Express in die Hölle (1985)
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Stonehaven ist ein Gefängnis, in dem die durchschnittliche Strafe bei 22 Jahren liegt. Dort beginnt „Express in die Hölle“. Andrey Konchalovskiy, einer der bekanntesten Regisseure aus der damaligen Sowjetunion (u.a. „Dyadya Vanya“/„Onkel Wanja“, 1971), war zu Beginn der 1980er Jahre in die USA gegangen und drehte fortan für Hollywood. „Express in die Hölle“ war nach „Maria’s Lovers“ (1984) sein zweiter amerikanischer Kinofilm. Er spielt in der Schneewüste von Alaska (wenngleich die Gefängnisaufnahmen aus Montana stammen), einer extremen, unwirtlichen, menschenfeindlichen Umgebung. In einer Einstellung wirkt der dunkle Gebäudekomplex inmitten des weißen Nichts wie der Außenposten menschlicher Kolonialisten auf einem anderen Planeten.
Den Knast zeigt Konchalovskiy als finsteren Ort, im Stile eines postapokalyptischen Szenarios, gegen das „Mad Max 2“ wie ein Urlaubstrip wirkt. Ständig revoltieren die Gefängnisinsassen, was in einer martialischen Gewaltexplosion gipfelt, bei der es im Zellenbereich Brandsätze regnet; aus den Rohren strömt Dampf, Tageslicht ist spärlich, überhaupt kann man sich kaum vorstellen, dass außerhalb dieser Mauern noch eine Zivilisation existiert. Und nichts deutet in diesem tristen Ambiente darauf hin, dass es sich um eine Institution des staatlichen Justizwesens handelt. Mit Hochdruckwasserschläuchen rücken die Wärter an, um den Häftlingen Einhalt zu gebieten, die in ihren Zellen wie Raubtiere lauern. Auch Jon Voights Oscar „Manny“ Manheim schaut hinter dem Maschendraht seiner abgedunkelten Zelle mit gebleckten Zähnen heraus.
Nach drei Jahren Einzelhaft ohne Freigang hat er sich das Recht erstritten, wieder an die frische Luft zu treten. Beim ersten Kontakt mit dem Tageslicht muss ihm jemand eine Sonnenbrille reichen. Manheim und der Gefängnisdirektor, Ranken (John P. Ryan), sind Erzfeinde – und obwohl sie auf den beiden gegenüberliegenden Seiten des Gesetzes stehen, verbindet sie eine kongeniale Misanthropie. Keiner von beiden hat auch nur den geringsten Glauben in das Gute im Menschen. Den Aufsässigen Häftlingen erklärt er die Hierarchie: „Let me tell you where your assholes stand: First there’s God. Then the warden. Then my guards. Then the dogs out there in the kennel. And finally you – pieces of human waste.“
Bei einem schwitzig-verrauchten Boxabend (in einer winzigen Nebenrolle ist „Machete“ Danny Trejo als blutverschmierter Boxer in seinem ersten Filmauftritt zu sehen) lechzt das Häftlingspublikum nach körperlicher Gewalt. Während des Fights kommt es am Boxring zu einer Messerstecherei: Manheim wird von einem Mithäftling die Hand durchstochen, sein loyaler Bruder Jonah (Edward Bunker) rächt diese feige Attacke sogleich mit einer noch drastischeren Tat, indem er dem Täter den Bauch aufschlitzt. Buchstäblich über dem Geschehen schwebt, auf einer höhergelegenen Ebene, der Gefängnisdirektor, der seinen Häftling Manheim in diesem Moment am liebsten auf der Stelle erschießen würde.
Typen wie Manheim wollen raus, ein Ding drehen, jedenfalls nicht unter der selbstherrlichen Ägide eines Mannes à la Ranken leben. Andere, wie Jonah, finden dort brüderliche Verbundenheit und als informelle Organisatoren des Häftlingsalltags einen sozialen Status, den sie außerhalb der Gefängnismauern niemals erreichen würden. Deutet bis dahin das Geschehen auf ein „klassisches“ Gefängnisdrama hin, in dem die üblen Missstände und die parallelgesellschaftlichen Strukturen geschildert werden, bricht der Film damit und lässt das Ganze in eine Art Action-Thriller übergehen.
Dass der Film durch diese Wendung keinen Schaden nimmt, verdankt sich zwei Faktoren: zum einen den fulminanten Darstellungen von Jon Voight und Eric Roberts, zum anderen den kraftvollen Bildern. Manheim bricht aus, einer seiner Fluchthelfer begleitet ihn spontan. Eric Roberts spielt diesen muskelbepackten Häftling, der mit seiner naiven Einfältigkeit der Wissensgesellschaft ferner nicht sein könnte und verzweifelt versucht, Manheims Respekt zu bekommen. Ginge es nach ihm, würde es nach Las Vegas zu Nutten, Pools und Roulette gehen. Für Manheim ist das alles nur „bullshit“
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Jon Voight spielt seinen Charakter so gut und inbrünstig, dass man sich als Zuschauer schon fast unbehaglich fühlt. Mit einem famosen underclass-Dialekt schreit er seinen Zorn in die Welt, erniedrigt und befiehlt, um sich dann in bestialischen Grimassen mit aufgerissenen Augen und angespannter Gesichtsmuskulatur zu verlieren. Aus einer mittelmäßigen Figur wird dadurch eine irre Rolle.
Gemeinsam kriechen die beiden Ausbrecher zwischen Exkrementen und Ratten durch die Kanalisation, um dann in einen eiskalten Fluss zu stürzen. In klirrender Kälte stapfen sie durch eine undurchdringbar, endlos wirkende Schneewüste, um dann einen Güterzug zu besteigen.
Doch statt in die Freiheit droht eine Fahrt in den Tod. Durch eine fast schon geniale Schicksalslaune stirbt der Lokführer bei der Abfahrt an einem Herzinfarkt und die vier Triebwagen rasen führerlos auf die Strecke hinaus – ohne dass die beiden blinden Passagiere davon etwas mitbekommen. Erst später bemerken sie, dass der vermeintliche Zufluchtsort eine Todesfalle ist.
Damit beginnt eine furiose runaway-Fahrt: Ranken ist mit dem Helikopter unterwegs, um Manheim zu jagen; Manheim und sein Komplize versuchen verzweifelt, den Zug anzuhalten, weil dessen Geschwindigkeit zu hoch ist, um einfach abzuspringen – dabei degenieren sie zu zusehends desolateren Gestalten. Und in der hochtechnisierten Schaltzentrale des Bahnunternehmens verengen sich allmählich die Alternativen, den Zug zu stoppen – erst muss die Kollision mit einem entgegenkommenden Zug, dann die Karambolage mit einer giftigen Chemiefabrik abgewendet werden.
An dieser Stelle beinhaltet der Film obendrein eine gesalzene Technikkritik: Mit unberechenbarer Kraft rast der in düsteren Farben gehaltene Zug durch die Winterlandschaft – ein stählernes Monstrum, das außer Kontrolle geraten ist. Natürlich versagen die akribisch und für viel Geld programmierten Sicherheitsvorkehrungen des elektronischen Systems; im unheilvollen Bündnis mit den Naturkräften entfaltet der Zug ein ungemein bedrohliches Zerstörungspotenzial, die Beherrschbarkeit der Technik erweist sich als trügerisch. Und zurück bleiben die Schöpfer dieses Systems in all ihrer Hilflosigkeit, mit Hoffnung als letztem Mittel.
TextRobert Lorenz
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