The Fall (2013–)
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Belfast ist ohnehin kein beschaulicher Ort. Einst tobte in Nordirlands Hauptstadt ein bürgerkriegsähnlicher Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten, von 1969 bis 1998. So etwas vergisst niemand, der dabei gewesen ist. Nun aber sorgt in der Stadt etwas anderes für Unruhe, für Schrecken: ein Familienvater (Jamie Dornan). Man darf dies verraten, denn als Zuschauer hat man von Beginn an Kenntnis von dessen Taten, die aus seinem Doppelleben hervorgehen.
Tagsüber arbeitet Paul Spector als Psychologe für eine Behörde, hat zwei Kinder und eine Frau, die als Krankenschwester auf einer Station für Frühgeborene arbeitet. Seine Freizeit verbringt er damit, Frauen zu malträtieren und anschließend zu töten. Nachts schleicht er sich aus dem Haus, wenn er zurückkehrt, macht er Einträge in seinem geheimen Notizbuch, das er in der Decke oberhalb des Kinderzimmers versteckt. Er ist ein Serienkiller, der seine – ausschließlich – weiblichen Opfer nach einem spezifischen, stark sexuell bestimmten Muster auswählt und sie in einem persönlichen Ritus tötet, bei dem er die erdrosselte Leiche badet und anschließend adrett mit feinsäuberlich lackierten Fingernägeln auf dem Bett drapiert. Weil er bei seinen nächtlichen Mordexkursionen keinerlei Spuren hinterlässt und sein Motiv der Polizei Rätsel aufgibt, betraut Polizeichef Jim Burns (John Lynch) in seiner Not die eigens aus London angereiste Stella Gibson („X-Files“-Ikone Gillian Anderson) mit den Ermittlungsarbeiten. Gillian Anderson, die zuletzt auch in „Hannibal“ (2013–15) auftrat, ist nicht nur für Fans der X-Akten eine grandiose Besetzung für diese Rolle.
In Gibson findet Spector eine gefährliche Gegenspielerin, die ihm seine Streifzüge in die Haushalte alleinstehender Frauen mit all ihrer Energie erschweren wird. Gibson ist präzise und nimmt kein Blatt vor den Mund; im männlich dominierten Hauptquartier der, zumal nordirischen, Polizei irritiert sie mit ihrem selbstbewussten Auftreten, ihrer demonstrativen Emanzipation von überkommenen Geschlechterrollen. So besteht eine von Gibsons ersten Handlungen darin, einen jungen Detective in ihre „Hilton“-Suite zum One-Night-Stand einzubestellen. Mit entwaffnender Präzision konfrontiert sie anschließend ihren Vorgesetzten mit dem chauvinistischen Widerspruch dessen Vorwurfs, mit einem verheirateten Mann geschlafen zu haben.
Reduziert man „The Fall“ auf seine Kernpunkte, dann mag selbst das Format einer Serie mit kurzen Staffeln noch überdimensioniert erscheinen: Ein offenkundig seltsamer Mann ermordet in seiner Freizeit Menschen und verbirgt diesen düsteren Teil seiner Identität vor seiner Familie; die örtliche Polizeibehörde ist in ihrer Aufgabe herausgefordert, die allgemeine Sicherheit der Stadtbevölkerung zu gewährleisten und stellt eine Task Force zusammen. „The Fall“ besticht aber gerade durch den Umstand, nicht mehrere Kriminalfälle abzuhandeln, wie das für Serien dieses Genres üblich ist; stattdessen widmet sie sich intensiv einer Angelegenheit, setzt sich mit einer einzigen Verbrecherpersönlichkeit in geradezu gewaltsamer Ausführlichkeit auseinander, dokumentiert akribisch, wie diese Person vorgeht, wie sie sich vor der Entdeckung durch die Polizei schützt; sie zeigt die Alltagsprobleme, mit denen der Mörder konfrontiert ist, und ergründet allmählich, wie es zu dieser extremen Neigung, der perversen Verkopplung von Fürsorge und Vernichtung, überhaupt gekommen ist. Die Kinder müssen ins Bett gebracht werden, das geheime Journal voller perverser Zeichnungen mitsamt einer Art Mordlogbuch darf nicht entdeckt werden und zwischen den Sozialberatungsterminen muss noch Zeit gefunden werden, um sich auf das nächste Opfer vorzubereiten.
Das Gleiche aufseiten der Kontrahenten: Wie geht Gibson vor, wie operiert sie auf fremdem Terrain, wie managt sie in einer brisanten Situation ihre sozialen Beziehungen zu einer Vielzahl unterschiedlichster Persönlichkeiten, mit denen sie konfrontiert ist? Da ist ihr Vorgesetzter, mit dem sie eine Affäre hatte, eine lesbische Untergebene, deren Blicke sie suchen, vorlaute Kollegen sowieso und schließlich ein Moloch in den eigenen Reihen.
Diese zwei Individuen, Spector und Gibson, liefern sich einen Schlagabtausch des Grauens. Etwas soziologischer formuliert: Ein einzelnes Individuum fordert zwei der mächtigsten Regulationsinstanzen des Staats heraus: Polizei und Gesetz. Obwohl es sich dabei um ein überaus klassisches Motiv handelt, erzeugt die Inszenierung der Serie dennoch das, was eine richtig gute Unterhaltungssendung auszeichnet: die Lust auf mehr davon. Aber zum Glück ist „The Fall“ ja gar keine Mini-Serie – die dritte Staffel steht bevor.
TextRobert Lorenz
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