Filmtipp

Die falsche Schwester (1976)

Kurzbeschreibung: Michael Caine wandelt als abgeklärter Privatdetektiv auf den Pfaden von Humphrey Bogart. Für einen – natürlich – ominösen Auftraggeber soll er in dieser Film-noir-Hommage die verlorene Tochter aufspüren. Den Originalen aus den 1940er und 1950er Jahren ähnelt dieser Film nur oberflächlich, aber er sieht so schön aus, wie man sich die Farbvariante immer erträumt hat.

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Nein, Michael Caine ist nicht Humphrey Bogart. Aber „Die falsche Schwester“ sieht so prächtig aus, wie man sich die Originale aus der Film-noir-Sektion nur wünschen kann, wollte man sie in Farbe betrachten. Dass der Protagonist – real wie im Film ein Brite – schon allein seiner kulturellen Herkunft wegen nicht viel mit dem New Yorker Humphrey Bogart zu tun hat, kann man sich eigentlich denken. Hat man diese grundlegende Erkenntnis verinnerlicht, lässt sich erheblich gelassener auf das Werk blicken, das uns Peter Hyams hier präsentiert. Dabei ist Hyams eigentlich ein Regisseur, der sich gerne an futuristischen Themen versucht. Zu seinen bekannten Werken gehören u.a. Outland“ (1981) (Kurzreview auf Filmkuratorium.de lesen), das von einem Gesetzeshüter auf dem Jupiter handelt, oder „Timecop“ (1994), in dem eine Polizeieinheit gegen den Missbrauch von Zeitreisen kämpft.

Hier aber geht es um einen „Peeper“ (so auch der englische Originaltitel) – das eher abwertende Slangsynonym für einen Auftragsermittler, das semantisch mit der Peepshow verwandt ist. Denn auch der Peeper guckt durchs Schlüsselloch, beschattet Privatpersonen, in deren Intimsphäre er herumschnüffelt. Um einen solchen Zeitgenossen, der sich ungebeten in die Angelegenheiten anderer einmischt und dadurch ein geradezu altbewährtes Leinwandmotiv darstellt, geht es hier. Obwohl Caine und Hyams wenig Parallelen zu ihren historischen Vorgängern Bogart und dessen Regisseur John Huston aufweisen, lehnt sich „Die falsche Schwester“ doch stark an die Film-noir-Granden an.

Schon die Handlung ist klassisch. L.A., 1947: Eines Abends taucht ein Mann im Büro des Privatdetektivs Leslie C. Tucker (Michael Caine) auf. Er beauftragt Tucker, seine Tochter aufzuspüren, die vor 28 Jahren zur Adoption freigegeben wurde und der er nun einen Teil seines Geldes, zu dem er zwischenzeitlich gekommen ist, überbringen will. Dieser Plotbeginn ist nur eines von zahllosen Elementen, die sich zu einer fast anderthalbstündigen Hommage an schwarz-weiße Detektivfilme addieren. Michael Caine ist zwar habituell alles andere als ein Wiedergänger Humphrey Bogarts, aber Szenerie und Personen sind durchaus den Stilikonen des Film noir nachempfunden. Neben dem mysteriösen Auftraggeber, über den man zu Beginn fast nichts erfährt, gibt es noch die aus der Zukunft zurückblendende Off-Stimme des Protagonisten; zwei Ganoven, die Tucker stoppen sollen (und von denen einer an Peter Lorre erinnert); und irgendwann sitzt auch die obligatorische Frau mit tränenverschmiertem Gesicht in Tuckers Büro.

Was hingegen fehlt, ist der melodramatische Grundton, der diese Art von Filmen normalerweise auszeichnet. Michael Caine und Natalie Wood verleihen dem Film stattdessen eine heitere Aura; ohnehin ist „Die falsche Schwester““ eine komödiantische Variation des Detektiv-Thrillers, die mehr von der Leichtigkeit der Sechziger als vom Schwermut der Siebziger in sich trägt. Mehr noch: In vielem bricht „Die falsche Schwester“ sogar mit dem Genre, ist – das Wortspiel sei an dieser Stelle zu verzeihen – eine falsche Schwester des urtümlichen Film noir.

Ebendieser Aspekt ist das führende Argument von Filmkritikern, welche „Die falsche Schwester“ als allenfalls mittelmäßigen Streifen befinden und ihm vorwerfen, v.a. die Rollen völlig falsch besetzt zu haben. Das muss man jedoch nicht so sehen. Natürlich ist Caine in allen Belangen meilenweit vom Typus Bogart entfernt und auch Natalie Wood hat wenig von einer Lauren Bacall oder Mary Astor, den kongenialen Frauen in den Bogart-Filmen. Zudem wird, im Unterschied zum klassischen Film noir, das Potenzial von Los Angeles als der bedrohlich unberechenbaren Metropole kaum genutzt. Aber genau daraus entfaltet „Die falsche Schwester“ eine ganz eigenständige Sympathie: Denn die exzentrische Mixtur aus nostalgischer Film-noir-Renaissance und der „King of Cool“-Attitüde Michael Caines geht tatsächlich auf. „Die falsche Schwester“ ist ein angenehm unbeschwerter Film, der mit seiner anmutigen Szenerie, den ungewöhnlichen Kameraperspektiven und seinen Figuren eine tolle Atmosphäre erzeugt.

Jeder Handlungsort ist wunderbar stimmungsvoll ausgeleuchtet: Tuckers stets düsteres Büro, die hellen Räume einer großen Villa, das glamouröse Theater und dessen von Dampf und Dunkelheit erfüllter Kellertrakt, nicht zuletzt der Luxusliner, auf dem das Finale stattfindet. Optisch wirken die meisten Szenen, als hätte sich eine bräunlich-grüne Folie über den Filmstreifen gelegt, was irgendwie zum Flair der späten 1940er Jahre an der amerikanischen Westküste zu passen scheint, genauso gut aber auch Assoziationen zu den Zwanzigern weckt. Die Charaktere sind stilvoll gekleidet und fahren in wuchtigen Karossen mit Chromfelgen und Weißwandreifen umher. Wir sehen die coolste Hornbrille, die Michael Caine jemals aufgesetzt hat, einen Dobermann, der mit seinen gefletschten Zähnen jedem „Jurassic Park“T-Rex das Fürchten lehren würde und eine Reihe anonymer Nebenfiguren, die im Abspann lakonisch als „Woman with Luggage“, „Stripper“, „Janitor“, „Bartender“, „Comic“, „Torpedo“ oder „Bazooka Himself“ aufgelistet werden. Oft filmt die Kamera quer von unten nach oben, befindet sich also mehr auf Knie- als auf Kopfhöhe der Darsteller, was allein bereits „Die falsche Schwester“ zu einem unkonventionellen Seherlebnis macht.

„Die falsche Schwester“ kam in einer Phase heraus, in der Hollywood mit einer ganzen Reihe von Werken ein Film-noir-Revival zelebrierte. Ein weitaus ernsterer Film ist Roman Polanskis zwei Jahre zuvor veröffentlichtes „Chinatown“ (1974), in dem sich – ebenfalls in kalifornischen Gefilden – Jack Nicholson als Privatdetektiv J.J. Gittes des Falles einer unnahbaren Kundin, gespielt von Faye Dunaway, annimmt und durch den vermeintlichen Routineauftrag in einen mörderischen Komplott voller Korruption und Intrigen verwickelt wird. In „Mach’s noch einmal, Sam“ (1972) beratschlagt sich Woody Allen als depressiver Filmkritiker mit einem imaginären Humphrey Bogart in Sachen Männlichkeit. Und fast hätte „Die falsche Schwester“ Hyams’ Karriere beendet – denn an den Kinokassen floppte der Film.

Text verfasst von: Robert Lorenz