Filmtipp

Rollercoaster (1977)

Kurzbeschreibung: Ein skrupelloser Erpresser verwandelt mit Sprengladungen gigantische Achterbahnen, den Stolz der amerikanischen Freizeitparks, zu Todesfallen. Ein Sicherheitsinspektor und ein FBI-Einsatzleiter versuchen den gefährlichen Mann zu stoppen. Der Film zeigt wilde Kamerafahrten auf den Rollercoaster-Strecken und inszeniert mit originellen Perspektiven das Duell beider Seiten.

Social-Media-Optionen

Das Erstaunliche an Timothy Bottoms ist, dass hier seine Mimik im Grunde genauso wirkt wie in Filmen, in denen er Gutherzige, Freundliche, Liebende spielt. In „Rollercoaster“ aber gerät sein Gesichts­ausdruck zu etwas Teuflischem, weil er eben seinen teuflischen Taten mit unfassbarer Gelassenheit zusieht. Mit einer Zuckerwatte in der einen Hand steht er nahe der Achterbahn, die er entgleisen lassen will, und zieht ganz langsam mit der anderen Hand den Reißverschluss seiner Jackentasche, nimmt – beinahe zärtlich – den Transmitter heraus und betätigt den Auslöser. Dann zeigt die Kamera die Stelle, an der seine kleine Bombe detoniert und eine Lücke in die Schiene reißt, während der Achterbahntross fröhlich kreischend auf die zerfetzte Spurstelle zurast.

Was dann passiert, hätte vermutlich weniger grausam und entsetzlich gewirkt, wenn es spektakulärer, blutiger, explosiver inszeniert worden wäre: Die Achterbahn fliegt aus der defekten Spur und kracht aus dem Geländer der Anlage direkt in die darunter liegenden Buden, mitten hinein in die hysterische Spaßbeleuchtung. Körper werden aus den Waggons herausgeschleudert und die gruseligste Szene ist die, in der ein Wagen erst oberhalb der schockierten Rummel-Besucher zum Stehen kommt und dann umkippt, wie ein Stein hinabstürzt, sodass die festgeschnallten Insassen mit ihren Köpfen voran auf dem Asphalt aufschlagen.

Eine menschliche Tragödie, klar. Aber die Betreiber des Freizeitparks denken natürlich zuerst an die Wirkung in den Nachrichten und wie sich die Katastrophe auf ihr Geschäft auswirken wird. Betroffen sind nur die Romantiker unter den Schaustellern, wie der greise Benny (Harry Davis), der als Hilfsarbeiter sein ganzes Leben auf solchen Vergnügungsplätzen verbracht hat und nicht fassen kann, dass die Attraktion zur Todesfalle geworden ist.

Wie in jedem Katastrophen- und Terrorfilm gibt es auch hier einen Manager, der die Krise bewältigen soll. George Segal, einer der gefragtesten Schauspieler der mittleren und späten 1970er Jahre, ist Harry Calder, ein Sicherheitsinspektor, der nun zum Unfallort eilen muss, weil sein Chef (Henry Fonda in einem seiner zahllosen Miniauftritte damals) gerade im Edelrestaurant den Hochzeitstag feiert.

Calder ist kein akribischer Bürokrat, sondern ein Mann der Tat – geschiedener Vater einer Tochter (die junge Helen Hunt), ein Kettenraucher, der sich gerade mit einer Elektroschocktherapie zu entwöhnen sucht. Als Calder kurze Zeit später von einem Vorfall in einem anderen Freizeitpark hört, erpresst er sich mit der Drohung, die Medien einzuschalten, den Zugang zu einem Geheimtreffen von Parkmanagern. Denen liegt ein Erpresser-Tonband vor, demzufolge sie eine Million Dollar aufbringen sollen, um sich von weiteren Attentaten freizukaufen. Calder soll den Geldkoffer übergeben – aber FBI-Agent Hoyt, der die Taskforce leitet, will den Erpresser austricksen.

Calder ist der einzige, der kapiert, dass sich der Erpresser – sein Name wird nie genannt – aber nicht austricksen lässt, vielmehr jeden Schritt der Bundespolizei vorausahnt und raffinierte Vorkehrungen getroffen hat. Mit einem Funkgerät, das sich bald als Bombe herausstellt, hetzt er Calder und den Geldkoffer durch den riesigen Freizeitpark und die ahnungslosen Besuchermassen, um all die dort stationierten Agenten zu täuschen. Die ganze Zeit über ist Calder dabei der Willkür und Selbstbeherrschung dieses Unbekannten, dieses potenziellen Massenmörders, ausgeliefert.

Richard Widmark spielt den FBI-Mann, der mit seiner Hartnäckigkeit und seinem Überlegenheitsgefühl das Schicksal hunderter Menschen riskiert, am Ende aber dem viel besseren Urteilsvermögen Calders vertraut. Und Widmark legt dabei die gleiche ungerührte Altherrenmiene auf, mit der er in anderen Rollen (z. B. 1978 in „Coma oder 1984 in „Against All Odds“) den Undurchschaubaren, den Bestimmer spielt.

George Segal ist nicht zuletzt deshalb eine so gute Besetzung, weil er seine Figur stets glaubwürdig wirken lässt: Calder ergeht sich nicht in übertriebener Heldenhaftigkeit, liefert sich keinen Showdown und gerät auch nicht in eine fulminante Action-Sequenz; und als er überraschend erfährt, dass seine Tochter und seine Partnerin geradewegs auf eine Attraktion zustreben, die mit einer Bombe gespickt sein könnte, schickt er sie einfach nach Hause – kein suspense, nichts; gerade der lakonische Verzicht auf die übliche Konstellation, die Angehörigen des Helden im großen Finale noch einmal in Gefahr zu bringen, macht diese Szene so stark.

Und zur Abwechslung sind es hier keine Naturgewalten, Technikdefizite oder Verschwörungen, die in „Rollercoaster“ das Land und die Menschen bedrohen; sondern ein Individuum, ein Einzelner. Schon damals, Ende der Siebziger, zeigt dieser Mann die Verwundbarkeit einer modernen Gesellschaft, die kaum etwas gegen ihn ausrichten kann, weil sie nicht weiß, wo er als nächstes zuschlägt. Über ihn, Timothy Bottoms’ Figur, erfahren wir fast nichts; lediglich, dass er in der berühmten „101st Airborne Division“ gedient hat – das wiederum ist ein von Hollywood gerne gewähltes Motiv: ein Mann, den das Militär zum Spezialisten ausgebildet und ihn dann ausgespuckt hat, hinein in eine Gesellschaft, die mit ihm nichts anfangen kann – ein gefährlicher Verlierer.

Text verfasst von: Robert Lorenz