Lust for Life (1956)
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Nahezu jede Biografie, ob Film oder Buch, fokussiert ein bestimmtes Charakteristikum der porträtierten Person. „Lust for Life“ legt den Schwerpunkt auf den Preis, den das künstlerische Genie seinem Träger und dessen Umfeld abverlangt. Mit dem Entschluss, Künstler statt Geistlicher zu werden, und der Entwicklung immer kapriziöserer Verhaltensweisen deprimiert Vincent van Gogh (1853–90, „Oscar“-nominierte Rolle von Kirk Douglas) bereits seine Eltern – denn die Exzentrik des jungen Mannes macht die Familie zum gemauschelten Spott des Dorfes. Sein Bruder Theo (James Donald) nimmt sich Vincents Schicksal an und versucht, ihm mit Geld und Rat zu helfen. Doch während Vincent van Gogh mühselig einen eigenen Stil entwickelt, der ihn erst posthum prominent und populär macht, bleiben ihm Ruhm und Reichtum zu Lebzeiten verwehrt. Er wird zunehmend instabiler und taumelt am seelischen Abgrund von Realitätsverlust und zur Neige gehender Lebenslust.
Der Film vermittelt einen vagen Eindruck vom Leben mittelloser Künstler im Westeuropa des 19. Jahrhunderts, aber auch vom zeitlos riskanten Künstlerdasein an sich. Auch verdeutlicht er, welch komplexe und zugleich komplizierte Persönlichkeit van Gogh wohl gewesen war. So zeigt er dessen wiederholte Zusammenbrüche, das turbulente Verhältnis zu seiner Familie, seine gescheiterten Liebesbeziehungen zu Frauen oder auch seine vorübergehende, latent homosexuelle Wohngemeinschaft mit dem hedonistischen Maler Paul Gauguin (1848–1903), der besonders sehenswert von Anthony Quinn interpretiert wird (dieser gewann dafür, und zum zweiten Mal nach 1952, einen „Oscar“ als bester Nebendarsteller). Im Unterschied zu Douglas und dessen Darstellung des fragilen Pinselschwingers durchbrach Quinn mit seiner Gauguin–Performance allerdings nicht seinen vertrauten Rollentypus des schroffen Machos.
Nicht zuletzt besticht der Film durch seine Besetzung, sind doch die beiden Künstlerlegenden van Gogh und Gauguin allein schon physiognomisch mit Douglas und Quinn frappierend gut getroffen; aber auch in ihren dominanten Verhaltensweisen werden sie glaubwürdig dargestellt. Für Douglas, der sich in erster Linie als Sklavenanführer Spartacus in der Filmgeschichte verewigt hat, erwies sich „Lust for Life“ sogar als dessen persönlich erfolgreichster Film – neben einer „Oscar“-Nominierung gewann er den Preis der „Hollywood Foreign Press Association“ für den besten Hauptdarsteller in einem Drama und den Preis für den besten Hauptdarsteller des „New York Film Critics Circle“ – den „Oscar“ erhielt er dagegen nie für einen spezifischen Film, sondern erst 1991 für sein Lebenswerk. 1957 galt Douglas jedoch als dermaßen sicherer Sieger, dass eine ganze Fotografenkompanie nach München reiste, wo Douglas gerade drehte. Am Ende gewann die Trophäe jedoch Yul Brynner für seine Hauptrolle als siamesischer Monarch in „The King and I“ (1956).
Auch wenn man die ganze Zeit auf die Szene wartet, in der sich van Gogh sein Ohr amputiert: Unheimlich – aber gerade deshalb so gut – ist vor allem die erste Episode des Films, in der van Gogh als Abgesandter der Kirche in ein Arbeiterquartier kommt und dort die soziale Brutalität des Bergbaulebens kennenlernt. Ob der lebensbedrohliche Alltag der ausgebeuteten Minenarbeiter, die spärliche Zwangskombination aus Atelier und Wohnung oder der Absinth: Der Film fängt die Atmosphäre jener Zeit in unterschiedlichen Milieus ein und erzählt geduldig die mitreißende Geschichte eines künstlerisch brillanten Psychopathen, der am Ende an ebendiesem Zwiespalt zerbricht.
TextRobert Lorenz
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