Der gelbe Rolls-Royce (1964)
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Mit majestätischer Würde und Bescheidenheit hält er Einzug in die britische Hauptstadt. Für die Blicke Normalsterblicher ist er edel verhüllt: ein Rolls-Royce – damals wie heute der Inbegriff von Eleganz und Luxus. Er ist der eigentliche Protagonist dieses Films; und er zeigt, dass ein objektiv betrachtet lebloser Gegenstand, ein originäres Konsumprodukt, zur Hauptfigur einer Geschichte avancieren kann: zum Verbindungsstück unterschiedlicher Schicksale, das die Leben seiner Besitzer überdauert und zum schier unverwüstlichen Zeitzeugnis wird.
„Der gelbe Rolls-Royce“ ist ein Episodenfilm mit hoher Stardichte, fast so etwas wie ein Vorläufer der späteren Robert-Altman-Werke à la „Short Cuts“ (1993) und „Prêt-à-Porter“ (1994) – nur dass hier die anfangs getrennten Handlungsverläufe nicht irgendwann verwoben werden. Im Grunde enthält der Film drei Kurzgeschichten, deren verbindendes Element allein das exzentrische Automobil aus der legendären britischen Fahrzeugschmiede ist: ein Rolls-Royce „Phantom II“. Fabrikneu wird die Luxuskarosse zu Beginn des Films, anangs der 1930er Jahre, in einen Londoner Autosalon geliefert, wo sie der steinreiche Edelmann Lord Charles Frinton (Rex Harrison) als Geschenk für seine französischstämmige Frau Eloise (Jeanne Moreau) erwirbt – doch die betrügt ihn längst mit einem Jüngeren, u.a. in dem geschenkten Rolls-Royce.
Eine starke Szene ist der Dialog zwischen dem Frinton-Ehepaar auf der Rückbank des durch den entdeckten Seitensprung entweihten Wagens, den Harrison und Moreau mit ergreifender Ernsthaftigkeit spielen. Harrisons Figur veranschaulicht, wie ein eigentlich strahlender Sieger und Erfolgsmensch durch ein einzelnes Ereignis binnen Sekunden zu einem deprimierten Etwas zusammenschrumpfen kann: Lord Frinton, bis dahin ununterbrochen guter Laune, hat gerade das ungemein renommierte Pferderennen von Ascot gewonnen, einen teuren Pokal aus den Händen seiner Majestät empfangen, doch ob des Betrugs seiner Ehefrau ist er urplötzlich ein bemitleidenswerter Trauerkloß, der sich pflichtgemäß in seinem Schloss der High Society präsentieren muss – eine Scheidung kommt für den archetypischen Aristokraten nicht infrage. Stattdessen lässt er den Rolls-Royce zurückgeben.
Auf die großbürgerlich-aristokratische Welt von Ascot, deren Bewohner penibel auf die Einhaltung jahrhundertealter Manieren bedacht sind, folgt der Touristentrip der sozialen Aufsteiger Amerikas zu den Kulturstätten des alten Europa. Eine herrliche Figur ist hierbei Paolo Maltese: ein gleichermaßen reicher wie gefürchteter Mann und inzwischen der zweite Eigentümer des Rolls-Royce. Maltese wird gespielt von George C. Scott (1927–99), der für sich ja schon eine beeindruckende Person ist. Scott macht aus diesem Maltese, einem italienischen Edelgauner, den Prototyp eines Chicagoer Gangsterbosses der 1920er Jahre: weißer Anzug, den Hut schräg aufgesetzt, stets eine lange Zigarre zwischen die Lippen geklemmt. Die übertriebene Eleganz steht in krassem Widerspruch zu seinem machohaften Auftritt, der von der Furcht seiner Umgebung vor diesem skrupellosen Charakter lebt. Und so reist Scotts Maltese im Film dann auch via Schiffspassage in die Staaten, um dort einen anderen Gangsterboss auszuschalten. Den Wagen kauft er übrigens für seine Verlobte Mae Jenkins, kongenial gespielt von Shirley MacLaine, die hier eine ihrer Paraderollen mimt: die allseits umworbene Schönheit, die immer etwas derangiert und unberechenbar daherkommt und unter deren scheinbarer Oberflächlichkeit sich eine komplexe Persönlichkeit versteckt.
Während der Abwesenheit ihres künftigen Gatten Maltese gerät sie in eine Romanze mit Stefano, einem ziellosen jungen Mann, der sich als Touristenfotograf in den Gassen malerischer Urlaubsorte herumtreibt und den Alain Delon, damals noch keine dreißig Jahre alt, darstellt. Von Alter und Attraktivität passt Stefano, auf den ersten Blick ein Stereotyp des südländischen Womanizers, natürlich viel besser zu Malteses Verlobter. Und wieder gerät der gelbe Rolls-Royce zum Schauplatz einer geheimen Liebschaft, als sich Mae und Stefano nach ihrer Rückkehr von einem romantischen Badegang in einer Grotte auf die Rückbank zurückziehen und die Rollos herunterlassen. Wie für latent frivole Filme zu jener Zeit typisch, wird natürlich nicht explizit gezeigt, was im Fond der Luxuslimousine geschieht; stattdessen erfolgt ein Schnitt und naturgewaltig brandet eine Welle an einem Felsen auf.
Die dritte Starschicht – viele Jahre sind inzwischen ins Land gezogen, der Zweite Weltkrieg ist in vollem Gange – treten dann Ingrid Bergman und Omar Sharif an. Während Bergman die anfänglich unnahbare Millionärswitwe Gerda Millett spielt, die sämtliche Warnungen vor einer drohenden Invasion der Wehrmacht in den Wind schlägt und unverdrossen ihre diplomatische Reise nach Jugoslawien fortsetzt, ist Sharif der mysteriöse Fremde Davich, der sich als romantischer Patriot vorstellt und angeblich für sein Land in den Krieg ziehen will – dazu aber erst über die Grenze geschmuggelt werden muss (natürlich im gelben Rolls-Royce). Gepackt von einer erotisch aufgeladenen Abenteuerlust beschließt Gerda Millett, den mysteriösen Mann in dessen Heimat zu bringen – dabei wird das vielgereiste Automobil dann zum Vehikel des Freiheitskampfes jugoslawischer Guerillas.
Der urbritische Aristokrat, der von seiner Frau betrogen wird; der kriminelle Selfmademan, dessen Verlobte ihn bei der erstbesten Gelegenheit mit einem jungen Charmeur hintergeht; oder die reiche Witwe, die im Krieg einen ungekannten Thrill erlebt: Zu dem völlig unterschiedlichen Figurenensemble passen die wechselnden Szenerien: das englische Schloss und die versnobte Pferderennbahn; die beschaulichen Dörfer der mediterranen Küstenregion; oder der blaue Himmel über den jugoslawischen Bergen. Und am Ende dieses ungewöhnlichen Films steht die simple Weisheit, dass materieller Wohlstand nicht automatisch mit Glück und Zufriedenheit einhergeht.
Dass „Der gelbe Rolls-Royce“, 1964 gedreht, es als Film nicht leicht hatte, mag auch daran gelegen haben, dass er für die meisten seiner Stars allenfalls eine marginale Bedeutung besaß. Mit der Zeit geriet er zu einer Randnotiz schier endloser Schauspielportfolios. So war etwa Ingrid Bergman mit ihrer Rolle der Ilsa Lund in „Casablanca“ (1942) längst zur Hollywoodlegende geworden und hatte 1945 ihren ersten, 1957 ihren zweiten „Oscar“ gewonnen. Ein dritter sollte 1975 folgen, aber ihre Frequenz an Dreharbeiten hatte sie schon 1964 stark zurückgefahren – in „Der gelbe Rolls-Royce“ ist sie gemeinsam mit Rex Harrison also so etwas wie ein Altstar.
Auch für Letzteren war das Werk keine bedeutsame Karrierestation: Harrison, der in den 1940er Jahren ziemlich viele Filme gedreht hatte, war im Jahr zuvor im pompösen Monumentalstreifen „Cleopatra“ (1963) an der Seite von Liz Taylor und Richard Burton als charismatischer Imperator Caesar aufgetreten; neben „Der gelbe Rolls-Royce“ drehte er 1964 auch „My Fair Lady“, u.a. mit Audrey Hepburn – zwar gab er auch darin einen englischen Snob, nur erhielt er hierfür den „Oscar“ für den besten Hauptdarsteller.
George C. Scott wiederum, der damals bereits zweimal für den „Oscar“ nominiert gewesen war, spielte 1964 in der zynischen Atomkriegssatire „Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ – wie bei Harrison stand sein Auftritt in „Der gelbe Rolls-Royce“ im Schatten dieses Films. Und wie Harrison und Bergman war auch Shirley MacLaine längst eine etablierte Darstellerin, die bis heute ihren unsterblichen Ruhm größtenteils auf Rollen wie in „Das Appartement“ (1960) oder „Das Mädchen Irma la Douce“ (1963) gründet, die sie vor 1964 gespielt hatte.
Für die beiden französischen Schauspielenden Alain Delon und Jeanne Moreau hingegen war „Der gelbe Rolls-Royce“ eine, wenn auch eher unbedeutende, Etappe ihrer Filmkarrieren außerhalb von Europa; und auch Omar Sharif, der im Unterschied zu den „Stars“ Begrman, MacLaine und Harrison damals noch in die Rubrik „bekannte Schauspieler“ fiel, stand die große Rolle als „Dr. Schiwago“ (1965) erst noch bevor; den Grundstein dafür hatte er 1962 als Kamelkrieger in „Lawrence von Arabien“ gelegt.
Kurzum: Trotz seiner zweistündigen Länge ist „Der gelbe Rolls-Royce“ ein kurzweiliger Film, der mit seinem illustren Staraufgebot, interessanten Charakteren und pittoresken Schauplätzen unterhält.
TextRobert Lorenz
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