Filmtipp

Twice in a Lifetime (1985)

Kurzbeschreibung: Eine Exkursion in das Leben der Durchschnittsamerikaner Mitte der 1980er Jahre: Die MacKenzies sind eine gewöhnliche Familie der unteren Mittelschicht. Die Ehe zwischen dem Stahlarbeiter Harry und der Kosmetikerin Kate ist zur Routine erstarrt und droht von einer Affäre zerstört zu werden.

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Zu softer Achtziger-Ambient-Chillout-Musik schwenken die Stahlarbeiter in der weitläufigen Fabrikhalle ihre Arbeitsinstrumente, ehe die Schichtsirene erklingt. Die graublaue Optik der Werksgebäude, das verregnete Morgengrauen, die markigen Sprüche der Kollegen, die kleine Lunchbox: Das ist die Arbeitswelt von Harry MacKenzie (Gene Hackman), ein Malocher von Holden Steel.

Die Dosenbier-Ästhetik des Polyester-Prolls

Zuhause wartet unterdessen seine Frau, Kate MacKenzie (Ellen Burstyn), im beschaulichen Einfamilienhaus mit Veranda und kleinem Vorgarten. Die Kinder und Enkelkinder kommen zu Besuch, Großvater Harry hat Geburtstag. Am Esstisch sitzt die ganze Familie versammelt, Budweiser, Coke und Heinz-Ketchup vor sich, die Insignien des amerikanischen Massenkonsums der kleinen Leute. Man ist nicht opulent begütert, aber es reicht für den Braten auf dem Tisch und ein paar ordentliche Maiskolben in der Schale. Die Kamera beobachtet dieses Arrangement sehr genau; auf Höhe der Tischkante positioniert, zeigt sie, wie sich Tochter Helen (Ally Sheedy) den Sauce-verschmierten Mund mit dem Handrücken abwischt, und wie Grandpa Harry genüsslich seinen Hähnchenschenkel abknabbert, während seine Frau Kate den Nachschlag kredenzt. Im Hintergrund steht der Vitrinenschrank mit dem „guten“ Porzellan – seit jeher die Inkarnation des proletarischen Arbeiterstolzes und das Symbol für ein einfaches, aber rechtschaffenes Leben. Nachmittags dösen die Männer während der Baseball-Übertragung, später sitzt die Familie am kleinen Wohnzimmertisch und schaut eine Gameshow im Fernsehen. Ha, die Antwort auf die Frage mit dem Autogewinn hätte Kate gewusst – großes Amüsement im kleinen Familienkreis.

„Twice in a Lifetime“ unternimmt eine soziologische Exkursion in den Alltag der average Americans, für die der Gewinn von 100 Dollar im Bingo viel bedeutet. Das MacKenzie-Holzhaus ist erfüllt von kleinbürgerlichem Konformismus, der sich in einer biederen Ästhetik aus Blumenporträts, holzvertäfelter Einbauküche und Eichenfurnieroptik verdichtet. Die subsidiäre Solidarität, die sich in der freundschaftlichen Hilfe unter Nachbarn maifestiert, hilft, die finanziellen Engpässe zu überbrücken. Ausgeblichene Jeans, beige Jacke und abgewetzte Baseballcap: So sieht Harry MacKenzie aus, als er auf dem Weg nach Hause eine Straße passiert, die von unzähligen Taverns gesäumt ist, die nur darauf warten, dass die heimkehrenden Arbeiter im Feierabendenthusiasmus dort ihr Geld ausgeben. Kate arbeitet derweil im Kosmetiksalon, wo sie korpulente Frauen schmückt. Zu seiner Geburtstagsparty im Pub beschenkt Harrys „Gang“ aus dem Stahlwerk ihn mit einer prollig-glänzenden Polyesterjacke der „Seattle Seahawks“, des örtlichen Teams der National Football League. Das gigantische Stadion, die Heimstätte der „Seahawks“, ist das Refugium der Arbeiterklasse, die sich dort am Wochenende eine mit Bier und Hotdogs staffierte Auszeit gönnt von der Monotonie ihres Erwerbsalltags.

Philosophien der average Americans

Mit ihrem Mann hat Kate MacKenzie wenig zu tun: Sie kocht das Essen, bestellt den Haushalt und bügelt seine Hemden. Macht sie damit nicht alles richtig? Führen sie auf diese Weise nicht eine erfüllte Ehe, nachdem sie drei Kinder großgezogen haben? Mit diesen Gedanken kaschiert Kate jeden Tag aufs Neue ihren Ehealltag, der längst zur Routine erstarrt ist. Harry geht indessen lieber allein ins „Shamrock“ – in den Pub, wo er seine Kumpels trifft und ausgelassen und fröhlich sein kann. „I’ll skip it this time. Just stay home and watch TV“, ist hingegen die Ausrede, mit der sich Kate dem Drängen ihrer Tochter zu entziehen sucht, doch grefälligst mit Harry am Samstagabend auszugehen.

Im Stahlwerk arbeitet Harry in der Nachtschicht, sodass er zu Bett geht, wenn Kate ihren Tag beginnt. „When do you see him? For ten minutes at 6:00 in the morning? You guys must be great at quickies“, entgegnet Tochter Sunny – die getrieben ist von einer grundsätzlichen Wut auf die Verhältnisse, in denen sie lebt und ihre kleine Tochter großzieht – ihrer Mutter. Alle haben sie Probleme: Sunnys Mann Keith ist arbeitslos und seit mehreren Monaten jedes Mal vergeblich zur spontanen Jobvergabe am Stahlwerk erschienen; ihre jüngere Schwester Helen will die verheißungsvollen College-Absichten verwerfen, um Tim zu heiraten – sie könnte die erste Akademikerin der Familie werden, nachdem ihren beiden Geschwistern der Weg an die Universität noch finanziell versperrt gewesen ist.

Und dann beginnt die große Tragödie der kleinen Leute. Harry lernt eine Frau kennen (gespielt vom Sechziger-Sex-Idol Ann-Margret), durch die in ihm ungekannte Lebenslust erwacht. Die Bardame Audrey Minelli elektrisiert ihn förmlich, heimlich trifft er sich mit ihr, überlegt, Kate zu verlassen. Aber die Handlung von „Twice in a Lifetime“ ist für die Stärke des Films unerheblich. Vielmehr sind es die Details, die ungeheure Gewöhnlichkeit, die dem Drama seine Kraft verleihen. Ganz beiläufig sezieren die Dialoge präzise das Leben in der unteren Mittelschicht, liefern eine kleine Philosophie des Alltags einfacher Leute; etwa wenn Kate gegenüber ihrer Tochter Sunny bei der akribischen Reinigung der Tischoberfläche ihren Job im Schönheitssalon rechtfertigt: „It gives me a chance to meet people, make a little extra money to spend.“ So besteht denn auch die Szenerie des Films aus Alltagsorten: dem Supermarkt, der Tankstelle, dem Friseursalon. Der Spiegel kritisierte seinerzeit den Film dagegen als „täppische Lektion in Lebenshilfe“, die „ein Schlachtschiff zum Sinken bringen“ könne.

Text verfasst von: Robert Lorenz