McCabe & Mrs. Miller (1971)
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Eigentlich ist „McCabe & Mrs. Miller“ der Alptraum eines jeden Baumarktbetreibers. Denn wer ohne auch nur die geringste Maßnahme, ohne einen einzigen Hammerschlag oder Farbstrich, seine heimischen vier Wände aufwerten will, braucht nur die Bilder auf sich wirken lassen, die Robert Altman (1925–2006) in diesem Film arrangiert hat. Nässe und Kälte sind gleich in den ersten Sekunden des Films förmlich spürbar und rücken einem umso nachdrücklicher die Behaglichkeit des eigenen Zuhauses ins Bewusstsein. Dort, in Presbyterian Church, einer fiktiven Ortschaft, die Altmans Filmcrew damals eigens für die Dreharbeiten in Kanada als überschaubare Ansammlung wackliger Holzhäuser erstehen ließ, will man nicht sein.
Das Bordell und die Dunkelheit
Eben dorthin reitet John McCabe (Warren Beatty), kein Revolverheld, sondern ein gerissener Pokerspieler, der auf der Suche ist nach Startkapital für ein eigenes Unternehmen. Bereits in dieser Ankunftsszene in dem abgelegenen Ort irgendwo am Rand der damaligen Zivilisation ist alles ausgelöscht, was auch nur entfernt mit der Frontier-Romantik und ihren Geschichten erfolgreicher Besiedelung einer zuvor brachliegenden Landschaft zu tun haben könnte, wie sie zuvor in so vielen Hollywood-Filmen in euphemistischer Manier vermittelt worden ist. Warren Beatty, der den namensgebenden McCabe spielt, trottet hier auf einem schmutzigen Ross, eingehüllt in einen dunklen Pelzmantel, durch eine triste Gegend; es regnet, der Wind heult und der buchstäblich einzige Lichtblick in der von Grau- und Brauntönen dominierten Szenerie ist ein winziges Lagerfeuer, das vor einem kleinen Zelt flackert. Sich selbst verfluchend steigt McCabe ab, in dem finsteren Ambiente übersieht man fast die wenigen Gestalten, die in gebückter Haltung zum Saloon schleichen – eine Bretterbude, die den beinahe absurden Schriftzug „Hotel“ trägt. Als McCabe die Kneipe betritt, ist die so dunkel, dass sich dem Auge des Zuschauers lediglich Gesichter und Pokerkarten zeigen.
Ganzer Stolz der Ortsansässigen ist die – ebenfalls aus Holz – neuerbaute Kirche. Auch McCabe hat in ein neues Gebäude investiert, in der Attitüde des schimpfenden Bauherrn tritt er dort seinen Arbeitern gegenüber, die seinem geforderten Tempo nicht nachgekommen sind. Dabei soll doch nun alles ganz schnell gehen, denn McCabe hat vor, sein Geld mit dem ältesten Gewerbe der Welt zu verdienen: der Prostitution.
Für 200 Dollar kauft er sich bei einem Zuhälter drei „Chippies“ – fortan der menschliche Kapitalstock des ambitionierten Entrepreneurs McCabe. Mit den drei Frauen reitet er zu seinem Geschäftsgebäude, in dem er sie einquartiert. Das Bezeichnende: McCabe wird nicht ihr schlechtester Arbeitgeber sein, die Zeiten und Sitten sind eben rau damals. Zusammen bilden sie sogar eine Schicksalsgemeinschaft: Denn McCabe verdient sein Geld mit ihren Körpern und Liebeskünsten, sie wiederum erhalten von ihm eine einigermaßen beständige Unterkunft. Der Glücksspieler McCabe bekommt indes schon bald eine Partnerin, die Prostituierte Constance Miller (Julie Christie). Nur sie, macht sie ihm Glauben, hat die Expertise, den Laden zusammenzuhalten und die Frauen für ihren harten Job zu disziplinieren. In einem forschem Monolog macht sie ihm klar, dass er keine Ahnung von Frauen und erst Recht keine von Prostituierten habe, dass er nicht einmal erkennen könne, ob eine Frau tatsächlich ihre Periode oder nur keine Lust zu arbeiten hat. McCabe leuchtet das ein, die beiden werden Geschäftspartner. Sie haben auch Sex, aber jedes Mal muss er im Voraus zahlen. Als erstes holt Miller neues Personal aus San Francisco, McCabe lässt derweil ein neues Gebäude errichten, in dem sich die zahlungsfreudige Kundschaft auch wohlfühlen soll – der Puff als gemütliches Refugium in einer deprimierenden Gegend. Das Geschäft floriert, doch eines Tages tauchen zwei Unterhändler eines Großunternehmens auf und wollen den ganzen Laden übernehmen. Und McCabe droht einen fatalen Fehler zu machen.
Altmans Anti-Western
Regisseur Altman hat eine wunderbar stimmige Atmosphäre kreiert. In beinahe jeder Einstellung spürt man förmlich die unwirtliche Gegend, das entsetzliche Klima, die soziale Kälte. Auch frühere, klassische Western haben solche Figuren wie Miller und McCabe als positive Charaktere gezeigt; aber hier, bei Altman, entbehren sie jeglicher Heroik und Illusion. Der Glücksspieler und die Edelnutte: Beide sind bereit, andere für ihre Ziele auszunutzen, und beide suchen auf ihre Art kurzweilige Alltagsfluchten. Während McCabe sich in kleinen Pokerrunden vergnügt, gibt sich Miller der Opiumpfeife hin. Ohne jeglichen Kitsch oder Pathos porträtiert Altman die bittere Symbiose zweier Menschen, die nach etwas streben, was ihnen ihr bisheriges Leben vorenthalten hat.
Die trostlose Szenerie wird perfekt mit Leonard-Cohen-Songs untermalt
Die drei Titel „The Stranger Song“, „Sisters of Mercy“ und „Winter Lady“ stammen von Cohens Debütalbum „Songs from Leonard Cohen“ aus dem Jahr 1967.
. In „McCabe & Mrs. Miller“ gerät die Kombination aus Bild und Musik ungefähr so genial wie in der britischen Gangster-Serie „Peaky Blinders“ (2013–). Es sind lakonische Einstellungen, die den Charme des Film ausmachen; etwa der sinnlose Tod eines Bordellgasts (Keith Carradine in seinem Leinwanddebüt), der kurz vor dem Verlassen der Stadt noch einmal im Saloon vorbeischauen will: Dort trifft er auf einen aggressiven Jugendlichen, der gerade so der Pubertät entkommen scheint; der schwingt mutwillig einen Revolver, provoziert den Fremden und erschießt ihn kaltblütig. Mit entsetztem Blick im Gesicht, eingefroren von der Todesstarre, versinkt die Leiche vor den Augen der Stadtbewohner im Eiswasser eines kleinen Sees.
Überhaupt liefert Altmans Film eine ziemlich böse Interpretation der Charaktere, die damals Amerika aufgebaut haben. Robert Altman war eben schon damals Hollywoods unerschrockener Zyniker. Mit „Nashville“ (1975) lieferte er nur wenige Jahre später eine heftige Kritik am menschenverachtenden Wesen der amerikanischen Musikindustrie ab, in „The Player“ (1992) nahm er dann sogar die Filmbranche auf die Schippe, in „Prêt-à-Porter“ (1994) schließlich noch die überspannte Modewelt. In „McCabe & Mrs. Miller“ ist es hingegen ein ganzes Genre, dass er dekonstruiert, nämlich das des klassischen Western – eine Paradedisziplin und lange Zeit ergiebige Geldquelle des alten Hollywood. In Altmans Anti-Western gibt es keine geradlinigen Heldenfiguren à la John Wayne oder Gary Cooper, auch die (Über-)Lebensbedingungen im „wilden Westen“ werden hier nicht beschönigt, die Krise der Protagonisten löst sich nach überstandener Klimax am Ende keineswegs in Wohlgefallen auf, traditionelle „Western“-Werte wie Heldenmut und Solidarität sucht man vergeblich.
TextRobert Lorenz
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