Filmtipp

Only Angels Have Wings (1939)

Kurzbeschreibung: Mit „Only Angels Have Wings“ blickt man wie durch ein Periskop in das Goldene Zeitalter der Luftfahrt. Howard Hawks zelebriert hier seine eigene Flugleidenschaft und sein Faible für dramatische Männerfreundschaften mit einem ungemein atmosphärischen Szenario eines kleinen Flugplatzes am Fuße der Anden.

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„Calling Barranca, calling Barranca!“, knistert es aus dem Funkgerät. Der Außenposten einer kleinen US-amerikanischen Fluglinie irgendwo in Südamerika meldet sich und gibt die (meist miserable) Wetterlage durch. Am Funkgerät sitzt dann, lässig auf der Tischkante, Geoff Carter, der Boss. Cary Grant, damals Hollywoods Held der Romcoms, spielt Geoff Carter. Nur ist „Only Angels Have Wings“ keine romantische Komödie, er ist aber auch kein Film noir und auch kein Drama – er ist alles zugleich.

Cary Grant als Geoff Carter am Funkgerät.

Zu Beginn des Films läuft ein Schiff in den nebelverhangenen Hafen des fiktiven Küstenstädtchens Barranca ein. Und die Frau, die von Bord geht, irrt durch die Dunkelheit des Abends, in der sich noch rege die Menschen auf der Straße tummeln – Bananenstauden werden an ihr vorbeigetragen, das Klima wirkt tropisch, in einer Bar wird zu mexikanischer Gitarrenmusik getanzt. Bonnie Lee (Jean Arthur) ist eine New Yorker Revuetänzerin auf der Durchreise; hier, in der Fremde, geht sie gerne mit den beiden Kerlen mit, die sie am Pier erspäht haben und abschleppen wollen. Die beiden sind Piloten – aber nicht irgendwelche, sondern Teufelskerle, die als Postflieger unter dem strengen Kommando von Geoff Carter im Dienst von „Barranca Airways“ bei Wind und Wetter ihr Leben riskieren.

Die beiden Piloten Joe und Les mit Bonnie auf einer trubeligen Straße inmitten der Hafenstadt im Abenddunkel.

Und das wird nicht nur angedeutet, sondern durchzieht den gesamten Film, in dem der Tod keinen seltenen Auftritt hat. Den ersten Piloten, den Howard Hawks nach einer Kollision mit Palmwipfeln grauenvoll nahe der Landebahn verunglücken lässt, hat der Regisseur mit Noah Beery Jr. besetzt, den späteren „Rocky“ in den Rockford Files“ (1974–80), der mit seiner heiteren Art und seinem sympathischen Gesicht den Todesfall gleich doppelt so tragisch wirken lässt. Und er ist einer der beiden, die eben noch mit dem Neuankömmling Bonnie Lee unbeschwert am Bartisch gescherzt haben.

Geoff Carter steht im Beisein einiger Mitarbeiter draußen in strömendem Regen am Funkgerät, alle mit besorgten Mienen.

Das Hauptquartier der Airline ist ein merkwürdiger Ort: einerseits eine Zufluchtsstätte für höhenrauschsüchtige Abenteurer, die schnelles Geld verdienen wollen, und andererseits ein Sprungbrett in den Tod. So kollegial und freundschaftlich die Männer hier an der Bar stehen und in ihren Konversationen als Schicksalsgenossen nur weniger Worte bedürfen, so abrupt verschwinden sie auch wieder aus dem Bewusstsein, sobald ihre physische Existenz endet. „Who’s dead?“, fragen die verbliebenen Piloten – das zurückgelassene Steak des Toten wird verspeist, man trinkt und singt, als sei nichts geschehen.

Les, Joe und Geoff mit Zigarette und Hut im Hauptquartier.

Die Frequenz, in der Mensch und Maschine hier zwischen den Palmen verschlissen werden, verdeutlicht die Gefahr dieses Gewerbes am Rande der Zivilisation und die erzwungene Gleichgültigkeit, mit der die Piloten das Ableben ihrer Kollegen und meist zugleich Freunde verarbeiten. Nach jedem noch so dramatischen Crash meldet Carter stoisch an den Ausguck in den Bergen: „Let me know when it clears, Tex. We’re all set down here.“ Für ausgiebige Trauer ist keine Zeit, heißt das, und bei all den Abstürzen würden die Piloten ja verrückt werden, dächten sie jedesmal über die Verstorbenen nach – so etwa lautet die Botschaft von Hawks, der selbst Pilot war und das Milieu der Berufsflieger genauestens studiert hatte.

In der Dunkeltheit leuchtet das Feuer des brennenden Motors einer abgestürzten Maschine, während im Vordergrund die Rettungskräfte sich eilig vom Wrack entfernen.

Eine dreimotorige Ford Trimotor fliegt mit zwei brennenden Motoren bei Nacht und Nebel am Ausguckhaus vorbei durch die Andenschlucht.

Einmotorige TravelAir 6000 bei Nacht auf dem Flugfeld.

Only Angels Have Wings“ ist einer der Filme, bei denen die Handlung zweitrangig ist. Die Airline, die dem rührseligen Barbetreiber Dutchy gehört (gespielt vom gebürtigen Hamburger Sig Ruman mit seinem deutschstämmigen Akzent) und die Carter für ihn managt, steht kurz vor dem Abschluss eines lukrativen Vertrags – dazu muss sie über eine festgeschriebene Dauer einigermaßen verlässlich Lieferungen an ihr Ziel bringen. Je mehr Flugzeuge und Piloten sie verliert, desto unwahrscheinlicher wird der rettende Kontrakt natürlich. Die Starts, Flüge und Landungen sind daher stets mit einer narrativen Dramatik aufgeladen. Ein Romcom-Element findet sich in Bonnie Lees Begeisterung für einen Mann, der sie in den entscheidenden Momenten immer wieder zurückweist, obwohl er sie doch insgeheim auch liebt.

Einmotorige Barranca-Maschine beim Flug vor dem Hintergrund eines verschneiten Gebirges.

Die Geschichte von der reisenden Revuetänzerin, die den Manager einer kleinen Fluglinie kennenlernt, einfach bei ihm bleibt und ihn kurz darauf heiratet, sei wahr, so behauptete Howard Hawks, aus dessen Feder die Film-Story stammt. Und Hawks verriet auch eine Anekdote, die er in einem Hollywoodfilm freilich nicht unterbringen konnte: Unter dem Bett der frischgebackenen Eheleute versteckten die Piloten ein Messgerät, das normalerweise im Flugzeug die Motorbewegungen aufzeichnete, sodass die mehrstündige Hochzeitsnacht graphisch auf einem Zettel abgebildet war, den sich besagte Frau alsdann amüsiert über den Kamin hängte.

Nahaufnahme von Kid und Bat bei riskantem Flug im Cockpit; an den überströmten Scheiben ist der heftige Regen zu erkennen.

Überhaupt ist „Only Angels Have Wings“ eine Kompilation tragischer, verrückter und abenteuerlicher Begebenheiten, die Hawks irgendwann einmal gehört oder sogar selbst miterlebt hatte. Dazu gehört nicht nur das im Film gezeigte Flugfeld an sich, sondern auch der Paria-Pilot Bat MacPherson, den Richard Barthelmess spielt und der durch seine vermeintliche Feigheit sein Existenzrecht verwirkt zu haben schien und deshalb lebensgefährliche Flüge absolvierte, als sei er auf immer und ewig den Nachweis seiner Courage schuldig. Barthelmess ist ein Casting-Coup: der Ex-Stummfilmstar, im wirklichen Leben ein Opfer des technischen Fortschritts – und daher ist es ein genuin trauriges Gesicht, das sich Hawks da engagiert hat, unendlich passend für einen Mann, der eine schwere Bürde mit sich herumschleppt. Und so entsprechen die echten Narben unter den Augen von Barthelmess nicht zuletzt dem Stigma seines Leinwandcharakters, der einst als Pilot mit dem Fallschirm aus der Maschine absprang, während sein Mechaniker in den Tod stürzte. Oder die Szene, in der ein rieisger Vogel durch die Windschutzscheibe ins Cockpit kracht – Hawks selbst sei das einmal in Afrika passiert, ebenso wie eine tragische Sterbeszene in einem Flugplatzgebäude, in der alle den Raum verlassen, da der Sterbende mit seinem Genickbruch unsicher ist, wie er dem nahenden Tod begegnen wird.

Seitlicher Blick auf den Piloten im Cockpit, während das Wasser der nassen Startbahn spritzt und die Außenheit sowie Cockpitscheiben überströmt.

Seitlicher Blick auf ein startendes Flugzeug mit der Aufschrift Barranca Airways.

Atmosphärischer Blick im Dunkel der Nacht auf das Holzgebäude, das als Hauptquartier der Airline dient.

Die Allgegenwart des Todes ist in „Only Angels Have Wings“ ein Katalysator der Emotionen. Liebe ist hier am stärksten spürbar nicht in der turbulenten Beziehung zwischen Bonnie und Geoff, sondern zwischen Geoff und dem ältesten seiner Piloten, Kid Dabb (Thomas Mitchell mit der vielleicht besten Performance des Films). Ihm vertraut sich Bonnie Lee mit ihrem Liebeskummer an, er wiederum lehrt sie die Werte und Normen der Buschpilotenbranche und konfrontiert sie mit der Tatsache, dass einer wie Geoff niemals das lebensgefährliche Fliegen wird lassen können. Dass Geoff allerdings kein Herz aus Stein hat, sondern sich aus Selbstschutz die Liebesbeziehung mit Bonnie zunächst versagt, zeigt Cary Grant in einer starken Szene. Sie ist ein Beispiel für die verkappte Sentimentalität des vermeintlichen Männerkinos von Hawks, der etwa auch den Original-„Scarface“ (1932) und eine einige John-Wayne-Western drehte. In seinen Filmen brachte Hawks immer wieder Männerverbindungen unter, die viel tiefer und emotionaler waren als die der Männer mit den Frauen. Howard Hawks verabredete sich gerne mit John Wayne und dem Regiekollegen John Ford zum gemeinsamen Angel- und Sauftrip, den überlieferten Anekdoten nach maskuline Testosteronorgien. Aber für Hawks waren solche Zusammenkünfte mehr, und in seinen Filmen zelebrierte er sein Ideal von Männerfreundschaften. So, wie in Red River“ (1948) eine Frau den beiden Streithähnen Thomas Dunson und Matt Garth (gespielt von John Wayne und Montgomery Clift) während ihrer Prügelei am Ende eines ungemein strapaziösen Viehtriebes zuruft, jeder halbwegs bei klarem Verstand seiende Mensch würde doch ihre Liebe füreinander erkennen, stellt Bonnie in „Only Angels Have Wings“ gegenüber Kid und in Bezug auf Geoff fest: „You love him, don’t you?“, woraufhin Kid entgegnet: „Yes, I guess I do.“

Kid und Bonnie in einem dunklen Raum mit viel Schattenspiel.

Thomas Mitchell als Kid Dabb, der mit Zigarette in der Hand aus der geöffneten Tür nach draußen schaut.

Eine Noir-Komponente bringt Judy MacPherson, die Frau des geächteten Piloten, in den Film. Sie ist Geoff Carters Ex-Geliebte, unter deren Verlust er tief in seinem Innern bis heute leidet und über den er sich mit reihenweise Affären hinweggetröstet hat – ein Schatten seiner Vergangenheit. Rita Hayworth spielt sie, in einer ihrer ersten größeren Rollen, nachdem sie nur ein paar Jahre zuvor noch unter ihrem echten Namen „Rita Cansino“ in Filmcredits aufgetaucht war. Wie sie in einer Szene den Raum betritt und, ohne sich umzudrehen, die Tür schließt, um sich sogleich daran anzulehnen, während sich die Lamellenschatten über ihren Körper legen, nimmt sie eine Femme-fatale-Pose ein, wie als Generalprobe für ihre „Gilda“ ein paar Jahre später (und wie in „Gilda“ überrascht sie auch hier den Manager als Ex-Geliebte, die ihm unvermittelt als verheiratete Frau gegenübersteht).

Rita Hayworth als Judy MacPherson sitzt auf einer Tischkante, neben ihr steht Geoff Carter, in dessen Mundwinkel eine Zigarette hängt.

Jean Arthur, die Heldin der Frank-Capra-Filme mit ihrer idealisierenden Begeisterung für die US-amerikanischen Staatsinstitutionen, sollte die Bacall’sche Coolness auf die Leinwand bringen, aber verstand nicht recht, was Hawks von ihr wollte. Erst als es dann tatsächlich die Bacall, die zum Dreh von „Only Angels Have Wings“ noch keine 16 Jahre alt war, nach Hollywood geschafft hatte und in To Have and Have Not“ (1944) genau diese Figur, die Hawks anstrebte, unter dessen Regie erschuf, da wusste auch Arthur, woran sie gescheitert war.

Bonnie konfroniert Geoff, der an einem Bartisch sitzt, im Beisein von einigen Barranca-Beschäftigten.

Dass eine Bacall’sche Figur den Film möglicherweise aufgewertet hätte, tut der Bravour von „Only Angels Have Wings“ indes keinen Abbruch. Hawks vereinnahmt sein Publikum hier vor allem atmosphärisch. Dass der Film inzwischen so viele Jahrzehnte auf dem Buckel hat, macht ihn vielleicht sogar noch magischer, weil mittlerweile die (Hollywood-)Zeit, aus der er stammt, unwiederbringlich verloren gegangen ist. Hawks versetzt uns in ein aufregendes Zeitalter der Luftfahrt, in dem die Avionik zwar bereits das Klettern in stratosphärische Höhen erlaubte, aber noch nicht so ausgereift war, um einen weitgehend gefahrlosen Flug zu ermöglichen und das Überleben von Crew und Passagieren einigermaßen verlässlich sicherzustellen – eine mentale Ära, in der die Grenzen zwischen bewunderswertem Mut und irrsinniger Waghalsigkeit fließend waren. Diese eigentümliche Gleichzeitigkeit von Fortschritt und Rückstand zeigt vielleicht am besten die Szene, in der die beiden Piloten Kid und Bat zwar eine zusätzliche Sauerstoffzufuhr nutzen, dies aber mit Gummischläuchen, die sie sich einfach in den Mund stecken, als würden sie Cocktails aus Strohhalmen schlürfen. Man ahnt, dass es sich um eine Übergangszeit handelt, dass diese Draufgänger nicht ewig einen solch tollkühnen Dienst verrichten werden; aber man kann sie sich da unten, in Südamerika, genau vorstellen, spürt den Wind, den Regen, die Luftfeuchtigkeit.

Nahaufnahme von Bonnie, die mit breitem Lächeln in einer Tür steht, während im Vordergrund viele Regentropfen herabfallen.

Nahaufnahme bei Nacht von Geoff Carter im Cockpit, auf dessen Scheiben der Regen prasselt.

Kundschafter Mike am Funkgerät in seinem Ausguckhäuschen in den Bergen.

Im Close-up sieht man die Piloten durch die Cockpit-Fenster, Wasser spritzt an die Außenhaut in Metallbauweise, während die Maschine durch die Pfützen der Startbahn prescht; dann sieht man aus der Distanz, wie das Flugzeug(-modell) abhebt und sich über die Palmen am Rande der Startbahn in die Lüfte erhebt, im Hintergrund die Berge, die auf seiner gefahrvollen Route liegen. Nachdem die Maschine das Flugfeld verlassen hat, wird sie in Richtung des Ausgucks fliegen, der währenddessen die Wetterlage meldet; Geoff und sein Funker sitzen im Hauptquartier, geschützt vor Wind und Regen, die draußen den Flug beeinträchtigen. Auf den Gebirgsfelsen nisten Kondore, die in den Schluchten kreisen, durch welche die Flugroute führt.

Eine einmotorige TravelAir 6000 prescht bei Dunkelheit über die nasse Startbahn.

Die Kinematografie von Menschen am Rande der Zivilisation, getragen von Träumen und Leidenschaften, an Orten voll verwunschener Exotik und Faszination, erinnert stark an Frank Capras „Lost Horizon“ (1937). Und so ist es denn vermutlich auch kein Zufall, dass beide kurz nacheinander entstandenen Filme mit Joseph Walker denselben Kameramann haben. Obwohl bis auf einige Flugszenen komplett auf dem Studiogelände gedreht, und unterstützt von vielen Nacht- und Regensituationen, in denen ohnehin nicht viel zu erkennen ist, erschuf Walker eine nahezu perfekte – und für das Alter dieses Films umso bemerkenswertere – Illusion einer verschworenen Gemeinschaft an einem Flugfeld am Fuße der Anden. Dank dieser Optik, die mit dem Schwarz-Weiß und dem körnigen Bildrauschen nie ganz realistisch sein kann, wohnt diesem Film ein Zauber inne, der ihn zu einem nachgerade prototypischen Traumfabrikat des klassischen Hollywoodkinos macht.

Einmotorige Maschine im Landeanflug bei schlechter Sicht.

Text verfasst von: Robert Lorenz