Filmtipp

Key Largo (1948)

Kurzbeschreibung: Gangster, Geiseln, Gier: Ein Unwetter schließt eine schweißgebadete Schicksalsgemeinschaft in einem kleinen Hotel auf den Florida Keys ein. John Hustons packende Inszenierung ist glänzend besetzt und Edward G. Robinson lässt seinen legendären Zwanzigerjahre-Ganoven wieder aufleben.

Social-Media-Optionen

Riesige Betonbrücken verbinden die Florida Keys mit dem Festland, auch damals schon, Ende der 1940er Jahre. Eine malerische Inselkette zwischen dem Golf von Mexiko und dem Atlantik. In „Key Largo“ verwandelt Regisseur John Huston das Urlaubsparadies in eine beklemmende Menschenfalle.

Die Stimmung ist von Anfang an umtriebig und latent explosiv: Die Polizei sucht nach flüchtigen Indianern, die aus dem Gefängnis ausgebrochen sind („Fool Indians. Thirty days to do and they bust out“, sagt der Sheriff (Monte Blue) – der Hotelbesitzer entgegnet: „Well, thirty days in jail for an Indian is like thirty years for somebody else.“). Im Hotelgebäude bestimmen helles Interieur, weiße Holzverkleidungen an den Wänden, an denen auch ausgestopfte Schwertfisch-Trophäen hängen, und Korbsessel eine Optik, die eigentlich idyllisch anmuten müsste, hier aber erstaunlich schwermütig wirkt. In der Lobby tummeln sich zwielichtige Gestalten. Herein kommt Frank McCloud (Humphrey Bogart), der sich auf der Durchreise befindet, und die Angehörigen eines toten Kriegskameraden treffen will.

Nahaufnahme von Frank McCloud am Schreibtisch des Hoteliers, im Vordergrund ein Porträtbild des verstorbenen Kameraden respektive Sohnes.

Für McCloud hört sich alles von Beginn an hochgradig verdächtig an („Out of season in this heat.“): Erst kommen ein Mann und eine Frau an, wie eine Vorhut; dann ein Boot mit einer Handvoll Männer, die eine immense Geldsumme zahlen, um in dem eigentlich geschlossenen Hotel unterzukommen. Die Kerle, die unten in der Bar schwitzen und die Zeit totschlagen, wirken, als würden sie nur unter Aufbringung großer Disziplin ihre Aggressivität zurückhalten können. Zum Tiefseefischen seien sie aus Milwaukee angereist, sagt einer Kaugummi kauend: „(…) to come down here and fish our brains out.“ Die Frau ist betrunken, wird später schreiend in einem Zimmer eingeschlossen. Und dann ist da noch ein Mann namens Brown, der seinen Raum nur nachts verlassen würde.

Da ist der alte James Temple (Lionel Barrymore), der Hotelbesitzer, der beim Sprechen – ganz südstaatlich – die Vokale beinahe singt. Er ist der Vater eines von McClouds Kriegskameraden und sitzt im Rollstuhl. Dickbäuchig, mit Hut und Hosenträgern, schiebt er sich über sein Anwesen und stellt allen stolz McCloud als den „commanding officer“ seines Sohnes vor – die beiden kämpften im Zweiten Weltkrieg in Italien gegen die Deutschen (dabei fallen Salerno und Cassino als Begriffe, die damals, so kurz nach Kriegsende, bei vielen Amerikanern noch schwer mit düsteren Erinnerungen beladen waren).

James Temple im Rollstuhl und neben ihm stehend Nora, beide im Gespräch mit McCloud, welcher der Kamera mit dem Rücken zugewandt ist.

Und Temples Schwiegertochter, Nora (Lauren Bacall): Gleich bei der ersten Begegnung am Pier des Hotels liegt in ihren Blicken eine unschuldige Begeisterung für McCloud. Bacall spielt die Frau, die mit dem Mann verheiratet war, der im Beisein McClouds am Monte Cassino starb. Frank McCloud indessen kehrte zwar lebendig zurück, konnte aber nicht mehr an sein Vorkriegesleben anknüpfen, in dem er als Manager bei einer Zeitung gearbeitet hatte. Taxifahrer, Kellner war er, jetzt er will er als Fischer raus auf die See.

Das ist die Bogart-Bacall-Romantik: Sie ziehen gemeinsam an einer Leine ein Boot heran, werfen sich Taue zu. Bogart fuhrwerkt hemdsärmelig auf dem Boot herum, während Bacall ihn vom Pier aus mit einem zärtlichen Lächeln beobachtet und sich durchs Haar fasst. „My first sweetheart was a boat“, ruft er. Den Film über kommunizieren sie meist nur mit Blicken, aussagekräfter als jeder gesprochene Dialog.

Dann paddelt ein Indianer-Clan vorbei und Bacall erklärt Bogart mit ihrer schmissigen Stimme, dass die Vorfahren dieser Leute angeblich bis auf Götter zurückreichen. Dann hilft sie einer steinalten Frau an Land: „Every Indian around here is a descendant of Mama Ochobee. She admits to being 108 years old. But she has a son who’s 112“, erzählt sie, während die Kamera auf die mit ihrem Alter flunkernde Mama Ochobee (Felipa Gómez) und deren zentimetertiefe Altersfurchen blendet. Mama Ochobee will von Bogart eine Zigarette, die er ihr mit seinem Zippo anzündet.

Dann bittet Temple zum Gespräch, will die Umstände hören, unter denen sein Sohn in Italien gestorben ist. Temple bringt damit eine Bürde auf den Punkt, unter der damals zahllose Familien litten: Der ferne Tod des Sohnes auf den Schlachtfeldern Europas ist lakonisch in ein paar Sätzen eines Briefes notiert; aber was wirklich geschah, wie der Sohn starb – und wofür –, wo er begraben liegt, ist unausgesprochen geblieben. Temple will all das von McCloud erfahren. Und McCloud sagt natürlich das, was die Menschen hören wollen: ein tapferer Soldat, auf den man aus gutem Grund stolz sein dürfe – „a born hero“. „You can see a river from where George is.“ Eine an sich tieftraurige Situation, als McCloud mit den Hinterbliebenen in Temples Arbeitszimmer sitzt, nur zwei Meter entfernt von idyllischen Palmen, Mangroven-Hainen und dem pittoresken Meerblick, und sie über einen Menschen sprechen, von dessen einstiger Existenz nur noch ein Porträt, eine Ordensschatulle und ein Amtsbrief zeugen.

Mit dem Blick zum Wasser steht Nora Temple vor der Bootshütte und greift sich in ihr Haar.

Zurück in der Lobby steigt „Key Largo“ in seine eigentliche Handlung ein: Das Telefon klingelt und Curly (Thomas Gomez), einer der Zwielichtigen, besteht darauf, den Anruf zu beantworten, verleugnet dann die Anwesenheit der Temples, und als diese sich empören, lassen die Gangster mit einem Mal ihre Masken fallen und zücken ihre Pistolen. Und als Nächstes erfahren wir natürlich, wer der ominöse Mr. Brown ist.

Key Largo“ ist Edward G. Robinsons großer Film, mit ziemlicher Sicherheit einer, an den man sofort denkt, wenn man Robinsons Namen hört – und umgekehrt. Als er im Film das erste Mal erscheint, ist er nackt. Er liegt in der Badewanne, sein Gesicht verdeckt von einer Tageszeitung und einem rotierenden Tischventilator. In der einen Hand hält er die Zeitung, in der anderen eine Zigarre, mit der er über den Wannenrand ascht. Nach diesem Augenblick bewegt sich die Kamera auf Robinson zu, vorbei an dem Ventilatorgehäuse, und wir sehen zum ersten Mal dieses unverwechselbare Edward-G.-Robinson-Gesicht mit seinen heruntergezogenen Mundwinkeln, als wolle er dem Schicksal seine ganze Verachtung zeigen. Wir sehen seine Brustbehaarung, seinen Bauch, der aus dem Wasser ragt, und seine Hand, die gleichzeitig Zigarre und Drink-Glas hält; der andere Arm stützt sich lässig auf den gegenüberliegenden Wannenrand, am kleinen Finger prangt ein dicker Ring. Dann erhebt sich Robinson – ohne dass sich bis dahin und selbst noch danach auch nur ein Hautpigment auf seinem Gesicht bewegt hätte. Zigarre-schmauchend steigt er aus der Badewanne, greift sein Handtuch; und als er – im Spiegel sichtbar – aufblickt, ertönt Donnergrollen und ein ferner Blitz erhellt den Raum.

Nahaufnahme von Johnny Rocco beim Telefonat mit konzentriertem Gesicht: Im Mund prangt eine dicke Zigarre, an seiner Hand ein pompöser Ring.

Robinson ist natürlich Brown, der nur nachts sein Hotelzimmer verlässt und in Wirklichkeit Johnny Rocco heißt. Als er Bogart/McCloud gegenübertritt, trägt er einen seidenen Bademantel – noch immer die dicke Zigarre im Mund, die er mit seinen Lippen hin und her bewegt. Dann sagt er, mit hochgezogenen Augenbrauen und den optisch tonnenschweren Gesichtszügen: „I don’t want any trouble.“ Und man glaubt ihm kein Wort. „Whom he couldn’t corrupt, he terrified. Whom he couldn’t terrify, he murdered.“ Wie ein Historiker stellt McCloud den großen Gangster Johnny Rocco vor – als „undesirable alien“ aus den USA geworfen, nun inkognito zurückgekehrt. Und dann fährt Rocco selbst fort, von sich in der dritten Person sprechend, als Autor der eigenen Selfmade-Gloria – und Robinsons Augenpartie könnte in diesem Moment keine größere Arroganz und Eitelkeit ausdrücken: „When Rocco talked, everybody shut up and listened. What Rocco said, went. Nobody was as big as Rocco.“ Der Pistolen-schwingende Narziss Johnny Rocco ist eine Anspielung auf Caesar Enrico Bandello aus Little Caesar“ (1931) (Review auf Filmkuratorium.de lesen) – die Rolle, mit der Robinson berühmt wurde. Und dass Robinson diese Robinson-Hommage einfach selbst spielt, macht das Ganze nicht weniger faszinierend.

Gangster und Geiseln in einem Hotelzimmer, in der Mitte Johnny Rocco im Bademantel.

In einer Szene lässt sich Rocco in einen Stuhl fallen und ordnet – völlig glattrasiert – eine Rasur durch seinen Handlanger Angel (Dan Seymour, der Abdul in „Casablanca“, 1942) an. Als er dann mit Rasierschaum beschmiert lacht und seinen Gegner und Gefangenen, Deputy Sawyer (John Rodney), verhöhnt, könnte man sich vorstellen, was für ein Joker-Darsteller an Robinson verloren gegangen ist. Und überhaupt ist das eine starke Szene: Denn Angel muss den palavernden Rocco am Kinn rasieren, während der seine Mundpartie in ständiger Bewegung hält und man sich vorstellen kann, wie er auf einen Cut reagieren würde.

Zwei, drei Szenen reichen aus, um Robinsons Johnny Rocco zu einer der gemeinsten, fiesesten Gestalten der Filmgeschichte zu machen: Zuerst provoziert er den alten Temple im Rollstuhl, auf dass dieser aufsteht und seiner schwachen Beine wegen Fäuste schwingend unter dem Ganoven-Gefeixe zu Boden stürzt; dann stellt Rocco McCloud bloß, indem er ihm eine Waffe zuwirft, die dieser aber beiseite legt, woraufhin der Veteran vor allen als Feigling dasteht; und schließlich zwingt Rocco seine Braut – die abgetakelte Alkoholikerin Gaye Dawn (Claire Trevor) –, sich für einen Drink zu prostituieren. Mit zitternden Händen willigt sie ein und beginnt ein Lied zu singen. Einst war sie ein Nachtclub-Starlet, vom Spotlight ausgeleuchtet und vom Publikumsapplaus auf die Bühne getragen. Eine ungeschriebene Karriere, deren Tragik sich nun hier in der spärlichen Hotellobby in Key Largo manifestiert, wo Dawn als unmündiges Gangster-Anhängsel gelandet ist. Für den Schluck Alkohol stimmt sie ihren Song an, aber nur die ehedem große Stimme flackert nur kurz auf, Curly und Rocco schütteln ihre Köpfe, während die leidende Dawn vor aller Augen im Dunkel ihrer eigenen Vergangenheit untergeht – und natürlich verweigert Rocco ihr am Ende den versprochenen Drink. Eine Szene grausamer, als hätte Rocco ein Dutzend Unschuldige erschossen. McCloud bringt ihr schließlich ein Glas, das sie gierig austrinkt – und damit zeigt er mehr Mut, als wenn er zuvor versucht hätte, die Gangster einfach abzuknallen.

Gaye Dawn vor dem Spiegel der Bar, in dem Johnny Rocco mit finsterem Gesicht zu erkennen ist.

Der alte Temple verunsichert den großen Johnny Rocco mit seinen Horrorgeschichten vom letzten großen Hurricane, der 800 Menschen meilenweit auf die See hinaus geschleudert und meterhohe Wellen ausgelöst habe, die dann angeblich ganze Orte verschlangen. Während Temple weitererzählt, krachen Bilder von den Wänden, knarzt das Gebäude und heult der tosende Wind; Rocco schreitet nervös die Lobby ab, plötzlich mit von Schweißperlen überströmtem Gesicht. Denn die Naturgewalt der Keys ist ein Gegner, den er nicht erschießen kann. Draußen biegen sich die Palmen im Sturm, brechen die Wellen am Hotelgebäude und als schließlich eine Palme in das Fenster kracht, sind plötzlich alle – Gangster und Geiseln – für kurze Zeit zur unfreiwilligen Schicksalsgemeinschaft verdammt, dem furiosen Naturschauspiel ausgeliefert.

Der Grund für diese Konstellation ist gänzlich materialistischer Natur: Rocco und seine Helfer erwarten eine Geldlieferung aus Miami. Als die Mafiosi aus der Metropole schließlich eintreffen, feixen ihre beiden Bosse und versprechen einander mit geheuchelten Solidaritätsbeteuerungen, sich bei der nächsten Alkoholschmuggel-Ära solidarisch zu verbünden, statt gegenseitig zu erschießen. Rocco und Ziggy (Marc Lawrence) sind Relikte der Prohibitionszeit, die sich bei ihrem Wiedersehen wie alte Kumpels begrüßen und wie Verbindungsbrüder herumgrölen, aber sich im nächsten Moment ohne Zögern in den Rücken schießen würden.

Blick auf den in Dunkel getauchten Bootssteg, an dem eine Gruppe Menschen steht und ein Boot im Wasser wankt.

Am Ende gibt es dann noch einen Showdown auf hoher See, als die Gangster nach Kuba entkommen wollen und McCloud als ihren Bootsführer mitnehmen. Aber das ist dann alles nur noch Staffage für einen Film, der Edward G. Robinson unsterblich gemacht hat.

Text verfasst von: Robert Lorenz