Filmtipp

Das wilde Schaf (1974)

Kurzbeschreibung: Der schüchterne Bankangestellte Mallet verändert sein Leben radikal, als er nur noch die Anweisungen eines befreundeten Schriftstellers befolgt. Auf dessen Geheiß verführt er verheiratete Frauen, schläft sich in die exklusiven Kreise der High Society und steigt schließlich zum Chef einer Boulevardzeitung auf. Der zynische Blick auf eine dekadente Gesellschaft ist auch heute noch eine unterhaltsame Satire.

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Die nackte Romy – das war schon ein kleiner Skandal, damals. In „Der Swimmingpool“ (1969) wälzt sie sich in lasziven Posen mit ihrem Ex-Verlobten Alain Delon am Rand eines Schwimmbeckens. Aber hier, in „Das wilde Schaf“ aus dem Jahr 1974, da entblößt sie auch ihre Brust. Ohnehin wird in dieser bösen Satire viel nackte Haut gezeigt: Schließlich geht es um Sex, Geld und Erfolg. Um diese Ingredienzen einer dekadenten Gesellschaft entspinnt sich eine herrlich bissige Geschichte, wie sie vielleicht nur das französische Kino der frühen Siebziger Jahre hervorbringen konnte.

Nicolas Mallet (Jean-Louis Trintignant) ist ein Bankangestellter, der am Schalter den Kunden das Geld ausgibt (ein Job, den es infolge der Automatisierung heute in dieser Form überhaupt nicht mehr gibt). Der Beruf des Bankers verkommt hier zum Inbegriff von Routine, Langeweile, Monotonie. Denn Mallet wird diesen Job urplötzlich kündigen und ein gänzlich neues Leben beginnen – ein Leben, für das die Banker-Existenz als Kontrastfolie herhalten muss. Sie soll die einstige Banalität des Mannes unterstreichen, der im Verlauf des Films zum unwiderstehlichen Womanizer, High-Society-Animal und schließlich Chef einer Boulevardgazette aufsteigen wird.

Das Ganze beginnt in einem Café in Paris. Dort trifft er einen Freund, den Schriftsteller Claude Fabre (Jean-Pierre Cassel). Ihm kündigt er an, in Kürze mit einer beträchtlich jüngeren Frau zu schlafen. Das allerdings hieße, seine Schüchternheit und Banalität zu überwinden – ein Vorhaben also, das eine weitaus forschere Version seiner selbst voraussetzt. Hier beginnt nun die Transformation des Mallet, der sich in den folgenden anderthalb Filmstunden zu einem völlig anderen Mann verwandelt und sein bisheriges Leben hinter sich lässt, plötzlich Erfolg hat, mit allem, was er anfasst – nicht nur Frauen. Es ist eine durch und durch zynische Erzählung vom Triumph der Dreistigkeit, dem Sieg des Skrupellosen.

Mallets masochistische Manipulationen

Die junge Frau, die Mallet ins Bett kriegen will, heißt Marie-Paule und wird von Jane Birkin gespielt (einer gebürtigen Londonerin). Dürr und lasziv ist sie, als sie sich bereitwillig auf Mallets Avancen einlässt und mit ihm sogleich von einem Café in ein Hotel wechselt. Eine romantische Szene folgt dann allerdings nicht: Mallet schlägt sie ins Gesicht, Blut fließt aus ihrer Nase – ihr Zurückweichen kommentiert er mit dem Hinweis, dass die Klingel, die sie ins Auge fasst, defekt sei, wie ihnen ja nur wenige Minuten zuvor die Hotelbetreiberin mitgeteilt hat. Die Flucht ist ihr also verwehrt, und Mallet nähert sich mit bedrohlicher Haltung dem Bett, auf das er die Entkleidete niedergeworfen hat. Eine drastische Szene eigentlich – würde sie nicht damit enden, dass beide in den dann doch noch offenbar einvernehmlichen Liebesakt übergehen.

Anschließend berichtet Mallet seinem Freund. Wieder sitzen sie dabei im Café, an derselben Stelle wie zuvor. Ein lakonischer, bizarrer Dialog: Ich habe sie vergewaltigt, sagt der eine; der andere ruft daraufhin den Kellner und bestellt zur „Feier“ zwei Drinks. Was nun beginnt – die eigentliche Handlung des Films –, ist eine sadomasochistische Beziehung. Nicht etwa zwischen Mallet und einer oder mehreren Frauen; sondern zwischen ihm und seinem Vertrauten, Fabre. Der Schriftsteller erteilt Mallet fortan Instruktionen, wie und was dieser zu tun hat. Eine tiefgreifende Manipulation des Lebens von Mallet setzt ein, die dieser umstandslos akzeptiert, dabei jede noch so dreiste oder wagemutige Idee von Fabre präzise in die Tat umsetzt. Mallet wird ihm zwar nicht immer die ganze Wahrheit sagen; doch auch so ist er Spielball des Autors, der wie ein omnipotenter Mentor im Café sitzt, sich dort regelmäßig von neuen Schandtaten berichten lässt, nur um daraufhin noch weitere, kühnere zu ersinnen und Mallet als Aufgabe aufzutragen.

Geniale Gesichter

Eine davon besteht darin, die Frau eines mit Fabre befreundeten Philosophieprofessors zu verführen. Als Gast sitzt Mallet kurz darauf am Tisch, direkt neben seinem Ziel. Während sich der Gelehrte in selbstgefälligen Monologen ergeht, berührt Mallets Bein das der Gastgeberin – die sich freilich nichts anmerken lässt. Mallets Spiel wird funktionieren und er wird auch diese Frau zu seiner Geliebten machen. Romy Schneider stellt diese unglückliche Ehefrau dar, die sich in Mallet verlieben wird (im echten Leben ließ sich Schneider ein Jahr später von Harry Meyen scheiden). Sie liefert in der Tat eine tolle, eine glaubwürdige Performance. Womöglich deshalb auch ist „Das wilde Schaf“ u.a. in der Romy-Schneider-Edition erschienen. Hier hat sie eine ihrer Rollen, mit denen sie die „Sissi“-Vergangenheit nicht nur hinter sich lassen, sondern damit brutal brechen wollte; in einer Szene betritt sie das Zimmer, in dem Mallet wartet, und trägt einen Trenchcoat – sonst nichts.

Doch ist „Das wilde Schaf“ durch und durch ein Trintignant-Film. Wie Jean-Louis Trintignant hier zwischen drei Persönlichkeiten changiert – vom schüchternen, subalternen Bankangestellten über den selbstbewussten, teils gewalttätigen Verführer und Geschäftsmann hin zum willfährigen, marionettenhaften Objekt des sadistischen Schriftstellers –: Das ist ebenso fantastisch wie beklemmend. Aber in Trintignants Gesichtsausdrücken haben sich ja schon immer gleich mehrere Persönlichkeiten verborgen: Sein Blick ist ebenso geheimnisvoll wie offen, verschlagen wie teilnahmslos. So entschlossen wie er dann vorgeht, so apathisch hätte er im selben Moment sein können. Meist aber signalisiert sein Gesicht Unheilvolles, wenn sich die listigen Augen einem Objekt zuwenden und die Mundwinkel sich dabei leicht nach unten neigen. Mallet könnte in diesem Moment alles sein.

Ähnliches trifft aber auch auf Cassel zu, dessen Schriftsteller seine Anweisungen mit lakonischer Mimik gibt. Jean-Pierre Cassel (1932–2007) hatte damals gerade in Richard Lesters Adaption von Alexandre Dumas’ „Die drei Musketiere“ (1973) den französischen Monarchen Louis XIII. gespielt. Cassel, der 1932 in Paris zur Welt kam und dort 2007 verstarb, war der Vater von Vincent Cassel, dadurch auch der Schwiegervater von Monica Bellucci. Wie diese beiden Kerle, Mallet und Fabre – Trintignant und Cassel –, fiese Pläne schmieden, ist eine herrlich zynische Angelegenheit. Ist doch die implizite Botschaft dieser Geschichte, dass rücksichtslose Verachtung jeglicher Moral mit gesellschaftlichem Aufstieg belohnt wird.

Text verfasst von: Robert Lorenz