aufbricht.
Gleich bei seiner Ankunft ist klar, dass ihn die Einheimischen nicht sonderlich ernstnehmen. Nachdem das Wasserflugzeug gelandet ist, treibt es mitsamt seinem Piloten ein paar Meter vor der Anlegestelle des kleinen Ortes, an der sich eine Gruppe alter Fischer versammelt hat. Seargent Howie nimmt sein Megafon zur Hand und bittet um eine schnelle Passage. Daraufhin begibt sich gemächlich ein älterer Herr zu seinem Ruderboot und setzt zum Flugzeug über. Das ist nicht die einzige Szene dieses Films, bei der man denkt, dass die damals zeitgleich im britischen Fernsehen ausgestrahlten Komiker aus „Monty Python’s Flying Circus“ (1969–74) gar nicht mal so absurd sind.
In dem kleinen Ort, aus dem der Brief abgeschickt worden ist, begegnet man dem Fremden ausgesprochen höflich; aber eine auch nur halbwegs brauchbare Information über den Verbleib oder auch nur die Existenz des verschollenen Mädchens erhält Howie nicht. Vielmehr irritiert ihn die aufdringliche Präsenz von Symbolen der Fortpflanzung und Potenz. Jungen tanzen um einen Maibaum, der von den Mädchen im Schulunterricht als phallische Allegorie des männlichen Penis memoriert wird; an einem Zirkel aus Steinen, der an das berühmte Stonehenge erinnert, beobachtet Howie eine Gruppe nackter Schwangerer, die singend und tanzend über ein Feuer hüpfen und dabei das gesunde Gedeihen ihres Fötus beschwören; vollends suspekt werden dem gläubigen Christen die heidnischen Bräuche der Inselbewohner schließlich, als das Erntedankfest beginnt.
Geleitet von seinem unerschütterlichen Pflichtgefühl, gestützt auf seinen christlichen Glauben und angestachelt von den irreführenden Gesprächen mit den Dorfbewohnern und der provokanten Attitüde des Insel-Aristokraten Lord Summerisle (großartig: Christopher Lee), der sich ungeachtet der britischen Gesetze als alleinige Autorität gebärdet, durchkämmt Sergeant Howie den seltsamen Ort nach Indizien. Diese Hartnäckigkeit führt ihn schließlich auf eine Spur.
Nordbritischer Liberace und Libido-Guru
Ein Highlight des Films ist der Auftritt von Christopher Lee, der schon damals auf eine imposante Karriere zurückblickte, diese Rolle aber einmal als eine seiner liebsten bezeichnet hat. Und das merkt man ihm in beinahe jeder Szene an: Lee hat sichtlich Spaß, schmettert mit seiner tiefen Stimme obszöne Lieder und begleitet sich dabei selbst auf dem Klavier, während er mit Frisur und Garderobe wie eine Liberace-Satire erscheint. Der kultivierte Aristokrat bewohnt ein für diese Landschaft absurd überdimensioniertes Schloss; einer seiner Vorfahren brachte einst exotische Pflanzen auf die Insel, die seither dort gezüchtet werden und dem fremden Ökosystem einverleibt worden sind. In seinem denkwürdig kuriosen Outfit, mit wirren Haaren und mächtigen Koteletten mutet Lee wie ein eloquenter Insel-Guru an, der sich darüber freut, wenn seine Untertanen fruchtbar sind und sich mehren.
Überhaupt ist der Film, dessen Handlung ja auch um Fruchtbarkeit – der Menschen wie auch der Natur – kreist, hochgradig sexualisiert. Während sich Lord Summerisle über die Bigotterie des Christentums echauffiert, beobachtet er in einem Garten zwei Schnecken beim Paarungsakt, den die Kamera mit Zoom und in Slow-Motion einfängt. Summerisle agiert auf der Insel als eine Art Libido-Mäzen, der seinen Untertanen mit spitzbübischer Freude zu sexuellen Freuden und Kindern verhilft.
Im rauchgeschwängerten Pub („Green Man Inn“) stimmen derweil Jung und Alt lüsterne Lieder mit zweideutigen Texten an, während seine Lordschaft im Rüschenhemd und Schottenrock der Tochter des Kneipiers einen potenten Jüngling zuführt. Während das Paar seinen Liebesakt beginnt, singen in der darunterliegenden Etage die jüngeren Gäste im Beisein der Älteren ein bedächtiges Lied: „I put my hand o-on her belly. And she says, do you want to fill me? Gently, gently, gently Johnny.“
Zur selben Zeit befindet sich Seargent Howie im Nebenzimmer der Liebenden und muss die unüberhörbaren Sexgeräusche über sich ergehen lassen; er flüchtet sich ins Gebet.
Die junge Frau im Nachbarzimmer wird übrigens von der Schwedin Britt Ekland gespielt, die im Jahr darauf als britische Geheimdienstmitarbeiterin Goodnight in dem Roger-Moore-Bond „Der Mann mit dem goldenen Colt“ (1974) auftrat – Christopher Lee spielte darin den Bösewicht Scaramanga. In „The Wicker Man“ hat Ekland mehrere Nacktaufnahmen – weil sie damals schwanger war, beschränkte sie die Perspektive auf ihren Kopf- und Brustbereich. Für die exzentrische Szene, in der Eklands Charakter Willow nackt und ekstatisch durch ihr Schlafzimmer tanzt, wurde – angeblich ohne Eklands Kenntnis und Zustimmung – eine Stripperin als Double engagiert. Ekland missfiel das, doch durch den enormen Erfolg des Films sind immer wieder Fans an sie herangetreten, um sich Fotos der Kultszene von Ekland signieren zu lassen.
Edward Woodwards Leistung trägt ebenfalls wesentlich zur besonderen Atmosphäre des Films bei. Hat man anfangs noch die Befürchtung, Woodward verkörpere lediglich das oberflächliche Klischee eines überkorrekten Beamten, so beeindruckt seine Darstellung des Sergeants, die er auf seine Körperspannung und nur um Nuancen variierte Blicke baut. Mit enganliegender Uniform und stets gerader Körperhaltung durchschreitet er den Ort, eine kleine Parallelgesellschaft, die er mit seinen Blicken verurteilt. Aus seinen Augen spricht eine Skepsis, die sich zur stillen Empörung steigert – denn Howie weiß, dass er gegenüber den Inselbewohnern nicht viel wird ausrichten können. In seinen Blick mischt sich Erschütterung, als er die Ruine einer christlichen Kirche betritt – Überbleibsel eines offenbar gescheiterten Versuchs, den heidnischen Glauben zu verdrängen. Der verzweifelte Howie bastelt aus zwei Holzstücken ein Kreuz, das er auf dem Altarstein hinterlässt.
Der Film wurde mit einfachen Mitteln gedreht, doch liegt gerade darin eine Stärke. Die spartanische Ausstattung harmoniert mit dem kargen Insel-Ort und lenkt die Aufmerksamkeit auf die teils skurrilen Charaktere. Und immer wieder Christopher Lee, später unter einer dunklen Perücke mit wallenden Haaren und im Kleid – am Strand zelebriert er eine Opfergabe: „Oh, god of the sea. I offer you this ale.“
Daraufhin versenkt er sein Beil in dem mächtigen Fass, das von einem Wagen aus in die Fluten rollt. Gezeigt wird auch eine bizarre Maskerade, bei der die Dorfbewohner, angeführt von Lord Summerisle, zu einer Kultstätte paradieren.
Gefilmt wurde in der heutigen Region Dumfried and Galloway, die den Großteil von Schottlands Südwesten abdeckt und im Süden wie im Westen von der Irish Sea umgeben ist. Der Film hat mehr kulturellen Einfluss gezeitigt, als man ihm zutrauen würde; so findet etwa in dieser Gegend seit 2001 das „Wickerman Festival“ statt.
TextRobert Lorenz
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