Mord an der Themse (1979)
Social-Media-Optionen
Aus dem Nebel trabt über das glitschige Straßenpflaster ein schwarzes Pferd mit ebenso dunklen Scheuklappen, im Schlepptau eine schwarze Kutsche, deren Fahrer vermummt ist und deren Insasse nur seinen Arm zeigt. Szenenwechsel: Im Royal Opera House trifft sich die upper class zur glamourösen Abendveranstaltung. Von solch harten Kontrasten speist sich ja immer wieder die Sympathie, die man dem berühmten Duo während dessen Ermittlungen entgegenbringt: Denn sobald man sich von den gespenstischen Straßenschluchten entfernt hat und wieder in der Gegenwart des kultivierten Privatdetektivs Sherlock Holmes und seines Assistenten Dr. John Watson befindet, wird einem gleich viel wohler. Der „Ripper“ treibt zwar weiterhin sein Unwesen; aber die beiden Ermittler sind längst dabei, all ihre Raffinesse einzusetzen, um weitere Morde zu verhindern.
Stark gespielte Nebenrollen
In einer Kutsche begeben sich Holmes und Watson zu einer entlegenen Heilanstalt, um eine Insassin, eine mögliche Schlüsselperson des Falles, zu befragen. Diese Institution befindet sich in einem gruseligen Gebäude, weit außerhalb der nächsten Ortschaft. Im Innern fühlt man sich mehr in einem Kerker als in einer Klinik. Tief im Keller sitzen, wie in einem mittelalterlichen Verlies, die geisteskranken Frauen, die das Hospital beherbergt: verstörende Fratzen, aus denen der Wahnsinn ihrer Psyche spricht. Das Gespräch, das Holmes mit der jungen Frau führt, derentwegen es ihn und Watson an diesen schrecklichen Ort verschlagen hat, ist eine ungemein stark gespielte Szene, die von Geneviève Bujold und ihrer ergreifenden Darstellung einer tragischen Gefangenen dominiert wird. Bujolds Auftritt dauert nur wenige Minuten; und ist doch so kraftvoll, dass er allein den Film bereits sehenswert macht (Bujold gewann 1980 für ihre Performance den kanadischen „Genie Award“ – auch Christopher Plummer wurde damit prämiert).
Überhaupt zeichnet sich „Mord an der Themse“ durch exzellent besetzte Nebenrollen aus. Donald Sutherland spielt einen seltsamen Mann, der als Medium firmiert und dem die Polizei Gegenstände in die Hand drückt, damit er die Gegenwart des mutmaßlichen Serienmörders „spürt“. Anthony Quayle, eine Art ungekrönter König der Nebenrollen, spielt mit gekräuseltem Backenbart den dubiosen Regierungsmann Sir Charles Warren, den Sherlock Holmes mit einem raffinierten Manöver der Mitgliedschaft bei den Freimaurern überführt. Und so geht es weiter: Frank Finlay – der Porthos aus den „Drei Musketieren“ (1973) – tritt auf als Holmes-Verbündeter Inspektor Lastrade; Susan Clark als lebensgefährdete Trägerin eines düsteren Geheimnisses; und David Hemmings als zwielichtiger Inspektor Foxborough.
Aber nicht nur die Schauspieler, auch die Kulissen und Perspektiven tragen enorm zur stimmigen Atmosphäre des Films bei. Zwar ist für den Blick auf das langgezogene Parlamentsgebäude mitsamt des Big Ben entlang der nebelverhangenen Themse eine schreckliche, deutlich als solche erkennbare Staffage verwendet worden; aber dafür kommt in den düsteren, nebligen, nasskalten Gassen der Innenstadt gehöriger Grusel auf, wenn der Serienmörder sein Unwesen treibt, nachdem er seiner pechschwarzen Kutsche entstiegen ist. Schräge Kamerawinkel und penetrante Zooms zeigen riesengroße Gesichter, in denen sich der Schrecken vor dem nahenden Tod abzeichnet (oder fast noch besser, als man aus der Perspektive des mysteriösen Mörders durch die engen Häuserschluchten schleicht). Und die diabolischen Visagen der Unterweltgestalten, die sich in den toten Winkeln der Häuserschluchten verbergen, sind häufig nur streifenweise ausgeleuchtet. Das alles unterfüttern die eleganten Kostüme mit ihren detailverliebten Accessoires.
Plummer und Mason sind ein famoses Duo
Die Qualität einer jeden Sherlock-Holmes-Adaption bemisst sich natürlich an dem Zusammenspiel der beiden Hauptcharaktere: Holmes und Watson. Die Paarung Plummer–Mason fügt sich nicht nur wunderbar stimmig in „Mord an der Themse“ ein, sondern ist zugleich eine der besten Kombinationen, die bislang für die Romanvlorgae gefunden worden sind. Christopher Plummer spielt seinen Holmes weit weniger verschroben als andere; und James Mason verleiht seinem Watson eine würdevolle Gravität, die diesem Charakter sehr gut tut – schon allein weil er nicht wie so häufig von untersetzter Statur ist. Während Holmes mit fröhlichem Übermut seinen Indizien hinterherjagt und ständig Watsons Kombinationsvermögen abfragt, liegt in Watsons Blick eine pausenlos indignierte Sicht der Dinge. Nur selten kaprizieren sich die beiden Männer auf die Marotten des jeweils anderen; aber in gefährlichen Situationen sind sie mit einer geradezu rührseligen Zärtlichkeit um ihr gegenseitiges Wohlergehen besorgt.
Dabei kommen eine Menge amüsanter Momente heraus. Herrlich skurril ist etwa die Szene, in der Watson erfolglos versucht, mit der Gabel die letzte auf seinem Teller verbliebene Erbse aufzupicken – solange, bis Holmes ihm das Essbesteck entwendet und die Erbse einfach zerdrückt, woraufhin Watson mit stiller Empörung erläutert, dass er Erbsen nur unzerdrückt verspeise, weil er gerne in deren festen Körper hineinbeiße; natürlich schmeckt ihm prompt die Sherlock’sche Erbse nicht. Später ziehen Inspektor Lastrade und Holmes den tadellos rechtschaffenen Watson auf, nachdem der in einer Gefängniszelle gelandet ist, weil er angeblich einen Zuhälter verprügelt hat. Denn ausgerechnet Watson hatte sich in einen verrauchten Pub begeben, um dort undercover als Journalist den ordinären Prostituierten Informationen abzuschwatzen. Und als Holmes wie eh und je wortlos aus seiner Wohnung stürmt, nachdem sie sich gerade eben noch beraten haben, bringt Watson das zentrale Spannungsmoment ihrer Beziehung auf einen Satz: „Holmes! You’re always dashing off without telling me where you’re going or what our objective is.“
TextRobert Lorenz
: