Ein Mann für gewisse Stunden (1980)
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Julian Kaye ist „ein Mann für gewisse Stunden“ (so auch die deutsche Titelversion von „American Gigolo“). Er verdient sein Geld, indem er seinen Körper an ältere Frauen verkauft. Die Rolle des Gigolos machte Richard Gere berühmt. In wenigen Jahren danach war er dann „Ein Offizier und Gentleman“ (1982), 1983 „Atemlos“ in L. A. unterwegs und „Der Honorarkonsul“, anschließend im „Cotton Club“ (1984).
Geres Julian Kaye ist kein ausgebeuteter Sexarbeiter, sondern ein Edel-Callboy, der sich unter der Sonne Kaliforniens für viel Geld prostituiert: Stets in adretten Zwirn gehüllt, mehrerer Sprachen mächtig, fährt er im Mercedes „SL“ Cabrio zu seinen Terminen. Manche seiner lukrativen Klientinnen sind aus dem Ausland, auf der Suche nach exotischer Erotik. Als Kaye an einer Hotelbar wartet, trifft er auf Michelle (gespielt vom Ex-Model Lauren Hutton). Er hält sie zunächst für eine Kundin; sie verbringen eine Liebesnacht – aber Kaye stellt sie nicht in Rechnung, ordert stattdessen am nächsten Morgen Frühstück und beginnt, ganz gegen seine Gewohnheit, sich mit Michelle häufiger zu treffen.
Kaye lebt und arbeitet in einer egoistischen Welt, die keinerlei Solidarität kennt, aber strikte Gegenseitigkeit verlangt. Die Menschen, die er kennt, sind nur vermeintliche Freunde und Verbündete, die für jede noch so kleine Gefälligkeit eine Gegenleistung erwarten – als wäre all dies eine Parabel auf Hollywood. Und Kaye ist nicht anders: Vor jedem Job feilscht er mit seiner Auftraggeberin Anne (Nina van Pallandt) um seine Honorarquote; und in der Manier des Materialisten hat er sein Appartement mit lauter Schnickschnack der Achtziger-Konsumwelt bestückt. Sobald er aber auf die Hilfe anderer angewiesen ist, steht er allein da, dann zählen gemeinsames Gelächter und Gestöhne nichts mehr, offenbart sich der Charakter gefühlskalter Geschäftsbeziehungen, die keinen Raum für zwischenmenschliche Hilfeleistung lassen und Kaye zum bloßen Konsumgut degradieren.
Und dieser Moment tritt ein als Kaye urplötzlich in einen Mord verwickelt wird. Weil er dem Opfer noch wenige Tage vor dessen Tod vor den Augen des zahlenden Ehemannes Handschellen angelegt hat, ist er nun im Visier der Polizei. Jetzt zeigen sich die Schattenseiten eines Lebens in der Illegalität; denn aus Angst um ihren Ruf verweigert ihm eine seiner Kundinnen das Alibi, mit dem er seine Unschuld beweisen könnte. Kaye muss auf eigene Faust herausfinden, ob er das Opfer einer Intrige ist und wie er aus dieser Angelegenheit unbeschadet wieder herauskommt – eine Herkulesaufgabe in einer Branche, in der Diskretion ein essenzieller Bestandteil der Dienstleistung ist. Seine ganze Existenz ist gefährdet, denn, wie er sagt: Liebe zu verkaufen, ist das Einzige, das er kann.
„Ein Mann für gewisse Stunden“ ist, aus heutiger Sicht, ein kulturelles Zeitzeugnis, die Momentaufnahme einer vergangenen Epoche. Das Film-Intro ist mit dem Blondie-Hit „Call me“ aus demselben Jahr unterlegt. Der Titel-Song wird im weiteren Verlauf des Films mehrfach variiert von dem italienischen Disco-Pionier Giorgio Moroder – in den Siebzigern durch seine Zusammenarbeit mit der Sängerin Donna Summer zum Mitbegründer einer musikalischen Ära avanciert –, der seinem Synthesizer jene elektronische Romantik-Mucke entlockt, die für die 1980er Jahre so charakteristisch geworden ist.
Aber nicht nur musikalisch begegnet uns in dem Film die Ästhetik der Achtziger: Kaye fährt ein schwarzes SL-Cabrio, dessen Pneus eine dezente Hommage an die Weißwandreifen der Zwanziger sind, und trägt notorisch zu weit geschnittene Anzüge. Mit dem Synthesizer als musikalisch dominantem Instrument und den Schattenwürfen der Jalousien im Neonlicht enthält der Film bereits die typischen Stilelemente unzähliger Achtzigerjahre-Thriller.
Und für den jungen Richard Gere war „Ein Mann für gewisse Stunden“ das Fundament seiner bis heute andauernden Filmkarriere. Viele feierten Gere damals als erfrischenden Gegenentwurf zu den „Machos“ Burt Reynolds oder Clint Eastwood und wegen seines schauspielerischen Repertoires als neuen Marlon Brando. Auch wenn Gere seinen Superstar-Status erst in den 1990er Jahren mit Evergreens wie „Pretty Woman“ (1990) zementierte, hatte er doch mit Julian Kaye, dem „American Gigolo“, der in einer Welt aus Egoismus und Gier ums Überleben kämpft, einen modernen Klassiker geschaffen.
TextRobert Lorenz
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