Filmtipp

The Wild Angels (1966)

Kurzbeschreibung: Drei Jahre vor dem Kultfilm „Easy Rider“ fegte Peter Fonda bereits auf einem Motorrad über den Asphalt. Als Anführer eines brutalen „Hells Angels“-Charter zelebriert er unter der Regie von Roger Corman die Freiheit mit Sex, Drogen und Gewalt.

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Der Ritt auf dem knatternden Motorrad, der Fahrtwind als handfestes Gefühl der Freiheit und die Zeit als bedeutungsloser Parameter der Andersdenkenden: Das waren wesentliche Merkmale, die im Jahr 1969 „Easy Rider“ ausmachten – den Film, in dem zwei motorisierte Freigeister auf ihrem Weg zum Faschingsfest in New Orleans die halben USA durchqueren und mit ihrer ganzen Attitüde provozieren, ehe sie von zwei Rednecks von ihren Maschinen geschossen werden. Wie nur wenige andere Filme steht „Easy Rider“ für das Lebensgefühl und die zerschlagenen Hoffnungen einer ganzen Generation – und der sonnenbebrillte Peter Fonda auf seinem Bike war das dazugehörige Gesicht.

Dabei waren zentrale Elemente dieses zum Mythos gewordenen Werks überhaupt nicht neu. Sieht man „The Wild Angels“ – vom König des B-Movie, dem „Pope of Pop Cinema“ Roger Corman drei Jahre zuvor veröffentlicht –, relativiert sich ein beträchtlicher Teil von „Easy Rider“. Und das nicht nur, weil bereits hier Peter Fonda die Hauptrolle spielte und in der gleichen Pose, mit den fast den gleichen Klamotten und der gleichen Sonnenbrille über den Asphalt bügelt.

Peter Fonda fährt als Heavenly Blues mit seinem Motorrad auf einem Highway entlang der kalifornischen Küste.

The Wild Angels“ zeigt eine Gruppe „Hells Angels“ auf ihrem Terrortrip durch das trockene Kalifornien (im Übrigen kompromisslos mit echten Höllenengeln gedreht). Sie sind bedingungslose Nonkonformisten, was sie mit drastischen Symbolen wie dem Hakenkreuz unterstreichen – überhaupt baumeln an ihren Körpern Eiserne Kreuze, haben sie auf ihren Jacken und Mützen Reichsadler aufgenäht und Hakenkreuze aufgemalt – ein totes Mitglied wird später in einer blutroten Nazifahne bestattet. Immer wieder provozieren sie Schlägereien – notfalls auch untereinander. Einmal verprügeln sie eine Gruppe Mexikaner, die sie als „taco benders“ verhöhnen, in deren eigener Garage. Das härteste Handgemenge ist am Schluss des Films, auf dem Friedhof eines kleinen bewaldeten Orts, zwischen den „Angels“ und einigen Einwohnern: Dumpfe Tritte, peitschende Schläge und das Stöhnen der Niedergestreckten ergänzen sich zu einem martialischen Schauspiel.

Die Motorradgang zieht als Trauerprozession durch einen kleinen Ort; voran fährt Heavenly Blues mit seiner Maschine, hinter ihm trägt eine Gruppe zu Fuß den Sarg, im Hintergrund rollen weitere Motorräder.

Sex, Drogen und Gewalt sind die basalen Triebkräfte ihres ziellosen Daseins als aggressive Hedonisten, die machen, was sie wollen – nur um zu zeigen, dass sie es können. Corman porträtiert sie als mobile Chaos-Truppe, die völlig unberechenbar jederzeit in das konventionelle Leben der Mehrheitsgesellschaft eindringen kann und gegen welche die Polizei schon damals wenig ausrichten kann. Bis auf blanken Mord gibt es keine Grenze, die sie nicht überschreiten: Sie stehlen, schlagen und vergewaltigen. Die Frauen, die sie auf ihren Maschinen mitnehmen, sind allesamt „Mommas“, die innerhalb der Gruppe als frei verfügbare Sexobjekte herumgereicht werden – nur die Frau des Chefs ist davon ausgenommen (hier gespielt von Nancy Sinatra). „The Wild Angels“ ist so etwas wie die Hardcore-Version des Klassikers The Wild One“ aus dem Jahr 1953.

Mitglieder der Gang in einem kleinen Waldstück, im Vordergrund steht ein Mann zwischen zwei Frauen, die am Oberkörper lediglich einen BH tragen.

Eine stringente Handlung gibt es nicht: Nachdem Loser (Bruce Dern), der beste Kumpel des Anführers Heavenly Blues (Fonda), auf der Flucht angeschossen vor einer Polizeiblockade auf der Straße zusammengebrochen und im Krankenhaus operiert worden ist, entführt ein „Angels“-Kommando den Halbtoten aus seinem Krankenbett – eine schlechte Idee, wie sich bald herausstellt: Nach einem letzten Zug am Joint stirbt Loser vor den Augen seiner Gang. Darauf folgt das schockierende Highlight des Films: eine Sex-, Drogen- und Gewaltorgie in der Kirche, anlässlich des von den „Angels“ improvisierten Begräbnisses ihres Kameraden Loser. Erst nötigen sie den Pfarrer (Frank Maxwell) zu einem spontanen Gottesdienst, um nach nur wenigen Minuten den Geistlichen und seinen Glauben zu verspotten und den christlichen Ritus in eine nihilistische Party zu verwandeln. Alle tanzen ekstatisch, begießen ihre Gesichter mit hochprozentigem Fusel; Losers trauernde Freundin wird unter Drogen gesetzt und von mehreren „Angels“ vergewaltigt, Loser selbst – bzw. vielmehr seine Leiche – mit einer Sonnenbrille an die Wand gelehnt; an seiner statt landet der verprügelte Pfarrer im Sarg. Wenig später ist der Film vorbei – aber man kann sich ausmalen, wie schockierend er Mitte der 1960er Jahre gewirkt haben muss.

 

Text verfasst von: Robert Lorenz