Zardoz (1974)
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Er kostete ihn viel Geld und wegen ihm musste sein Schöpfer John Boorman später das Hollywood-Angebot annehmen und „Exorcist II: The Heretic“ (1977) drehen. „Zardoz“ ist ein Independent-Film mit einem Superstar in der Hauptrolle, ein Kassenflop – und einer der bizarrsten, originellsten Filme der Siebziger.
Oft wird gesagt, die Welt von „Zardoz“ sei eine Dreiklassengesellschaft. Das stimmt nicht ganz, denn die unteren beiden dieser Klassen-Trias, die Brutals und die Brutal Exterminators, wissen ja gar nichts von der Existenz der oberen, der Eternals. Aber natürlich bleibt es auch so ein ungemein dystoptischer Entwurf der Zukunft als Endprodukt sozialer Ungleichheit. Die Reichen und Mächtigen haben sich in einem Vortex abgeschottet und darin – als extreme Konsequenz ihrer sozialen Privilegierung – Unsterblichkeit erlangt, während die übrigen Ausgeschlossenen auf den Trümmern einer verfallenden Zivilisation vegetieren. Innerhalb der Eternals gibt es die Renegaten („condemned to an eternity of senility“), die in einem alten Zirkuszelt eingesperrt sind; und die Apathischen, denen die Lebenskräfte fehlen und die in einer Stallung vor sich hin vegetieren. Die Eternals entsenden einen der ihren, Arthur Frayn (Niall Buggy), um die inzwischen barbarischen, entkultivierten Outlands zu regulieren – auf dass diese reichlich Getreide anpflanzen, mit dem sich die Eternals versorgen.
Und Frayn hat seine Kreativität ganz besonders exzentrische Blüten tragen lassen: Um die Brutrals zu manipulieren, hat er kurzerhand den Gott „Zardoz“ erfunden, der in Gestalt eines riesigen Steinkopfes durch die Gegend fliegt und hernieder kommt, um einer Kaste Auserwählter, die sich mit Zardoz-Masken schmücken und von Frayn mit überlegenen Genen gezüchtete Mutanten sind, seine Anweisungen zu erteilen („Zardoz speaks to you, his chosen ones.“ – eine martialische Maskerade wie vom Zauberer in „The Wizard of Oz“, 1939).
Zu Beginn des Films schwebt der gigantische Steinkopf – bei dem Boorman in den ideologisch aufgeladenen Siebzigern beglaubigen musste, es handle sich bei der fiktiven Gottheit nicht um ein Karl-Marx-Abbild – über die grünen Hügel Irlands zu seinen Jüngern herab und proklamiert: „The gun is good. The penis is evil!“ Dann ergießt sich aus seinem Schlund eine riesige Menge an Gewehren und Pistolen samt Munition, die von den begeisterten Maskenträgern unter Zardoz-Huldigungen aufgesammelt werden. Damit sollen die „Auserwählten“ ausziehen, um die unnützen Brutals zu töten.
Hinter diesem vermeintlichen Gottesauftrag verbirgt sich freilich nichts anderes als eine perfide Manipulation Arthur Frays, der sich diese ganze Religions-Show nur ausgedacht hat, um im Sinne der arroganten Eternals eine effiziente Bevölkerungsbegrenzung und bequeme Nahrungsmittelversorung zu erreichen. So reiten seine maskierten Exterminators über die Hügel, Felder und Strände Irlands, und erschießen in Zardoz’ Namen jeden, den sie dort antreffen. Später dann lässt Zardoz die Unglückseligen nicht mehr ermorden, sondern versklaven – damit sie Getreide anbauen, das als vermeintliche Opfergabe an Zardoz über dessen steinerne Manfestation in den Vortex transportiert wird. Doch wie im „Zauberlehrling“ verliert Frayn die Kontrolle, als die Exterminators ihre intellektuelle Stärke für einen Komplott nutzen: Einen von ihnen, Zed, verstecken sie im Getreide ihrer Opfergabe; und so gelangt dieser primitive Massenmörder heimlich im fliegenden Steinkopf in den geheimen Vortex.
Dort erwartet uns allerdings nicht etwa eine futuristische Siedlung, eine technologisch oder kulturell ausgeklügelte, visuell faszinierende Infrastruktur, die von der mentalen Überlegenheit einer Kaste der Unsterblichen zeugt, sondern ein britisches Landhaus mitsamt kargem Gehöft – als habe sich die Filmcrew die Kulisse einer Frühneuzeit-Verfilmung ausgeborgt oder einfach nicht genug Budget gehabt. Allenfalls sonderbar sind die in transparente Plastikballons gehüllten Pflanzen und ein Ring, der digitale Daten in die Luft projiziert und wie mittlerweile „Siri“, „Cortana“ & Co. auf Sprachbefehle reagiert. Dieses spartanische Arrangement aus einem alten Gebäudekomplex, auf dessen Dach man ein paar skurrile Plastikballons drapiert und dessen Innenräume mit Seidentüchern und einem riesigen Glastisch gefüllt hat, verleiht dem Film eine durchaus interessante Aura. Aber vermutlich ist all das tatsächlich einfach nur den Produktionsumständen geschuldet: Denn „Zardoz“ war ein Low-Budget-Unterfangen, das Boorman mit lediglich einer Million Dollar im Gepäck realisierte.
Als Kameramann engagierte Boorman immerhin Geoffrey Unsworth, der für die unerbittlichen Perfektionisten Stanley Kubrick und Bob Fosse „2001: A Space Odyssey“ (1968) sowie „Cabaret“ (1972) gedreht hatte (für Letzteren gewann Unsworth 1973 einen „Oscar“). Durch die starken Performances des Casts, die kaleidoskopischen Sequenzen, die esoterischen Farbschleier auf den Bildern und die visuellen Verweise auf mythische Dimensionen verdichtet sich „Zardoz“ zu einem surrealen Filmerlebnis mit einer ganz eigenen Exzentrik.
Und natürlich entstehen – so banal das auch sein mag – durch den fast nackten Sean Connery mit seinem Brustpelz, dem Dickicht eines Backenbarts und einem langen, geflochtenen Zopf lauter absurde Szenen (nicht nur muss man beim Anblick des „Zardoz“-Connery unweigerlich an Burt Reynolds denken – tatsächlich wollte Boorman für die Hauptrolle ursprünglich Reynolds verpflichten, mit dem er im Jahr zuvor in den USA „Deliverance“ gedreht hatte). Etwa die Szene, in der Connery den Unsterblichen an ihrer Tafelrunde mit einer großen Kelle Kartoffeln serviert; oder jene, in der sie ihn beflissen als Forschungsobjekt examinieren, um herauszufinden, auf welchen Reiz hin sich die männliche Erektion einstellt.
Kennt man Boormans „Excalibur“ aus dem Jahr 1981, meint man in „Zardoz“ in vielerlei Hinsicht einen stilistischen Vorläufer zu erkennen. Wie Mordreds Horden aus „Excalibur“ reiten die Exterminators zu Beginn von „Zardoz“ über die eigentlich grünen Wiesen, die hier jedoch seltsam dunkel, fast grau wirken. Laute, sich ständig wiederholende Rufe kündigen von ihrer Ankunft, während die Nebelschwaden unheilvoll über die Ebene ziehen und alles unangenehm trist, kalt, nass wirkt. Und wie in „Excalibur“ hat Boorman eine beinahe sadistische Freude daran, immer wieder zu zeigen, wie sich Dolche und Schwerter in das Fleisch bald toter Menschen bohren. Ja, es gibt sogar eine Tafelrunde, an der die Eternals dinieren; und obendrein drehte Boorman beide Filme am selben Ort: in der irischen Grafschaft Wicklow, nahe seinem Wohnsitz. Geschaffen haben Boorman und seine Leute einen Film, dessen bedrückende Stimmung, aber auch magische Atmosphäre noch lange nachwirken.
TextRobert Lorenz
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