Filmtipp

Bad Timing (1980)

Kurzbeschreibung: Die Produktionsfirma ließ Nicolas Roegs Film damals fallen, weil er ihr mit seiner sexuell aufgeladenen Geschichte unangenehm war. In Wien beginnen die Hedonistin Milena und der Narzisst Alex, beide aus den USA, eine verhängnisvolle Beziehung voller Psychospielchen – einer der großen Wien-Filme.

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Natürlich ist diese Szene zu Beginn des Films suggestiv: Man soll annehmen, dass die junge Frau, die da mitten in der Nacht auf der Bahre aus dem Krankenwagen gehievt wird, einen Selbstmordversuch unternommen hat – „zu viele Tabletten geschluckt“, wie die Sanitäter beim Ausladen kommentieren. Während die Halbtote in Richtung des Operationssaals geschoben wird und in den anonymen Trakten des Krankenhauses verschwindet, bleibt die Kamera bei Alex Linden, der nun abwarten muss. Noch während sich die Flügeltüren schließen und Linden sich zum Wartesaal abwendet, wird Milenas Stimme eingeblendet, phlegmatisch und offenbar aus dem Telefonhörer oder vom Band eines Anrufbeantworters: „Oh Alex. I’ve made something stupid.

Art Garfunkel, mit seiner unverwechselbaren Garfunkel-Frisur, spielt den Amerikaner Linden: einen promovierten Psychoanalytiker, der an der Wiener Universität lehrt. Und Milena Flaherty, ebenfalls Amerikanerin in Wien, ist Theresa Russell, damals Anfang zwanzig und in ihrer ersten großen Rolle. Russell und Nicolas Roeg, der Regisseur des Films, heirateten zwei Jahre nach „Bad Timing“ und drehten noch mehrmals gemeinsam. Während Garfunkel den etwas älteren, stets etwas eitlen, monologisierenden Intellektuellen spielt, ist Russell eine Femme fatale par excellence. Sie sieht Linden auf einer Party, ein Lichtblick in ihrer momentanen Langeweile, und reicht ihm ihre auf eine Streichholzschachtel gekritzelte Telefonnummer – eine Szene voller Magie unverbrauchter Erotik zweier Menschen, die sich zum ersten Mal begegnen und gleich interessant finden. Bevor Linden gehen darf, muss er sich noch unter ihrem ausgestreckten Bein, das den Weg versperrt, durchhangeln. Dann haben sie eine Affäre, intensiv und zentrifugal zugleich, die im Krankenhaus endet.

Bad Timing“ beginnt kurz vor dem Ende seiner Handlung. Immer wieder springt der Film vor und zurück zwischen Vergangenheit und Gegenwart, teils mit äußerst skurrilen Schnitten. So kontrastiert Roeg eine Sex-Szene, bei der Alex und Milena nach vollzogenem Akt erschöpft im Bett liegen, mit einem detailliert gezeigten Luftröhrenschnitt. Während die quicklebendige Milena durch Wien wandelt, brechen über die Zuschauer unvermittelt Einstellungen herein, die zeigen, wie man ihr Schläuche in den Rachen führt oder ihren Unterleib auf Spermareste untersucht. So wird man zwei Stunden lang hingeführt zu den genauen (oder doch nur mutmaßlichen?) Umständen, die Milena Flaherty an den Rand ihres Exitus gebracht haben.

Harvey Keitel spielt den Wiener Kriminalkommissar Netusil, der sich seinem Verdächtigen, Linden, ausgesprochen höflich und korrekt nähert, aber von Anfang an durchschaut hat, dass hier etwas faul ist. Durch die ständigen Rückblenden von der Vernehmung im Hospital, wo Netusil und Linden unablässig rauchen, zur eskalierenden Beziehung zwischen Alex und Milena erfahren die Zuschauer allmählich die ganze Geschichte dieses extrem turbulenten Verhältnisses – aus lasziver Zweisamkeit und wahnsinnigen Psychospielen –; vor allem aber beginnt man zu ahnen, was Milena Flaherty in diesem schrecklichen Zustand ins Krankenhaus gebracht hat: die düstere Wahrheit, die Netusil längst erkannt hat, aber am Ende nicht beweisen kann.

Eine frühe Szene zeigt Milena, wie sie im Auto mit einem sichtlich älteren Mann an der österreichisch-tschechoslowakischen Grenze vorfährt. „You will call, will you?“ – „It’s not really like going away.“ – „For you.“ Mehr sagen sie nicht, aber Denholm Elliott macht mit feiner Mimik klar, dass es Stefan Vognic, den älteren Mann, in diesem Moment zerstört, während Milena endlich hinaus darf, in das Wiener Großstadtleben. Nachdem sie ihm noch eine Abschiedszigarette angezündet hat, streicht er ihr den Ehering vom Finger.

Ihre Ehe mit Vognic verheimlicht sie gegenüber Alex, als der sie in seiner notorischen, unverhohlenen Neugier fragt, ob sie verheiratet sei. Aber ihren kleinen Betrug findet er heraus, durch einen viel größeren Betrug: Als der militärische Geheimdienst der NATO ihn um ein psychoanalytisches Gutachten über Vognic bittet, verrät die Akte auch Milenas Eheschluss – aber davon erzählt er ihr natürlich nichts. Dann sieht man ihn im Kaffeehaus sitzen, wie es ihm sein Psychoanalytikerhirn zermatert, aus welchen Gründen sie den 35 Jahre Älteren geheiratet hat. In der Straßenbahn beäugt er junge Kerle, nicht wissend, ob sie mit seiner Milena schon mal im Bett gewesen sind (währenddessen läuft ein Instrumental-Ausschnitt aus dem – damals noch fast brandneuen – The-Who-SongWho Are You?“).

Russells Milena ist eine rücksichtslose Hedonistin, die Alex in den Wahnsinn treibt – so wie er, der Perfektionist und Pedant, sie seinerseits wahnsinnig macht. Ihre Beziehung, getränkt in körperliche Leidenschaft, ist brüchig und immer am Rande zum Abgrund. Als er im Streit ihre Wohnung verlässt, stürmt sie ihm hinterher ins Treppenhaus, wo sie sich ihm anbietet, durch das hektische Wegziehen der Unterhose den Blick auf ihre Vagina freigibt und ihn herbeiruft; dann die Kamera auf Linden, der sich die Lippen zusammenklemmt, die Stufen wieder hinaufgeht und sich mit Milena auf die Treppe wirft. Schneller Sex im Treppenhaus – und das in Wien mit seinen Hausbesorgern, die auf korrektes Verhalten der Bewohner achten, ein unerhörter Vorgang.

Im Marokko-Urlaub, als sie irgendo am Rande der Sahara mit ihrem Geländewagen liegengeblieben sind, überzeugt Milena den skeptischen Fahrer eines anhaltenden Pick-ups, die beiden mitzunehmen, indem sie wie eine Straßenprostituierte ihre Bluse weit offen trägt und mit schmollender Stimme und Zahnpastawerbelächeln immer wieder nachfragt. Während sie dann während der Fahrt vorne herumgluckst und sich als die wunderhübsche Amerikanerin betatschen lässt, sitzt Linden mit einem Ziegenbock auf der Pritsche und versucht in ungewisser Eifersucht, durch das dreckverschmierte Fenster zu erkennen, was im Innern der Fahrgastzelle vor sich geht.

Als er ihr dann auf der Dachterrasse eines Cafés unter der marokkanischen Sonne einen Heiratsantrag macht und zwei Flugticktes nach New York auf den Tisch legt, entgegnet sie: „What about now? Here, right now, this minute, this second. Look where we are.“ Während sie hin- und herwechselt zwischen ihrer Begeisterung für das exotische Hintergrundgeschehen, mit Schlangenbeschwörern und Basartrubel, und hilflosen Hinweisen auf ihre Präferenz, keine feste, formale Bindung mit Alex einzugehen, sitzt der wortlos, verzweifelt am Tisch. In diesem Moment ist beides denkbar: ihre Reaktion als unsympathischen, unreifen Hedonismus zu verurteilen; aber auch seinen Coup als anstrengenden, berechenbaren Spießerakt zu betrachten.

It seems the more rules I make for myself the unhappier I get.“ Diese Worte bringen das Problem ihrer Beziehung auf den Punkt, aber beide erkennen es nicht. Das ist die brutale Tragik, die dieser Beziehung innewohnt: Beide könnten miteinander glücklich werden, wenn sie sich auf einen Kompromiss einlassen würden. Aber sie bleibt die genusssüchtige, promiskuitive Frau, die nach einer permanenten Abfolge sinnlicher Erlebnisse strebt, und er der narzisstische Akademiker, der solide Verhältnisse will, und innerlich kocht, wenn ihm der Polizist einen Strafzettel schreibt, während Milena herumblödelt. Als sie ihre brennende Zigarette auf dem Sitzpolster von Alex’ Roadster mit Targadach liegenlässt, entfernt er sie und wischt sorgfältig die Aschereste weg.

Oder die Szene im Kaffeehaus: Als Alex nach bloß kurzer Abwesenheit mit der Zeitung zurückkehrt, findet er Milena engumschlungen im wilden Zungenkuss mit einem kräftigen Kerl, Konrad (Robert Walker). Konrad geht daraufhin zurück zu einer Gruppe junger Leute, die ihm allesamt zujubeln und Milena grüßen. „Friends, crazy people“, sagt sie zu Alex. „Anyway, you’re sexy, that’s better! Dann klettert sie auf Alex’ Schoß, während im Hintergrund die Gruppe johlt und ältere Damen pikierte Blicke auflegen.

Roeg inszeniert „Bad Timing“, den er als seinen perfekten Film ansieht, mit wilden Brüchen – Schnitt: Milena und Alex beim Vorspiel im Bett; wieder Schnitt: Milena auf dem OP-Tisch; und nochmal Schnitt: Milena in Wien, auf dem Weg zu Alex im Sigmund-Freud-Museum; dort wälzt sie sich kurz darauf quietschvergnügt mit ihm auf einer Bank, einem Exponat, die Kamera zeigt gestrenge Blicke des porträtierten Freud an der Wand; und noch einmal Schnitt, auf Milenas Mund, in den Ärzte transparente Röhrchen einführen, während sie sich verschluckt und keine Luft mehr bekommt. Fast überall sind phallische Gegenstände drapiert. Und dazu gibt es dann noch vulgäre Dialoge: Während einer Autofahrt verschüttet sie ihr Schnapsglas, das sie mitgenommen hat: „It’s burning my pussy, Alex. Then we have to do something about this, quickly.

Und das alles lebt von der besonderen Aura der österreichischen Hauptstadt, am Ende der 1970er Jahre. Es ist noch das „alte“ Wien, auf dem die Patina des Eisernen Vorhangs klebt, tendenziell düster, kalt, nass. Wie zum Bruch mit dieser kühlen Optik ertönt zu Beginn des Films Tom Waits, dessen rau dahingerotzter Song in Verbindung mit den Bildern eine geradezu absurde Einstiegsszene ergibt. Für Roeg, den britischen Regisseur und früheren Kameramann, war es das fünfte Regie-Werk – und ebenfalls bad timing. Denn den Geldgebern war der Film nach seiner Fertigstellung unangenehm; The Rank Organisation, die Verleihfirma, weigerte sich sogar, ihr Logo auf die Filmkopien zu drucken, und versteckte ihn schließlich wie ein Schmuddelkind („ein kranker Film für kranke Leute“). So blieb Roeg und seinem Team die gebührende Anerkennung lange Zeit versagt; erst später wurde „Bad Timing“ von einigen Kritikern als Meisterwerk rehabilitiert.

Roegs Drama, glänzend gespielt und gefilmt, ist eine geniale Montage unterschiedlicher Zeitebenen, die Schilderung einer anfänglich zwar lasziven, aber noch halbwegs gewöhnlichen Affäre, die sich zu einer gleichermaßen leidenschaftlichen wie zerstörerischen Beziehung auswächst – und in einem verbrecherischen Akt gipfelt, zu gleichen Teilen aus Verzweiflung und Wut geboren, gnadenlos entlarvend.

Text verfasst von: Robert Lorenz