Filmtipp

10 – Die Traumfrau (1979)

Kurzbeschreibung: Als die Midlife-Crisis noch als „männliche Menopause“ umschrieben wurde, drehte Blake Edwards diese subtile Komödie um einen erfolgreichen Schnulzen-Komponisten, der in eine mentale Lebenskrise gerät, als er sich in eine jüngere Frau verguckt.

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George Webber (Dudley Moore) ist ein Mann, der alles erreicht hat: Im offenen Rolls Royce cruist er durch Beverly Hills, seine Musik ist weltbekannt, hat ihm „Oscars“ und eine ganze Menge Geld eingebracht. Aber die Frau im Hochzeitskleid, die er an einer Straßenkreuzung in einer Limousine sieht, infiziert ihn mit einer veritablen Midlife-Crisis. Das berüchtigte Syndrom wirkt bei Webber gleich so stark, dass er die Braut bis zur Kirche verfolgt, dabei in einen Polizeiwagen rauscht, um anschließend wie ein reudiger Stalker mit riesiger Sonnenbrille in die Kirche zu schleichen und sich hinter einer Hochzeitsdekoration zu verstecken. Das geht gründlich schief, weil ihm eine Wespe in das Nasenloch krabbelt …

Diese Szene gibt Richtung und Aura des Films wieder: Im Grunde geht es um einen steinreichen Mittvierziger, der in eine mentale Lebenskrise gerät und dem eine junge, hübsche Frau zur Kontrastfolie seiner gegenwärtigen Beziehung mit der Sängerin Samantha Taylor (Julie Andrews) wird. Der unwahrscheinlich sympathische Charme des Films liegt jedoch darin, dass dieses klassische Story-Motiv nicht melodramatisch dargestellt wird, sondern mit feinsinnigen Humor und kleinen Zynismen. Regisseur Blake Edwards, der mit Peters Sellers vier „Pink Panther“-Filme und den „Partyschreck“ (1968) gedreht hatte, hat „10“ mit einer Reihe von Witzen, Anzüglichkeiten und Alltagsabsurditäten garniert. Das Spektrum des Films reicht von subtilem Humor bis Fäkal-Slapstick.

So wird die telefonische Kommunikationsstruktur immer wieder zur Ursache der Nicht-Kommunikation, wenn George und Samantha sich gleichzeitig anrufen oder in der Leitung warten, sodass ein permanentes Besetztzeichen ertönt. Nachdem George zum Preis einer strapaziösen Zahnbehandlung durch den Vater der Braut (James Noble) herausgefunden hat, dass die Frischverheirateten ihre Flitterwochen in Mexiko verbringen, fliegt er kurzerhand dorthin; sein Stalker-Trip ist nicht zuletzt eine leise Parodie auf den westlichen Luxustourismus jener Zeit – etwa wenn George von einem Strandjungen huckepack ins Wasser getragen wird, um dort mit einer Bloody Mary neben zwei dicklichen Urlaubern abgestellt zu werden. Zuhause, auf der Terasse seiner Superreichen-Villa in Beverly Hills, beobachtet er mit einem Teleskop seinen promiskuitiven Nachbarn (Don Calfa) beim Sex – der wiederum ist lediglich sauer, weil er mit seinem eigenen Teleskop auf der anderen Seite, bei George, nichts dergleichen geboten bekommt. In einer Szene werden Kaffee und lokal wirkende Betäubungsmittel als zueinander inkompatible Errungenschaften der Zivilisation ausgespielt. Und nicht zuletzt die „Bolero“-Sequenz zwischen Dudley Moore und Bo Derek („‚Bolero‘ was the most descriptive sex musiv ever written.“). Vieles aus „10“ spitzte Edwards zehn Jahre später in seiner frivolen Yuppie-Parodie >„Skin Deep“ (1989) zu.

Brian Dennehy, der drei Jahre später als tyranischer Sheriff Teasle den Gegenspieler von „Rambo“ (1982) gab, spielt den entspannten Barkeeper im mexikanischen Hotel, bei dem sich George Webber mit doppelten Brandys vollaufen lässt. Ebenfalls dabei ist Robert Webber, der mit George im kalfornischen Strand-Ambiente lukrative Klavierschnulzen komponiert – ein paar Jahre zuvor hatte er in Sam Peckinpahs Gewaltballade „Bring mit den Kopf von Alfredo Garcia“ (1975) einen Kopfgeldjäger gespielt. Und der Bräutigam der Frau, die George Webber bis an den mexikanischen Sandstrand verfolgt, ist Sam J. Jones in seinem Leinwanddebüt: ein Mann mit der Statur eines All-American-Football-Spielers, der kurz nach „10“ die Kultrolle des „Flash Gordon“ (1980) übernahm.

„10“ ist zugleich ein Comeback-Film. Zuerst von Blake Edwards, der sich nach etlichen Kinoerfolgen in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren (u.a. 1959 „Unternehmen Pettycoat“, 1961 „Früstück bei Tiffany“ oder 1962 „Days of Wine and Roses) mit Hollywood auseinandergelebt und sich in die populären „Pink Panther“-Filme um den exzentrischen Inspektor Clouseau geflüchtet hatte. Mit „10“ landete er dann wieder einen phänomenalen Hollywood-Hit. Der war zugleich auch das Comeback von Julie Andrews, der ewigen „Mary Poppins“ – und Edwards’ Ehefrau. Auch Andrews’ Karriere in der Traumfabrik war in den Sechzigern zum Erliegen gekommen; anschließend behauptete sie sich als Nachtclub-Sängerin – eine Erfahrung, die sie in ihre „10“-Rolle eingebaut hat.

Hauptdarsteller Dudley Moore (1935–2002) war wie seine Figur George Webber auch im wahren Leben ein ungemein talentierter Painist gewesen – allerdings schloss er diesen Teil seiner Karriere schon früh ab, mit Mitte zwanzig. Stattdessen brillierte er komödiantisch auf der Theaterbühne, von wo aus er mit einer eigenen Show ins britische Fernsehen und von dort aus zum amerikanischen Film gelangte. „10“ war sein großer Hit, der ihn in Hollywood für einige Jahre etablierte – doch bereits Mitte der 1980er Jahre gehörte Moore dort zu den ausrangierten Stars.

Die Achtziger indes gehörten Bo Derek – die mit ihrer Rolle der blonden Testosteron-Fantasie zum Sex-Symbol avancierte. Als native Kalifornierin, die im Surf- und Segelflair der amerikanischen Westküste aufwuchs, war sie quasi die geborene Strandschönheit, die man dem kleinen Briten Dudley Moore von der Essexer Nordseeküste entgegensetzen konnte. Im Film verkörpert sie buchstäblich die hedonistische Oberflächlichkeit, die George Webber zu wahren Beziehungswerten zurückfinden lässt.

„10“ ist eine entspannte, einfallsreiche Komödie mit ernstem Kern, stark besetzt und einer Ausstrahlung, wie sie vielleicht nur Filmen an der Schwelle zwischen Siebzigern und Achtzigern zueigen ist.

Text verfasst von: Robert Lorenz