Warren Beattys frühe Filme

Kurzbeschreibung: Vom All-American-Youngster über einen Gigolo bis zum seelisch zerrütteten Schönling: ein cineastischer Überblick über die frühen Filme des Warren Beatty und ihr Spiel mit der verhängnisvollen Schönheit.

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Als die beiden Protagonisten im Kugelhagel buchstäblich durchlöchert werden, hatte das New Hollywood-Kino gleich zu Beginn seiner kurzen Ära einen seiner blutrünstigsten Momente. Und mittendrin war Warren Beatty, der Clyde Barrow spielte: jenen jungen Mann, der mit Faye Dunaways ebenso junger Bonnie Parker in den USA der Great Depression das Land unsicher macht und am Ende in einem Hinterhalt der Polizei brutalstmöglich untergeht und zur Gangsterlegende gerinnt.

Durch und nach Bonnie and Clyde“ (1967) avancierte Warren Beatty, Jahrgang 1937, zu einem der bekanntesten Hollywoodstars. Neben Julie Christie spielte er eine der beiden Titelrollen in Robert Altmans genialem Western-Abgesang McCabe & Mrs. Miller“ (1971), in welchem er als Frontier-Glücksjäger am Rande der Zivilisation ein Bordell eröffnet; in The Parallax View“ (1974) war er ein investigativer Journalist voll couragierter Renitenz, der einem unfassbaren Komplott auf die Schliche kommt. Doch reüssierte Beatty nicht nur als Schauspieler, sondern auch in nahezu allen anderen relevanten Disziplinen des Filmgeschäfts: 1981 inszenierte er als Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller in Personalunion sein Kommunisten-Epos Reds, für das ihn die Academy mit einem Oscar für die beste Regie auszeichnete; mit Ishtar“ (1987) war er dann fast ebenso spektakulär an einem der größten Filmflops der Kinogeschichte beteiligt (inklusive einer Nominierung für die berüchtigte Goldene Himbeere); in Bugsy“ (1991) porträtierte Beatty den gefürchteten Gangster Bugsy Siegel, der in den 1940er Jahren am Ausbau des unbekannten Wüstenkaffs Las Vegas zur ultimativen Unterhaltungsmetropole mitgewirkt hatte; und noch im hohen Alter spielte Beatty in Rules Don’t Apply“ (2016), bei dem er abermals für Drehbuch und Regie verantwortlich zeichnete, die Hollywood-Legende Howard Hughes – wo er doch längst selbst schon eine war.

Aber vor alledem und seinen insgesamt 13 Oscarnominierungen (zuzüglich dem Regie-Oscar) war Beatty von der Kamera als Sexsymbol inszeniert worden. Und das entsprach auch voll und ganz der Strategie, mit der Beattys PR-Agent Anfang der Sechziger eine energische Kampagne in Gang setzte, die konsequent das blendende Aussehen des Hollywood-Youngsters auszubeuten suchte und den potenziellen Star von Beginn an so inszenierte, als sei er bereits einer. Beatty – oder vielmehr seinem Public-Relations-Experten John Springer – gelang, was kaum einem späteren Star glückte: ein Filmstar ohne Film zu sein.

Springer war einer der führenden Köpfe der PR-Agentur Arthur P. Jacobs; zu seinen Klienten zählte die Crème de la Crème der Schauspielbranche – Marlene Dietrich, Bette Davis und Montgomery Clift sind nur einige auf einer langen Liste illustrer Namen, die Springer vorweisen konnte. Der Journalist, der zeitweise die Presseabteilungen erst von RKO, später dann von 20th Century Fox geleitet hatte, kannte die Mechanismen sowohl der Massenmedien als auch der großen Filmstudios. Und er besaß ein Gespür für Starqualitäten – weshalb er Beatty zusagte, ihn so lange gratis zu vertreten, bis dieser ein Einkommen habe. Von der ersten Begegnung an – Springer hatte den jungen Schauspieler 1959 in einem krachend gescheiterten Stück auf der New Yorker Theaterbühne gesehen („A Loss of Roses“) – war er überzeugt, aus Beatty einen Superstar formen zu können.

Denn Beatty hatte das, was man looks nannte; zudem war niemand in die Lücke getreten, die James Dean mit seinem Tod 1955 hinterlassen hatte – also entschied Springer, Beatty rigoros als Teenie-Idol und Enfant terrible aufzubauen. Beatty indes ließ sich mehr von den Verlockungen nahenden Ruhmes und Erfolges bezircen, als dass er die damit verbundene Publicity genossen (oder auch nur geduldet) hätte – die für ordentliches Hollywood-Marketing so wichtigen Interviews waren ihm ein Graus. Denn Beatty störte sich schnell an der Tendenz vieler Reporter, derentwegen auch viele andere Hollywoodschauspieler die Presse oft verteufelten: Begebenheiten nicht nur zu verzerren, sondern sie manchmal sogar komplett zu erfinden. Und Beatty kam nicht damit klar, im Fokus einer Öffentlichkeit zu stehen, die ihm nicht immer wohlgesonnen war und zu deren Begleiterscheinungen schon damals gehörte, von gierigen Paparazzi belauert zu werden. Darin lag einer der vielen inneren Widersprüche, mit denen der junge Beatty zu kämpfen hatte: Er wollte Prominenz und den Zuspruch der Öffentlichkeit, aber er war nicht bereit, ihren observierenden Voyeurismus zu ertragen.

Und darunter wiederum hatte sein PR-Agent Springer zu leiden. Denn während Springer am liebsten noch einen und abermals einen Interviewtermin vereinbart hätte, wollte Beatty sich zurückziehen und mit niemandem sprechen. Nichtsdestotrotz hatte die phänomenale Starwerdung des Warren Beatty längst begonnen, bevor dieser überhaupt nur einen Drehtag hinter sich hatte.

Um jeden Preis wollte er sich von dem Odium befreien, der kleine Bruder der großen Shirley MacLaine zu sein, die da bereits am Sternenhimmel von Hollywood glühte und mit Billy Wilders The Apartment“ (1960) gerade einen Megahit inklusive ihrer bereits zweiten Oscarnominierung gelandet hatte. Wer damals Warren Beatty zur Weißglut treiben wollte, brauchte ihn bloß als „Shirley MacLaine’s brother“ zu bezeichnen. Also ließ er sich auf Springers Sexappeal-Kampagne ein.

Und damit konvergierten auch seine ersten Rollen. Betrachtete man allein seine Close-up-Posen, wäre man verloren, den jeweiligen Beatty-Film korrekt zu bestimmen. Und in zweien seiner ersten drei Filme spielte Beatty einen käuflichen Toyboy älterer Frauen; fast immer waren seine frühen Charaktere zudem zerbrechliche junge Männer, die auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben übel scheitern und mit heftigen Tragödien konfrontiert werden.

Den Auftakt machte 1960 Bud Stamper in Splendor in the Grass“ (1961). Beatty, der bis dahin lediglich kleine TV-Rollen gespielt hatte, tritt hier unter der Regie von Elia Kazan auf, als Spross eines Ölbarons (verkörpert von Pat Hingle), der später sein gesamtes Vermögen im großen Wall Street Crash am „Black Tuesday“ 1929 verliert. Stamper ist ein All-American-Guy – Held auf dem Footballfeld, gutaussehend, allseits beliebt –, der unter seinen Eltern leidet, die von ihm ständige Erfolge erwarten und ihm den vorehelichen Sex mit seiner Freundin Wilma Dean (Natalie Wood) verbieten. Wood, die ihre Schauspielkarriere im Alter von fünf Jahren begonnen hatte, war damals bereits ein Star, hatte mit John Wayne (The Searchers“, 1956), Gene Kelly (Marjorie Morningstar“, 1958) und Frank Sinatra (Kings Go Forth“, 1958) vor der Kamera gestanden. Beatty hingegen kannte nahezu niemand.

Natalie Wood mit weißem Hut und kritischem Blick, Warren Beatty in verschwitzter Arbeitskleidung; im Hintergrund parkt ein Fahrzeug aus den 1920er Jahren in einer Heartland-Gegend.

Kazan – schon damals einer der erfolgreichsten, wegen seiner Aussage vor dem Antikommunistenausschuss HUAC (House Un-American Activities Committee) allerdings auch einer der kontroversesten Regisseure der Filmgeschichte – besetzte die Figuren seiner Filme am liebsten mit Menschen, die diese Charaktere weniger zu spielen brauchten, als sie diese tatsächlich waren. So auch in „Splendor in the Grass“, der mit Bud Stamper einen jungen Mann zeigt, der vor Energie und Selbstbewusstsein beinahe platzt, aber unter dem Odium einer problematischen Vater-Sohn-Beziehung steht und bei der Weichenstellung seiner potenziell verheißungsvollen Zukunft jederzeit katastrophal zu entgleisen droht. Auch Beatty litt unter seinem Elternhaus, da sich die künstlerischen Ambitionen sowohl seiner Mutter als auch seines Vaters nie erfüllt hatten; und wie Bud Stamper hatte Beatty Football gespielt, sah gut aus, wollte aber seine Persönlichkeit nicht darauf reduziert wissen. Die Dreharbeiten zu „Splendor in the Grass“ begannen einen Tag nach der illegalen Abtreibung von Beattys Kind mit seiner damaligen Partnerin Joan Collins, die obendrein kurze Zeit später zum Dreh nach Italien abreiste und von Beatty einerseits schmerzlich vermisst, andererseits unter den Verdacht einer Auslandsaffäre gestellt wurde – zur Freude Kazans allesamt zusätzliche Emotionsspritzen für Beattys „Splendor in the Grass“-Performance.

Für Schauspieler ist das Leinwanddebbüt naturgemäß von großer Bedeutung. Beatty aber wollte von Beginn an in sämtliche Bereiche des Filmemachens vordringen. Noch während „Splendor in the Grass“ in der Post production-Phase steckte, ratterte in Beattys Kopf die Karriereplanungsmaschine. Ehe er ein zweites Mal auf der Leinwand erschien, imaginierte sich Beatty bereits als Drehbuchautor und Produzent (Aspirationen, die sich tatsächlich bald und auch noch mit Oscar-Würden erfüllten). Und Beatty – das unterschied ihn von vielen Hollywood-Newbies – umgab vom ersten Moment an die Aura eines Stars. Obwohl ihn innerlich eine mächtige, zerstörerische Unsicherheit aufwühlte, wirkte er auf Kollegen und Crew derart abgeklärt, aber auch arrogant und distanziert, dass er in der Regel die unbeliebteste Person am Set war. Am Ende der Dreharbeiten zu All Fall Down“ (1962) ließ ihn die Crew in der abgeschlossenen Gefängniszelle auf den Florida Keys schmoren, in der Beattys Filmfigur zu Beginn zu sehen ist. Zugleich aber bewunderten viele Beatty für seine Starqualitäten – wo ihn doch damals kaum jemand kannte und er noch immer keinen einzigen Film veröffentlicht hatte.

Beatty war so überzeugend in seinem neuen Leben als Hollywoodschauspieler, dass seine Karriere, die mittlerweile zu den größten in der Geschichte der Traumfabrik gehört, nur folgerichtig erscheint. Erstaunlich ist, wie systematisch Beatty in den ersten Jahren nach seiner Ankunft in Los Angeles auf seinen künftigen Starstatus hinarbeitete; erstaunlich ist aber auch, dass sein Erfolg trotz der großen, vielseitigen Begabung und seiner energischen Ambition keineswegs prädestiniert war, sondern Beatty gleich an mehreren Punkten dieses Prozesses hätte scheitern können.

Karges Studentenzimmer, Beatty sitzt mit Zigarre am Tisch, vor ihm drei nebeneinander liegende Karten.
Italienisches Dolce-Vita-Flair: Warren Beatty im hellen Anzug beim Kartenspiel am Tisch mit einer ihm gegenüber sitzenden Frau.
Warren Beatty sitzt draußen auf der Terrasse an einem Tisch.

Wie bei so unzähligen anderen Stars gab auch bei Beatty letztlich die Kombination aus Talent und Glück den Ausschlag. So hatte er sich in seiner kurzen Zeit am Theater lukrative Verbindungen geschaffen. Der Dramatiker William Inge nahm sich des jungen Schauspielers an, schrieb ihm gleich drei Figuren auf den Leib – ein Privileg, das normalerweise kaum jemandem in den ersten Jahren seiner Karriere zuteilwird. Inge beschaffte dem bis dahin völlig unbekannten Beatty die Hauptrolle in „Splendor in the Grass“, indem er – der Autor des Werkes – immer wieder auf Beattys Verpflichtung pochte; der in Sachen Beatty zunächst zögerliche Kazan hätte sonst vermutlich einen anderen gecastet. Ein wenig mögen daher Beattys Figuren in den Inge-Stücken „Splendor in the Grass“ und „All Fall Down“ die Männerfantasien ihres Schöpfers reflektieren.

Nahaufnahme von Warren Beatty und Pat Hingle mit skeptischen Blicken in Abendgarderobe bei einer großen Feier, Konfetti auf den Schultern.

Im Jahr nach den Dreharbeiten zu „Splendor in the Grass“, 1962, spielte Beatty als italienischer Gigolo an der Seite der Hollywood-Aristokratin Vivien Leigh in deren vorletztem Film (sie verstarb 1967). Beatty hatte sich die Rolle ausgesucht, weil der Callboy Paolo das krasse Gegenteil seiner Debütfigur Bud Stamper war. Paolo di Leo in The Roman Spring of Mrs. Stone wird mitunter als grandiose Fehlbesetzung des jungen Beatty bewertet. Aber eigentlich fügt sich Beatty in das mediterrane Ambiente ein und strahlt vor allem die Gefühlskälte des Liebesverkäufers aus, der seinerseits von seiner Zuhälterin ausgebeutet wird (kunstvoll maliziös: Lotte Lenya als, wohl selbsternannte, Contessa Magda Terribili-Gonzales in einem ihrer wenigen Filme). Wie auch immer man seine zweite Leinwandperformance bewertet: Das Drumherum wirft ein bezeichnendes Licht auf Ehrgeiz und Methodik des jungen Warren Beatty.

Um diese Rolle zu bekommen, hatte Beatty sämtliche Register einer Chuzpe gezogen, die nicht jedem Schauspieler zu eigen ist und die zugleich viel über Beattys Besonderheit verrät. Die gleichnamige Romanvorlage von „The Roman Spring of Mrs. Stone“ stammte aus der Feder von Tennessee Williams, schon damals ein Literat von Weltformat, der Ende 1961 auf einem Karibikeiland weilte, während die Vorarbeiten zum Dreh des Films bereits begonnen hatten. Beatty, dessen Filmdebüt erst im nächsten Jahr Premiere feiern würde und den daher auch weiterhin nahezu keine Menschenseele als begabten Schauspieler, geschweige denn künftigen Star auf dem Schirm hatte, war nicht gecastet worden. Beatty aber wollte diese Rolle unbedingt – und als er erfuhr, dass Williams maßgeblichen Einfluss auf den Cast hatte, fahndete er nach dem Aufenthaltsort des Star-Dramatikers, borgte sich einen Anzug, Geld für ein Flugticket – und begab sich nach Puerto Rico. Die Szene, die sich dort zutrug, war selbst filmtauglich: In San Juan betrat Beatty das Casino, in dem er Williams vermutete, erspähte dort tatsächlich den berühmten Autor und bestellte ihm, noch bevor sie das erste Mal sprachen, ein Glas Milch – denn Williams wähnte sich mit einem Magengeschwür, wovon Beatty wiederum wusste.

Vivien Leigh und Warren Beatty in einem italienischen Etablissement durch eine kleine Öffnung einer roten Abtrennung betrachtet; sitzen an einem kleinen Tisch bei Kerzenlicht; sie sucht etwas in ihrer Handtasche, er starrt angestrengt in den Raum hinein.

Am Londoner Set von „The Roman Spring of Mrs. Stone“ staunte die Crew dann jedenfalls nicht schlecht, als die finale Besetzung des Protagonisten bekanntgegeben wurde – denn niemand hatte zuvor von diesem Warren Beatty gehört, den Williams nun so kurz vor Drehbeginn gegen den bereits gecasteten Tomas Milian als Paolo durchsetzte. Die Verfilmung des Williams-Buches war zwar kein künstlerischer, wohl aber ein karrieristischer Meilenstein in Beattys Filmografie. Denn während er nach „Splendor in the Grass“ abermals fast die gesamte Filmcrew mit seiner distanzierten Arroganz verärgerte, schraubten Beatty und sein PR-Agent an der phänomenalen Starwerdung des nach wie vor unbekannten Schauspielers.

Bei Beatty trafen nicht nur eine außerordentliche Begabung und Ambition aufeinander, sondern er besaß auch das Glück – oder die Eigenheit – fähige bzw. einflussreiche Förderer auf seiner Seite zu wissen. Der ultimative PR-Experte Springer übernahm meisterhaft ebenjene Arbeit, die Beatty verachtete, nicht beherrschte und vor der er sogar Angst hatte. Springer gelang schließlich das mediale Husarenstück, Warren Beatty beinahe zu einem Star zu machen, noch bevor der überhaupt nur einen einzigen Film veröffentlicht hatte. In der Tat spielte Springer sogar ebendiese Karte aus: ein Mysterium um einen Schauspieler aufzubauen, von dem man zur damaligen Zeit gar nicht viel wissen, ihn eigentlich nicht einmal sehen konnte – und Beattys Pressephobie nährte diesen aufgebauschten Beatty-Mythos nur weiter, zumal er – ob er wollte oder nicht – der kleine Bruder der längst zum Superstar avancierten Shirley MacLaine war.

Die dritte Kinorolle des Warren Beatty griff sodann Teile seiner ersten beiden Figuren auf: Seinen ersten Auftritt hat Berry-Berry Willart in „All Fall Down aus dem Jahr 1962 in einer düsteren Knastzelle irgendwo in der moralischen Schwüle der Südstaaten auf den Florida Keys – der junge Kerl hat eine Prostituierte verprügelt. Ein „Lump“, wie der deutsche Filmtitel unterstreicht. Sein jüngerer Bruder Clinton (Brandon De Wilde) zahlt die Kaution und gemeinsam wandeln die beiden ungleichen Geschwister die unendlich lange Brücke des Overseas Highway entlang, welche die kleinen Inseln statt der früheren Eisenbahnlinie verbindet – eine beeindruckend kontemplative Szene, in der sich die Betrübnis vergeudeter Jugend und die sonnige Key-West-Idylle zu einem bitteren Stimmungscocktail vermengen. Statt Geld für einen Bus auszugeben, macht Berry-Berry, was er am besten kann: Er reißt zwei Frauen auf, die ihn und seinen Bruder in ihrem Cabrio mitnehmen.

Als Beatty für All Fall Down bei MGM unterschrieb, hatte noch immer niemand einen Film mit ihm gesehen, da sowohl Splendor in the Grass als auch The Roman Spring of Mrs. Stone noch immer der Veröffentlichung harrte. Und wieder traf Beatty auf exzellente Bedingungen – zeichnete doch abermals sein Förderer William Inge für das Drehbuch verantwortlich. Obendrein bekam Beatty für Berry-Berry bereits das Doppelte, das ihm noch kurz zuvor der Mittelmeer-Callboy eingebracht hatte, obwohl doch weiterhin nicht ein einziges Ticket für einen Beatty-Film verkauft worden war. Was für Beatty allerdings ausschlaggebend gewesen sein dürfte, war die für Hollywood-Verhältnisse künstlerische Veranlagung des Projekts – hatte sich Beatty doch zuvor vergeblich bei Luchino Visconti für Il gattopardo“ (1963) beworben.

Warren Beatty blickt in trotziger Haltung und bei geöffneter Tür aus einer finsteren Gefängniszelle, deren Gitterstäbe Schatten auf sein weißes Unterhemd werfen.

Wie schon bei „Splendor in the Grass“ hatte Beatty in „All Fall Down nicht nur eine Figur zu spielen, die ihm in vielem ähnelte; obendrein bezogen sich die Parallelen zwischen dem fiktiven und dem echten Menschen auf äußerst heikle Bereiche. Und beide Male steckte Beattys Förderer Inge dahinter: In seinem Debüt lag der Film- sehr nahe am echten Vater – Ira Beaty, einem resignierten, wenngleich nicht völlig derangierten Alkoholiker, der im Leben oft gescheitert war, zwischen Disziplin gebietender Strenge und unkontrolliertem Suff oszillierte, zu Hause eine Bühne seiner selbst fand und dessen Kinder schließlich seine Träume lebten. In „All Fall Down“ trug der Filmvater – gespielt von Karl Malden – bemerkenswert detaillierte Züge von Ira Beaty; und die Mutter, gespielt von Angela Lansbury, ähnelte in mancher Hinsicht Beattys eigener Mutter, Kathlyn MacLean.

Beattys junge Männer aus „Splendor in the Grass“ und „All Fall Down“ sind tragische Figuren, die am Versprechen – und der Last – des American Dream, aber auch an den erdrückenden Erwartungen der Elterngeneration leiden. Doch wo Bud Stamper am Ende ein einfaches Glück als tüchtiger Farmer findet, verfällt Berry-Berry passend zum pessimistischen Ton des Filmtitels in eine immer tiefere Lebenstragik, aus der ihm auch seine äußerliche Schönheit nicht heraushilft. Dieses Thema bleibt auch im vierten Beatty-Film bestehen: Lilith aus dem Jahr 1964 zeigt einen heimgekehrten Soldaten, der sich in einer Psychiatrie zum Krankenpfleger ausbilden lassen will. Dort erliegt er dann den Verführungskünsten der schizophrenen Patientin Lilith (eine formidable Performance der jungen Jean Seberg, die Beatty als passende Besetzung vorgeschlagen hatte). Beattys Charakter, Vincent Bruce, scheitert letztlich mit seinem Versuch, in ein stabiles, erfülltes Leben zu finden. Und auch dies wirkt im Nachhinein wie ein Spiegelbild von Beattys realem Leben jener Zeit.

Nahaufnahme von Jean Seberg als Patientin in freizeitlicher Atmosphäre vor dem Klinikgebäude, neben ihr liegt Warren Beatty als Krankenpfleger.

Hatten sich für Beatty seine letzten beiden Filme trotz guter Vorzeichen, ja fast schon exzellenter Ausgangsbedingungen als wenig glücklich erwiesen, stand „Lilith“ von vorneherein unter keinem guten Stern. Nach den verhaltenen Kritiken von „The Roman Spring of Mrs. Stone“ und „All Fall Down“ war Beatty nicht nur vorsichtig geworden, was seine Rollenwahl betraf; noch viel mehr befand er sich in einem tiefen Karriereloch, verstärkt durch seine turbulente, selbstzerstörerische Beziehung mit Natalie Wood, deprimiert und unzufrieden. Einerseits zögerte Beatty, eines der zahllosen Rollenangebote anzunehmen, andererseits suchte er durchaus ambitioniert nach neuen Filmprojekten. Nachdem sich einige davon zerschlagen hatten, ging Beatty allmählich das Geld aus und er verschuldete sich. Als er sich schließlich von einem seiner Vertrauten Geld geborgt hatte, sah er sich schlicht gezwungen, die nächstbeste Gelegenheit zu ergreifen – und das war eben „Lilith“. Beattys Motivation war also – im Unterschied zu seinen ersten Rollen – nicht künstlerischer, sondern rein finanzieller Natur, obendrein war er aus seinem Karrierestart mehr angeschlagen denn gestärkt hervorgegangen. Als im Frühjahr 1963 die Dreharbeiten zu „Lilith“ begannen, hatte Beatty beinahe zwei Jahre nicht mehr vor der Kamera gestanden.

Warren Beatty über eine geöffnete Schublade gebeugt, sein Spiegelbild erscheint im Garderobenspiegel.
Schwarz-weiße Nahaufnahme eines runden Fahrzeugaußenspiegels, in dem sich Warren Beattys Kopf spiegelt.

Und wie schon zuvor machte sich Beatty auch am Set von „Lilith“ keine Freunde. Mit dem Regisseur Robert Rossen, der ihm noch kurz vor Drehbeginn so etwas wie eine Vaterfigur gewesen war, überwarf er sich so sehr, dass Rossen ihn beinahe in den Gerichtssaal geschleift hätte. Beatty wiederum sabotierte einige Szenen aus Verdruss, dass man ihn nicht gehen ließ, obwohl er wegen der unglückseligen Dreharbeiten zwischenzeitlich darum gebeten hatte – woraufhin wiederum Rossen in seiner Wut auf Beatty mit dem Gedanken spielte, den Film in einer für den jungen Star möglichst unvorteilhaften Weise zu schneiden. Nicht nur zog sich Beatty den Zorn der Crew und des übrigen Cast auf sich, wegen angeblich unverschämt langer Aufenthalte in der Maske (in den Augen vieler ein Ausweis seiner Eitelkeit); sondern auch, da er vor der Kamera wie die Karikatur eines Method-Actor unablässig nuschelte (in den Augen vieler ein Ausweis seiner Arroganz – so sehr, dass man ihm am Set den Spitznamen „Whispering Jack Smith“ verpasste). Beattys Verhalten war offenbar so anstrengend, dass sich sogar sein Mentor Elia Kazan bemüßigt fühlte, ihm per Brief die Leviten zu lesen („so many people think of you as a special problem“[1]) und ihn zu warnen, dass mit einem solch schwierigen Schauspieler künftig ganz sicher kein Regisseur zusammenarbeiten wolle.

Das „Lilith“-Debakel hatte für den künstlerisch zwar ambitionierten, in der schauspielerischen Selbstsicherheit jedoch fragilen Beatty freilich noch kein Ende: Von den Filmfestspielen von Venedig wurde er eilig wieder abgezogen, da ihn die Auswahlkommission anscheinend für zu schwach befunden hatte; und bei einem Filmfestival in New York pfiff man ihn aus.

In der Rückschau wirken diese vier Filme, die allesamt mit d er verhängnisvollen Schönheit eines jungen Mannes spielen, wie ein auf dem Produzenten-Reißbrett erdachter Prolog auf den baldigen Hollywoodstar Beatty. Sie nutzten konsequent Beattys Playboy-Kopf mit dem vollen Haar und der verwegenen Flirt-Mimik, der in diesen Filmen in Close-ups wie für das Cover eines Hochglanzmagazins abgelichtet wurde. Sie waren nahezu perfekte Echos der Springer’schen Beatty-Kampage, die das Image eines verwegenen Teenagerhelden konstruieren wollte. Schaut man genau hin, schuf Beatty damals – ob absichtlich oder zufällig – kleine Reminiszenzen seines Schauspiels, als habe er geahnt, wie sich darauf später zurückblicken ließe: In „Splendor in the Grass“, „The Roman Spring of Mrs. Stone“ und „Lilith“ sieht man ihn jedes Mal beim beiläufigen Kartenspiel; in „Splendor in the Grass“ zeigt ihn eine Nahaufnahme vor einer Höhensonne – eine Szene, die Beatty exakt dreißig Jahre später in Bugsy“ (1991) als eitler Mafioso wiederholte.

Nahaufnahme von Warren Beatty im hellen Pullover in einem Zimmer, den Blick zur Seite gerichtet, die Augenbrauen leicht hochgezogen.
Warren Beatty sitzt in einem schwach beleuchteten Zimmer auf dem Bett, hinter dem Kissen erkennt man eine Frau.
Schwarz-weiße Nahaufnahme von Beatty als Berry-Berry vor einer Zapfsäule in juvenil-viriler Pose.
Nahaufnahme von Beatty als jungem Krankenpfleger mit leicht aufgeknöpftem Hemd in freizeitlicher Atmosphäre vor dem Klinikgebäude.

Während „Splendor in the Grass“ nach seinem Erscheinen im Herbst 1961 in den meisten Kritiken gefeiert wurde und Beatty schlagartig als ernst zu nehmenden Schauspieler etablierte – insofern also die Verheißungen der PR-Kampagne bestätigte –, entpuppte sich The Roman Spring of Mrs. Stone für Beatty als Desaster. Ausgerechnet der Film, bei dem er so erfinderische Maßnahmen ergriffen hatte, um die (bereits vergebene) Rolle wider alle Wahrscheinlichkeit doch noch zu bekommen, machte ihn nun fertig. Dabei kam er in den Kritiken nicht einmal universell schlecht weg, sondern erhielt für seine Darbietung des italienischen Sexarbeiters zum Teil erneut Lob. Doch hatten die Dreharbeiten, insbesondere seiner Filme Nummer zwei und drei, den jungen Schauspieler stark beansprucht. Die insgesamt gemischten Reviews zu „The Roman Spring of Mrs. Stone“ belasteten ihn; die mit den Filmen verknüpften PR-Verpflichtungen waren ihm eine schwer erträgliche Bürde. Und von der plötzlichen Auflösung seiner Anonymität und der Starwerdung – eigentlich ja das Ziel all seiner Anstrengungen – war Beatty nicht bloß gestresst, sondern regelrecht traumatisiert worden. Dieses Hollywood-Syndrom, unter dem Beatty damals litt, beschrieb seine Schwester Shirley MacLaine stellvertretend in ihrer Autobiografie: „We’re desperate to be noticed by them, we hunger to be acknowledged by them, yet the more they notice us, the more we feel invaded. The more we’re acknowledged, the less we feel we deserve it.“[2] Der Spiegel lag mit seinem Kommentar zu „Splendor in the Grass insofern erstaunlich nah an der Wirklichkeit: „[…] Warren Beatty, Kazans jüngste Entdeckung, leidet offenbar darunter, daß er sich verpflichtet fühlt, ein neuer James Dean zu sein.“[3]

Warren Beattys Karriere begann spektakulär: Nach bloß kurzem Engagement am Broadway entdeckt, ging der Anfang Zwanzigjährige ohne einen Cent Geld nach Hollywood, drehte dort innerhalb von anderthalb Jahren drei Filme und avancierte zum aufregenden Jungstar, noch ehe er eine einzige Minute über die Kinoleinwand flimmerte. Er hatte Beziehungen mit zwei der gefragtesten jungen Darstellerinnen der gesamten Filmbranche (Joan Collins und Natalie Wood), machte mit seiner umtriebigen Art in Windeseile im an aufstrebenden Talenten gewiss nicht armen Showbusiness von Los Angeles als einer der bestaussehenden und begabtesten Nachwuchsschauspieler von sich reden. Aber für Beatty war all das, auf paradoxe Weise, zu viel und zugleich zu wenig. Er wollte Star sein, aber im Privaten verbleiben und nicht von einer heuchlerischen Journaille, so dachte er damals wohl, in aller Öffentlichkeit verzerrt und verbogen werden. Er wollte schauspielern, aber litt unter Versagensängsten. Und er wollte Filme schreiben und produzieren, doch fehlten ihm Geld, Standing und Beziehungen. So taumelte Warren Beatty, heute einer der Giganten der Filmgeschichte, zur Mitte der 1960er Jahre durch eine tiefe Karriere-, Sinn- und Lebenskrise. Das Geratter der Maschinenpistolen am Ende von „Bonnie and Clyde“ war da noch erstaunlich weit weg.

[1] Brief Elia Kazan an Warren Beatty vom 22.05.1963, in: Devlin, Albert J./Devlin, Marlene J. (Hg.): The Selected Letters of Elia Kazan, New York 2016 [2014].

[2] MacLaine, Shirley: My Lucky Stars, New York u.a. 1996, S. 13.

[3] O.V.: Neu in Deutschland: Fieber im Blut (USA), in: Der Spiegel, 03.04.1962.

Text verfasst von: Robert Lorenz