Viva Zapata! (1952)
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Zapata: Das ist der große Mexiko-Mythos um einen der berühmtesten Freiheitskämpfer der Weltgeschichte, eine noch heute faszinierende Legende, die sich Hollywood früher oder später schlechterdings einverleiben musste. Denn diese Erzählung hätte sich kein Drehbuchautor besser ausdenken können (obgleich das Studio den damaligen Pulitzer- und späteren Nobelpreisträger John Steinbeck anheuerte). Der Name Zapata hallt jedenfalls noch heute durch den historischen Äther. Und Elia Kazan lieferte mit dem jungen Marlon Brando in der Hauptrolle eine famose Chronik von Zapatas Leben als militanter Revolutionär.
Der Film beginnt mit dem Eintreffen einer ehrfürchtigen Delegation einfacher Bauern im Regierungszimmer des mexikanischen Präsidenten Porfirio Díaz (Fay Roope), eines Regenten, der da bereits auf eine mehr als dreißigjährige Zeit an der Spitze politischer Macht zurückblickt. Díaz nimmt die Gesuche der ausgebeuteten Bauern entgegen; aber seine Miene des gutmütigen Patriarchen verwandelt sich mit einem Mal in die des erbosten Diktators, als einer aus der Delegation nicht mehr ehrfürchtig ist, sondern politische Taten zugunsten der hungernden Landbevölkerung einfordert: Emiliano Zapata (Marlon Brando) lautet sein Name, den Dìaz sogleich auf seiner Liste einkreist.
Brando ist der außergewöhnliche Schauspieler für einen außergewöhnlichen Charakter. Damals zementierte er gerade seinen bis heute gültigen Ruf als Ausnahmetalent, als Schauspielgott. Der Trailer kündigte Brando denn auch als „sensational star of A Streetcar Named Desire“ an – auf dass allein die Erwähnung dieses ersten großen Erfolgs des neuen Stars die Kinokassen klingeln lasse. Und in der Tat kommt Brando dem historischen Zapata, wie er auf den uralten Fotografien überliefert ist, erstaunlich nahe. Aufgewachsen in einem Dorf, ein gemeiner Bauer, schwingt sich Zapata zum Anführer eines Bauernaufstands auf, führt in der bergigen Landschaft von Morelos, tief im Süden Mexikos, einen Guerillakrieg gegen die Armee – die Sympathie der Bevölkerung auf seiner Seite. Die Zapatistos wachsen bald zu einer Bauernarmee von etwa 4.000 Freiheitskämpfern an. Gemeinsam mit Pancho Villa, dem anderen legendären Anführer und Mythos, stürzen sie im Frühjahr 1914 die Militärjunta von Victoriano Huerta (Frank Silvera), der zwischenzeitlich die Herrschaft an sich gerissen hat.
Dieser brutale Freiheitskampf und die ständigen Rochaden in der mexikanischen Regierungszentrale bilden die Handlung von „Viva Zapata!“. Er zeigt Emiliano Zapata und – kurz – auch Pancho Villa, die mit ihrem Charisma und ihrer rabiaten Entschlossenheit damals Mexiko aus seiner kolonialen Lethargie rissen und das korrupte, chauvinistische System ins Wanken brachten. Der Preis war ein – naturgemäß blutiger – Bürgerkrieg. Zapatas Kriegsführung ist ein gnadenloser Guerillakampf, bei dem Züge in die Luft gesprengt und zahlenmäßig überlegene Truppen der regulären Armee in Hinterhalte gelockt und schonungslos aufgerieben werden. Und Zapata mutiert zu einem Mann, dem Kampf zum Alltag, zum Lebensinhalt geworden ist. Von ihm stammt auch der Ausspruch: „Es ist besser, stehend zu sterben, als ein Leben lang auf den Knien zu leben.“
Das ganze Geschehen von „Viva Zapata!“ ist indes nichts, von dem man später, nach dem Film, sagen würde, es sei besonders realistisch, lebensecht, eine glaubwürdige Rekonstruktion von Wirklichkeit. Aber eine verträumte, artifizielle Verzerrung, wie sie viele Fünfzigerjahre-Filme darstellen, ist Kazans Werk eben auch nicht. Brando – der mit seinem schwarzen Schnauzbart, seinen drapierten Augenlidern und dem dunklen Teint beim ersten Auftritt zu Beginn des Films fast schon wie eine politisch unkorrekte Karikatur eines Mexikaners wirkt – versprüht hier die ureigene Brando-Energie, die ihn zu dem großen Darsteller gemacht hat, der er (immerhin in den meisten seiner Filme) gewesen ist. In scheinbar belangloser Natürlichkeit stapft er mit umgehängtem Patronengurt und ausladendem Sombrero durch die Szenen, in denen er seine Männer – allesamt weiß gekleidet, mit Schauzbärten und gekreuzten Patronengurten um die Brust geschnallt, fast so uniform wie die anonymen Schergen eines James-Bond-Bösewichts – mit lakonischen Befehlen kommandiert, so als ob Brando tatsächlich seit Monaten oder Jahren nichts Anderes gemacht hätte. Souverän reitet er durch die Szenerie, wirft in der Pose des verantwortungsbeladenen Feldherrn bedächtige Blicke in eine ungewisse Zukunft, um dann in einer anderen Szenen mit derselben Ernsthaftigkeit und Konzentration mit einem Hundewelpen zu spielen, dem er zärtlich seine Finger zum Nuckeln feilbietet.
Auch sonst ist der Film stark besetzt: Anthony Quinn ist Zapatas Bruder Eufemio, der sich vom loyalen Mitstreiter zum troublemaker wandelt, und unangenehme Wahrheiten ausspricht. Quinns Performance ist intensiv und perfekt auf das Flair des Films abgestimmt und noch zusätzlich aufgeladen durch die Biografie von Quinn, der 1915 während der mexikanischen Revolution in Chihuahua zur Welt kam und dessen Vater unter dem Kommando von Pancho Villa kämpfte. Jean Peters spielt Emiliano Zapatas große Liebe, eine Frau, die ihren Mann an die Revolution verliert. Statt ihrem geliebten Emiliano schmachtende Blicke nachzuwerfen, wenn der nach einem kurzen Aufenthalt wieder in die Schlacht zieht, verleiht Peters ihrer Josefa etwas Verschmitztes, zugleich auch eine stille Resolutheit, die sie wohltuend von stereotypen, eindimensionalen Frauendarstellungen jener Zeit abheben. Dann auch Frank Silvera als eiskalter Militär, der mit einer diabolischen Selbstverständlichkeit den Mord am neuen Präsidenten Madero (Harold Gordon) anordnet, den er ungeduldig von seiner Limousine aus verfolgt. Und Harold Gordon als ebendieser Madero, ein Idealist und der kurzzeitige Präsident, der euphorisch sein neues Amtszimmer betritt, um Demokratie und Gerechtigkeit zu bringen – ein Vorhaben offenbar so grotesk, wie Gordons Gesicht überschminkt ist. Erst im allerletzten Moment erkennt Madero die Realität, als ihn Huertas Schergen auslöschen.
Die romantischen Szenen zwischen Brando und Peters, die das flüchtige Privatleben des Guerillakommandeurs andeuten, wirken alles andere als echt, mehr wie die Theaterbühne als ein überzeugendes Abbild fiktiver Realität. Aber sie zeigen in ebendieser Theatralik die tiefe Tragödie dieser Beziehung, die aufgerieben wird im brutalen Bürgerkrieg, die den Mann absorbiert und die Frau zu Hause zurücklässt. Dass sie leidet, während er sich todesmutig (oder lebensgleichgültig?), doch stets ihr gegenüber egoistisch in den Kampf begibt, sich wieder und wieder dem plötzlichen Tod aussetzt, ohne ihre Gefühle zu berücksichtigen – eine omnipräsente Situation bei extremen Charismatikern wie Zapata ebenso wie bei einfachen Soldaten –, halten einem diese Szenen wie riesige Plakate entgegen. Am Schluss, als Zapata ein letztes Mal losreitet, blickt Josefa erst nicht auf, um sich dann in umso heftigerer Pose schreiend an sein Pferd zu hängen, sich mitziehen zu lassen, bis sie im Dreck liegenbleibt und er mit seinen Männern im Wald verschwindet.
Kazan gehörte zu jenen Regisseuren, die wie z.B. Bob Fosse keine Skrupel kannten, mit subtilen Provokationen und Lügen ihre Darsteller in emotionale Zustände zu versetzen, die den Szenen das gewisse Etwas verliehen. Und so steigerte Kazan auch bei den Dreharbeiten zu „Viva Zapata!“ die Intensität zwischen Brando und Quinn, den Brüdern, mit einer kleinen List: Ohne Brandos Wissen erzählte Kazan dem Nebendarsteller Quinn von angeblichen Sprüchen, die der Star des Films über den gebürtigen Mexikaner mache – nichts davon stimmte, aber Quinn war angekratzt und zwischen ihm und Brando bestand vor der Kamera eine aggressive Grundspannung, die ganz hervorragend das angestrengte Verhältnis der beiden Filmbrüder reflektierte. Brando indes erfuhr erst 15 Jahre später, weshalb Quinn damals nie mit ihm einen trinken gehen wollte.
Darryl F. Zanuck, der Produzent, und Kazan, der Regisseur, versuchen sich in ihrem Film allerdings erst gar nicht an einer tiefgründigen Charakterstudie der historischen Persönlichkeit. Sicher: Ihr Zapata ist ambivalent, exekutiert einen seiner engsten Gefährten, rennt vor der politischen Verantwortung einfach davon und lässt Verräter erschießen. Aber das dominante Porträt ist letztlich das eines unablässigen Kriegers, eines warlord, der ohne den Krieg nichts zu tun hat, der die immerwährende Krise wie einen Lebenssaft benötigt und ihn dann gierig trinkt. Der endlose Kampf gegen korrupte Politiker und skrupellose Militärjunten ist Zapatas Elixier. Im Frieden, am Schreibtisch, in der Familie kann er sich nicht entfalten, verfällt in Apathie. Zusammengesunken und regungslos wohnt er im Büro des Regierungschefs den Audienzen bei, ohne sich für das politische Prozedere auch nur ein bisschen zu interessieren. Aber als dann plötzlich alte Kampfgefährten auftauchen und ihm von den Verbrechen seines Bruders berichten, er die Gefahr erkennt, zum Politiker in der Manier seiner Vorgänger – die er allesamt überlebt hat – zu erstarren, elektrisiert ihn diese Erkenntnis und er stürmt ins Nebenzimmer, um sich seinen Patronengurt umzuschnallen und mit dem Gewehr die Pforte aufzustoßen, die ihn an der Seite seiner Männer zurück an die Front im Krieg gegen Hunger und Ungerechtigkeit führt. Auch das ist natürlich ein weiterer Wink mit dem Zaunpfahl und eine vielfach bestätigte Weisheit der Geschichte: Der Freiheitskämpfer taugt nicht zum Bürokraten.
Dass sich „Viva Zapata!“ nicht so kalt, blechern und steril anfühlt wie manch anderer Film jener Zeit, liegt natürlich auch am atmosphärischen location shooting in Mexiko, das hier in Schwarz-Weiß mit seiner staubig-kargen Szenerie latent postapokalyptisch wirkt. Die Perspektiven und die Licht- bzw. Schattenspiele sind eindrucksvoll – „Mr. Kazan is eloquent with a camera“[1], wie das damals in der New York Times hieß. Ganz oft ragt ein Maschinengewehr in den Vordergrund, und manchmal stürmen davor Menschen los, die kurz darauf von todbringenden Garben unerbittlich niedergemäht werden. Ganz besonders einprägsam sind jedoch die Schattenwürfe: In einer Szene lassen Kazan und sein Kameramann Joseph MacDonald das Dunkel wie eine natürliche Verbindung zwischen Brandos Zapata und Peters’ Josefa wirken, sodass sie zusammen als neuerschaffene Kreatur erscheinen.
Und mit „Viva Zapata!“ war Hollywood in den frühen Fünfzigern für einen kurzen Moment so schmutzig wie der Italowestern der Sechziger (die Szenerie), so brutal und originell wie das New Hollywood-Kino der späten Sechziger und frühen Siebziger (das Finale). Was Kazan, Zanuck und ihr Team – u.a. Kameramann MacDonald, die Cutterin Barbara McLean oder der Kostümdesigner Travilla – damals erschufen, überdauerte ihre Zeit und ist bis heute ein sehenswerter Film geblieben. Das Ende ist elegant, progressiv und so weit weg vom Hollywoodkino der 1950er Jahre, wie das damals in einer major production wohl möglich gewesen ist. Zapata reitet auf die Garnison zu, die sich ergeben hat, inspiziert auf seinem Weg zum Hauptportal die Waffen und Munitionskisten, die seinen Leuten die Grundlage zum weiteren Kampf liefern sollen. Der befehlshabende Offizier umarmt ihn und gibt ihm als Geschenk Zapatas alten Hengst zurück. Im Hintergrund steht eine Gruppe stoischer Männer, auf einer Treppe sitzen wie Statuen einige alte Frauen, Filmmusik ist nicht zu hören – eine unheimliche Stille wie in der Schlusssequenz von Arthur Penns „Bonnie and Clyde“ (1967). Und wie darin Warren Beatty von der verdächtigen Stille innerlich aufgeschreckt wird, blickt Zapata hinauf auf die Dächer und Mauern der Garnison, auf denen urplötzlich dreißig, vierzig, fünfzig bewaffnete Soldaten hervorlugen und das Feuer auf ihn eröffnen.
Mehrere Dutzend Gewehrmündungen löschen in diesem Moment mit einem furiosen Kugelhagel diese eine Existenz aus, eine brutale Katharsis staatlicher Autorität – eben wie in „Bonnie and Clyde“, in dem das Gangsterpaar vom Feuer der Maschinenpistolen im Gebüsch versteckter Polizisten zerfetzt wird. Fünfzehn Jahre zuvor, eben in „Viva Zapata!“, kündigte Elia Kazan das New Hollywood-Kino an, mit dieser Szene, in der man Zapatas durchlöcherten Körper im Staub sieht, wie er ein letztes Mal zuckt – eine Sequenz, wie sie Arthur Penn dann später durch die brachiale Ausführlichkeit und das lakonische Ende ins Drastische steigerte.
TextRobert Lorenz
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