Filmtipp

Repulsion (1965)

Kurzbeschreibung: Der Auftakt zu Roman Polanskis beklemmender „Appartement-Trilogie“ visualisiert die grauenvolle Transformation einer jungen Frau zur Geisteskranken. Und die Wohnung, normalerweise behagliches Refugium, gerät zum Ort schrecklichen Psychoterrors.

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Ranzig, aber geräumig. So ist die Wohnung, in der die beiden Ledoux-Schwestern Helen (Yvonne Furneaux) und Carol (Catherine Deneuve) hausen. Beide sind Belgierinnen, die in London leben. Carol, die jüngere von beiden, zieht sich nachts das Kissen über die Ohren, damit sie Helens Stöhnen nicht hört, beim Sex mit Michael (Ian Hendry). Insofern müsste sie eigentlich erleichtert sein, als Helen und Michael in den Urlaub nach Italien aufbrechen (eine Postkarte kündet später von ihrem Dolce Vita – fünf Jahre zuvor hatte Furneaux in Federico FellinisLa Dolce Vita“ mitgespielt).

Doch stattdessen wird Carol elendig verrückt, ermordet mit gleichgültigen Bewegungen zwei Menschen und wird am Ende regungslos unter ihrem Bett gefunden. So landet der junge Colin – gespielt von John Fraser, der hier wie eine Vorlage für den späteren Jude Law wirkt –, der Carol lediglich zu einem Date überreden wollte, mit aufgeschlagenem Kopf in deren Badewanne, wo sein sein Leichnam tagelang verwest. Der anfängliche Eindruck von einer schüchternen, verunsicherten jungen Frau verflüchtigt sich und wird ersetzt durch die Gewissheit, es mit einer psychisch Kranken zu tun zu haben. Catherine Deneuve, damals Anfang zwanzig, spielt sie mit souveräner Intensität, und man spürt förmlich die Geburtsstunde einer großen Karriere. Apathische Blicke, neurotische Gesten: All das verdichtet sich zum erschreckenden Habitus eines gestörten, kontrollosen Menschen. In der Wohnung verdirbt ein gebratener Hase als widerliche Allegorie der sich verschlimmernden Krankheit.

bizarre Nahaufname von Carol Ledoux (gespielt von Catherine Deneuve) mit Spiegelbild

Repulsion“ visualisiert die verzerrte Wirklichkeit einer Geisteskranken – stets akustisch untermalt von psychedelischen Klängen. Wenn Deneuve durch die betriebsamen Straßen des Londons der 1960er Jahre wandelt – wo gerade die Beatles ihre Platten aufnehmen und die damals wie heute roten Busse fahren –, begleitet sie ein Trommelstakkato, wie ein unablässig feuerndes Maschinengewehr. In der Wohnung erleidet Carol schreckliche Wahnvorstellungen: Sie sieht Risse in der Wand, hört laute Geräusche, wird vergewaltigt. Dieses eingebildete Szenario eskaliert schließlich zu einem Horror, in dem mehrere Hände aus der Wand ragen und lüstern nach Carols Körper greifen. Polanskis Gruseleffekte schaffen es, dass man im Nu innerlich zusammenzuckt, sobald nur ein Spiegel oder eine Tür zu sehen ist. Und immer wieder werden die Wahnsequenzen jäh unterbrochen von schrillem Telefonklingeln. Geradezu progressiv für diese Zeit ist die Kameraführung: Die Charaktere werden verfolgt oder vom Boden aus beobachtet. „Repulsion“ ist ein düsterer Film, in dem nichts von dem kosmopolitischen Flair des Londons der „Swinging Sixties“ durchkommt – stattdessen eine gewöhnliche Wohnung, die zur klaustrophobischen Psychofalle wird.

Carol Ledoux (gespielt von Catherinde Deneuve) liegt nackt auf dem Fußboden ihrer Wohnung, lediglich teilweise mit einem Tuch bedeckt

Text verfasst von: Robert Lorenz