Network (1976)
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„I just ran out of bullshit.“
Mit diesem Satz erläutert der Nachrichtensprecher von UBS TV vor laufender Kamera seine Situation. Dabei sind doch seit jeher die Nachrichtensprecher die diszipliniertesten Gestalten, die über die Mattscheibe flimmern. Er hat es aber auch nicht leicht, dieser Howard Beale (Peter Finch
Peter Finch nahm den „Oscar“ für die beste Hauptrolle, den er 1977 für seine Performance in „Network“ erhielt, nicht persönlich entgegen. Doch im Unterschied etwa zu Marlon Brando, der vier Jahre zuvor ebenfalls die Trophäe für die beste Hauptrolle als Mafiapatriarch in „Der Pate“ (1972) verliehen bekommen hatte, der Zeremonie jedoch ferngeblieben war, konnte Finch gar nicht erscheinen: Er war zwischenzeitlich einem Herzinfarkt erlegen, erlebte nicht einmal mehr seine Nominierung. Dabei galt die Verleihung für Finchs Arbeit in „Network“ seinerzeit auch noch als Wiedergutmachung für den „Oscar“, den er eigentlich bereits 1972 für „Sunday Bloody Sunday“ (1971) hätte erhalten sollen. Damals, so will es die Hollywood-Folklore, habe die Academy ihm die goldene Statue verwehrt, weil Finch erstmals in einem Mainstream-Film einen Mann küsst – also ging die Auszeichnung an Gene Hackman, der in „French Connection“ (1971) einen klassisch männlichen Cop verkörperte. Den filmischen Tabubruch kommentierte Finch angeblich mit dem Satz: „I did it for England.
So geriet er zum ersten Schauspieler, dem der „Oscar“ posthum verliehen wurde. Finch war zwar Engländer (1916 in London geboren), wuchs aber in Frankreich, Indien und Australien auf. Dort entdeckte ihn dann Ende der 1940er Jahre der große Laurence Olivier (1907–89) und nahm ihn für sein berühmtes Theaterensemble unter Vertrag. Offenbar war Finch so gut, dass Olivier ihn behielt, obwohl er mit dessen Frau, Vivien Leigh (1913–67), eine Affäre hatte.
). Früher war er ein Fernsehstar, „a mandarin of television“
. Doch irgendwann gingen seine Quoten zurück, dann verstarb auch noch seine Frau, Kinder hatten sie keine, Beale begann zu trinken. Und nun hat man ihm seine Entlassung mitgeteilt, zwei Wochen verbleiben ihm in dem Sender, der seinem Leben bis dahin noch so etwas wie eine Struktur gegeben hat. Deshalb beschließt er, seinem Ärger Luft zu machen. Beales Nachrichtensendung ist sogar dermaßen irrelevant für das Studio, dass während der Live-Ausstrahlung niemand im Kontrollraum aufhorcht, als Beale erst seinen Rausschmiss wegen schlechter Quoten und anschließend seine Absicht verkündet, sich in seiner letzten Sendung in der kommenden Woche vor laufender Kamera das Leben zu nehmen.
Für die Senderleitung ist damit natürlich klar, den offenkundig außer Kontrolle geratenen Nachrichtensprecher kein weiteres Mal auf die Zuschauer loszulassen. Aber es kommt anders, ganz anders sogar. Weil der Sender seit geraumer Zeit in den für Werbeeinnahmen maßgeblichen Ranglisten weit abgeschlagen hinter seiner Konkurrenz liegt, soll Diana Christensen das Programm reformieren. Christensen, gespielt von Faye Dunaway, ist eine extrem ambitionierte und mindestens ebenso kühl berechnende Programmgestalterin. Zwar ist Beale auch in ihren Augen ein durchgeknallter Moderator – aber einer, mit dem sich im richtigen Setting eine Menge Geld verdienen lässt. Christensen ist die einzige im Sender, die erkennt, dass Beales Frustration und Rage repräsentativ für große Teile der amerikanischen Bevölkerung sind, dass er eine diffuse Wut vieler Bürgerinnen und Bürger artikuliert und zu deren Sprachrohr und Propheten avanciert, eben weil er sich aus purer Verzweiflung an keine Anweisungen seiner Programmchefs und Produzenten mehr hält.
In einer grandiosen Sequenz bahnt sich Beale, nach einem Unwetter völlig durchnässt, seinen Weg ins Studio und verdichtet seinen Zorn in dem Ausruf: „I’m mad as hell! I’m not gonna take it anymore!“
Tausende von Zuschauern folgen Beales emphatischer Aufforderung, sich aus dem Fernsehsessel zu erheben, das Fenster zu öffnen und dieses wutbürgerliche Credo auf die Straße hinauszuschreien. Das ist Christensens glücklicher Moment; denn sie weiß, dass der eigentlich bereits geschasste Anchorman daraus eine unbezahlbare Glaubwürdigkeit beziehen kann. Ihr schweben bereits phänomenale Einschaltquoten vor den gierigen Augen – ein neuer Star ist geboren.
Mit der Aussicht auf explodierende Werbeeinnahmen überzeugt sie Frank Hackett (Robert Duvall) von dem kühnen Konzept, statt Beale zu feuern, diesem eine ganz große Bühne mit eigener Sendung zu bereiten. Hackett – das ist ein Manager, der von Fernsehprogrammen nichts versteht, den lediglich die Zahlen dahinter interessieren. Er ist der Abgesandte von Konzernboss Arthur Jensen (Ned Beatty), dem der Sender gehört. Mit dem Mandat des übermächtigen, aber zu keiner Zeit gegenwärtigen Eigentümers hat er die bisherigen Strukturen einfach zertrümmert; die offiziellen Leiter des Kanals sind unter seinem rücksichtslosen Regime nur noch formale Chefs, ihr Wort hat längst keine Gültigkeit mehr: trotz jahrzehntelanger Erfahrung ohne jegliche Autorität. Diesen Archetypen des neoliberalen Wirtschaftslenkers stellt Robert Duvall mit einer furiosen Performance dar. An diesem widerlichen Charakter zeigt sich die Bandbreite von Duvalls Schauspielkunst: Zehn Jahre zuvor gab er in „Ein Mann wird gejagt“ (1966) als Vizepräsident einer Kleinstadtbank ebenfalls einen Business-Menschen, allerdings eine Kontrastfolie zu Hackett: einen notorischen Loser, der nicht mal zur Party seines Chefs eingeladen und permanent vor seinen Untergebenen von seiner Partnerin erniedrigt wird. Und kurz vor „Network“ trat Duvall in den ersten beiden „Der Pate“-Filmen als Rechtsanwalt Tom Hagen auf – unter den kaltblütigen und temperamentvollen Mafiosi eine halbwegs besonnene Figur.
Während Hackett also die Nachrichtensendung ungeachtet ihrer elementaren Funktion für die Meinungsfindung in einer Demokratie als ein Produkt wie jedes andere, als ein „Return-on-Investment“ sieht, geht Christensens Coup auf. Beale, der sich in die Rolle des Gesellschaftsmissionars hineinsteigert, wird nun konsequent als „the mad prophet“
inszeniert und lässt den Marktanteil seines Senders in ungeahnte Höhen schnellen. Beales neue Sendung ist eine zirkusartige Show, der frühere Nachrichtensprecher bewegt sich darin wie in einer Manege – neben ihm wie Jahrmarktstände die „Network News Hour“ mit Sybil the Soothsayer, Miss Mata Hari „and her skeletons in the closet“ und Jim Webbings „It’s-the-Emmes-Truth-Department“ –; Beales verzweifelter Schrei der Empörung ist nun das Erkennungszeichen der Show, das vom Studiopublikum zu Beginn der Sendung skandiert wird (in der deutschen Synchronisation übrigens übersetzt als: „Ihr könnt uns alle mal am Arsch lecken. Wir lassen uns das nicht mehr länger gefallen.“
).
Beales Worte entfalten eine demagogische Mobilisierungskraft. In der Manier eines manischen Predigers animiert er sein Fernsehpublikum etwa, sich in Telegrammen an das Weiße Haus über einen Wirtschaftsdeal zu empören – prompt waten die Mitarbeiter der Ford-Administration in Millionen von Telegrammen. Nachdem er seine Wut entladen hat, bricht Beale im Spotlight auf der Bühne zusammen, die Kamera fokussiert den kollabierten Körper, das Studiopublikum applaudiert.
„Network“ zeigt ein ganzes Paket zynisch überzeichneter, jedoch keineswegs weltfremder Figuren: Da sind die neuen TV-Macher Christensen und Hackett, die keine Sekunde an der intellektuellen Substanz ihres Nachrichtenprogramms interessiert sind, für die allein „Shares“ und „Ratings“ zählen – gleich, welcher noch so verrückte Appell von Beale diesen kommerziellen Rausch befriedigt. Für sie ist alles moralisch unbedenklich, solange die Quote stimmt und die Shareholder zufrieden sind.
Faye Dunaway macht das, was sie am besten kann. Sie spielt eine energische Frau, deren Neurosen aus jeder Handbewegung sprechen, die bei selbstbewussten Männern Zuneigung und Zuspruch sucht, sich aber einer tieferen Bindung entzieht – so wie in Thomas Crown ist nicht zu fassen“ (1968) an der Seite von Steve McQueen und in „Chinatown“ (1974) neben Jack Nicholson. Für ihre Darbietung in „Network“ erhielt sie dann auch den „Oscar“ für die beste weibliche Hauptrolle
Die „Oscar“-Verleihung 1977 gilt zugleich als Ende von Dunaways Erfolgssträhne, die 1967 mit ihrem Auftritt als legendäre Brutalo-Gangsterin in „Bonnie und Clyde“ begonnen hat. Danach schien ihr nicht mehr viel zu gelingen, weshalb sie zumeist als Symbolfigur des „New Hollywood“ gilt, dessen Ära Ende der 1970er Jahre ebenfalls zu Ende ging. Aber das Bild, das sie Ende März 1977, am Morgen nach der „Oscar“-Party am Pool des Beverly Hills Hotel zeigt, im stillen Triumph inmitten eines Haufens von Zeitungen, vor ihr auf dem Frühstückstisch die goldene Statur, ist als eine der berühmtesten Aufnahmen aus der Hollywood’schen Eigenwelt geblieben.
.
Dunaways Christensen beginnt eine Affäre mit dem von Hackett gefeuerten Leiter der Nachrichtenabteilung, Max Schumacher (William Holden, für einen „Oscar“ nominiert), den sie bereits während ihres Studiums verehrt hat, ist aber unfähig, Liebe zu empfinden. In einer Szene steigert sie sich mit einem Dialog über ihr neues Konzept – mit einer politisch radikalen Terrorgruppe um den charismatischen „Great“ Ahmed Kahn eine Show aufzuziehen – in einen Orgasmus.
Ned Beatty, der nur wenige Jahre zuvor in „Deliverance“ (1972) mit einer äußerst verstörenden Szene sein Leinwanddebüt gegeben hat, spielt den Konzernchef Arthur Jensen: einen Selfmademan, gegen den sogar einer wie Hackett nichts ausrichten kann. Jensen thront am Ende einer Allee aus kleinen Schreibtischlampen, die an jedem Platz des meterlangen Konferenztischs montiert sind, und die er jederzeit genauso ausknipsen kann wie die Karrieren seiner Manager. Ein diabolisch vorgetragener Monolog, für den Beatty eine „Oscar“-Nominierung erhielt, gerät zur Lektion über die Gesetze einer postindustriellen, postnationalen Welt, in der es angeblich keine Ideologien und keine Nationen mehr gibt: „There is no America. There is no democracy. There is only IBM and ITT and AT&T and DuPont, Dow, Unión Carbide and Exxon. Those are the nations of the world today.“
„Network“ ist ein Kind seiner Zeit, das Drehbuch wirkt wie ein idealtypisches Destillat aus der gerade zu Ende gegangenen Nixon-Ära. Zwei Jahre nach dem Rücktritt des „Watergate“-Skandal-Präsidenten und drei Jahre nach dem Rückzug der USA aus Vietnam liegt das Land in einer tiefen Depression. Von der Politik erwartet man sich nichts, die Wirtschaft befindet sich im Niedergang, das amerikanische Selbstverständnis als Weltmacht ist angeknackst. In dieser Zeit entstanden Filme wie „Der Dialog“ (1974), „Nashville“ (1975) – und eben „Network“ (1976). In ihnen artikulierte sich das mulmige Gefühl, inmitten einer ungewissen Phase des Übergangs zu sein. Während „Die Unbestechlichen“ (1976) mit seiner akribischen Rekonstruktion der „Watergate“-Affäre dem Ideal der Pressefreiheit ein unvergessliches Monument setzte, formulierte „Network“ im selben Jahr eine besonders bissige Medienkritik.
Beide Filme spielen im Bereich der modernen Massenmedien; aber im Unterschied zu den „Unbestechlichen“ geht es in „Network“ nicht um die großen Tageszeitungen, sondern um die nationalen TV-Sender, die Mitte der 1970er Jahre längst eine viel größere Reichweite als die klassischen Printmedien besitzen. Deshalb ist ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, eine seriöse Berichterstattung zu gewährleisten, eigentlich auch viel größer. „Network“ zeichnet die TV-Branche jedoch als einen Mikrokosmos, der von unerbittlichen Betriebswirten infiltriert worden ist und in dem der Cash Flow die einzige akzeptierte Autorität darstellt (so ist zum Beispiel die inhaltliche Qualität des Senderprogramms auf dem jährlichen Aktionärstreffen kein Kriterium).
In dieser Welt werden Erfolg und Scheitern eines Formats wöchentlich neu bewertet, wie Hackett einmal treffend erläutert. So volatil diese Branche ist, so instabil ist auch die Karriere selbst eines skrupellosen Managers wie Hackett: Im Moment des Erfolgs, nach einer riskanten Entscheidung, triumphiert er, sieht sich als Star der nächsten Vorstandsversammlung und entlässt all seine Gegner. Nur kurze Zeit später ist er im Glauben an eine fatale Niederlage zerschmettert, lamentiert über das vermeintliche Ende seiner Karriere, allein aufgrund einer misslungenen Sendung. Der Film hält gleich eine ganze Reihe zynischer Weisheiten über das Fernsehgeschäft parat: „All I want out of life is a 30 share and a 20 rating.“
Oder: „We’re a whorehouse network and we have to take whatever we can get.“
Die bedeutsame Funktion, die Nachrichtensendungen für das politische System enier Demokratie erfüllen – ihre Aufgabe also, die stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger mit einer ausgewogenen Meinungsvielfalt zu versorgen –, hat hier keinen Stellenwert mehr. Nicht einmal Howard Beale, der am vermeintlichen Ende seiner Karriere urplötzlich zum populären Fernsehpriester aufsteigt, ist ein Profiteur dieses Systems. Denn auch er wird, zur Marke stilisiert, ausgebeutet und kann jederzeit abgesetzt werden. All das gipfelt dann in einem tragikomischen Finale.
TextRobert Lorenz
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