Serientipp

The Young Pope (2016)

Kurzbeschreibung: Das Konklave erwählt den jüngsten Papst aller Zeiten – doch statt eines wagemutigen Modernisierers erhält die Katholische Kirche einen exzentrischen Reaktionär. Jude Laws Papst ist cool, nonkonformistisch – und meistens ein Narzisst.

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Dunkle Wolken weichen himmlischen Sonnenstrahlen. „We have forgotten to masturbate“. Diese Skandalrede entpuppt sich freilich als Traum des Papstes. Die eigentliche Ansprache steht ihm noch bevor; und in Wirklichkeit ist Pius XIII. ein verbohrter Hardcore-Konservativer, gegen den noch die reformmüdesten Vatikanklerikalen fortschrittlich denken. Der erste Auftritt in der Öffentlichkeit gerät dann auch zur PR-Katastrophe: Die Gläubigen, die sich auf dem Petersplatz versammelt haben und ihre erwartungsvollen Blicke gen Balkon richten, erleben ein Kirchenoberhaupt, das bei schlechten Lichtverhältnissen als dunkle Silhouette zürnt – die Kameras der Reporter sollen keinen Blick auf das Gesicht des neuen Papstes erheischen dürfen – und das Kirchenvolk einschüchtert. Es beginnt zu regnen.

Lenny Belardo ist der erste amerikanische Papst – und mit fünfzig ein noch dazu ein „junger“. Dass ausgerechnet Belardo als neues Kirchenoberhaupt aus dem Konklave hervorgegangen ist, begründet sich offiziell natürlich mit einer durch den Heiligen Geist buchstäblich inspirierten Wahl; dahinter steht jedoch das weltliche Interesse des vatikanischen Staatssekretärs Kardinal Voiello (unendlich gut besetzt mit Silvio Orlando). Der ist als politisches Mastermind des Vatikanstaats so mächtig, dass die Biografien und Bücher über ihn ein ganzes Regal füllen (das dann auch in seiner Wohnung steht). Voiello, leidenschaftlicher Napoli-Fan und Diego-Maradona-Jünger, entgleiten die Gesichtszüge, als er merkt, dass er Belardo nicht wie geplant als seine Marionette steuern kann. Jude Laws Papst ist eitel, herrisch, sardistisch. Der coolste Papst der Kirchengeschichte – und meistens ein Arschloch. Er verweigert sich sämtlichen PR-Pflichten; er verkündet krude Botschaften, die Menschen in den Selbstmord treiben; selbst seine vertrautesten Gefährten müssen ihn bald mit „your holiness“ anreden. Dem machtgewohnten Voiello setzt er sogleich eine Nonne als persönliche Beraterin des Papstes vor die Nase – Schwester Mary wird von Diane Keaton gespielt, so als habe man noch einmal unmissverständlich klarmachen wollen, dass das Fernsehen längst selbstverständliche Wirkungsstätte auch der größten Hollywood-Stars ist (als Nachthemd trägt Schwester Mary ein T-Shirt mit der Aufschrift: „I’m a virgin, but this is an old shirt“). In Frank-Underwood-Manier zwingt er Don Tommaso (Marcelo Romolo), den rührseligen Beichtvater des Vatikans, ihm die düstersten Geheimnisse der Kardinäle zu berichten – von denen sich einige als Alkoholiker, Homosexuelle und Pädophilieopfer entpuppen.

Die meiste Zeit verbringt man als Zuschauer damit, sich über den rabiaten Nonkonformismus des Papstnovizen Belardo zu amüsieren. Wie er die gestandenen Kardinäle düpiert, degradiert, erniedrigt; wie er entgegen des Rauchverbots im Vatikan sich genüsslich Zigaretten anzündet, flucht und zum Entsetzen seiner Gesprächspartner die Existenz Gottes leugnet. Mit diabolischer Süffisanz erpresst er den selbstsicheren italienischen Premierminister (Stefano Accorsi); bei einer Unterredung mit dem Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche drückt er den geheimen Knopf an der Unterseite seines Schreibtischs, damit ihn eine seiner Untergebenen mit einer billigen Ausrede von der Sitzung erlöst; und überhaupt schließt er bei Terminen meistens die Augen, woraufhin seine Gesprächspartner nach einiger Zeit sich irritiert erkundigen, ob er schlafe, und Pius XIII. dann erwidert, mitnichten zu schlafen, sondern für sie zu beten.

Aber der neue Papst ist auch zerbrechlich, innerlich zerrissen von seiner Vergangenheit als Waisenkind, abgegeben und verlassen von seinen Hippie-Eltern, die angeblich in Florenz, weltgeografisch also ja nur einen Steinwurf vom Vatikan entfernt, leben. Und er ist unsicher, manchmal hilflos – aufgeschmissen ohne seinen spirituellen Mentor Kardinal Spencer (James Cromwell), bei dem er in Ungnade gefallen ist, weil Spencer eigentlich Papst sein wollte, ja fest damit gerechnet hat und nun hinter dem Ausgang des Konklaves eine Intrige seines einstigen Schützlings vermutet.

The Young Pope“ ist eine stylishe Exkursion durch den eigentümlichen Mikrokosmos des Vatikanstaats, entlang seiner Licht- und Schattenseiten, durch seine moralischen Abgründe und die Scheinheiligkeit seiner Bewohner. Und Jude Law, einer der gefragtesten Schauspieler der späten Neunziger und frühen Nullerjahre (u.a. „The Talented Mr. Ripley“, 1999; „Artificial Intelligence: AI“, 2001, „Alfie“, 2004), von dem zuletzt keine allzu brillanten Performances in Erinnerung geblieben sind, ist die perfekte Besetzung für diesen Papst. Belardo ist eine freche Mischung aus Heiligem, Diva und Fanatiker. Ihren Charme gewinnt die Serie aber nicht nur aus ihrer durchweg hervorragenden Besetzung und dem Wechselspiel aus Rankünen und Loyalität – so plant Voiello einen Medienskandal, bläst den Verrat aber ab, weil ihn Belardos Wahrhaftigkeit beeindruckt –; hinzu kommt die audiovisuelle Inszenierung, die das erhaben-altertümliche Vatikan-Ambiente radikal mit elektronischer Musik bricht. Im Intro (eines der besten seit Langem) wandelt Jude Law im weißen Papst-Gewand an einer Galerie religiöser Gemälde vorbei, zwinkert den Zuschauern – im flüchtigen Vierte-Wand-Durchbruch – kurz zu, musikalisch begleitet von der Tonspur eines „All Along the Watchtower“-Covers des britischen Grime-Künstlers James Devlin. Und in einer Folge prescht plötzlich LMFAOsSexy and I know it“ in die Szene, in der Pius XIII. seine goldbestickte Papstmontur anlegt, in der er anschließend in einer Sänfte vor die versammelten Kardinäle getragen wird, auf dass diese ihm die Füße küssen. Obendrein machen die genialen Kulissen die Opulenz des Vatikan-Interieurs zu einem optischen Spektakel.

Aber die große Leistung der Serie ist eigentlich: Am Anfang freut man sich darauf, dem neuen Papst, dem vermeintlichen Reform-Youngster, dabei zuzusehen, wie er die verkrusteten Strukturen des Vatikans aufbricht und eine fulminante Modernisierung startet – am Ende hat man dann Mitleid mit den ständig gepeinigten Kardinälen, die mit der schaurigen Rückschrittlichkeit ihres Kirchenoberhaupts hadern; und selbst dann noch überrascht Jude Laws Papst mit sporadischen Herzlichkeiten.

Text verfasst von: Robert Lorenz