Filmtipp

Five Easy Pieces (1970)

Kurzbeschreibung: „Five Easy Pieces“ zeigt nicht nur eine glänzende Performance von Jack Nicholson, sondern ist auch einer der besten Filme über die Vietnamkriegs-USA.

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Eigentlich gehört er gar nicht hierher. Aber das wissen zu diesem Zeitpunkt weder seine Kollegen noch die Zuschauer. Robert Eroica Dupea (Jack Nicholson) verdient sich sein Geld mit der schweißtreibenden, manchmal auch lebensgefährlichen Muskelarbeit auf den Ölfeldern, die Amerika groß gemacht haben, damals aber schon unter dem Druck der arabischen Konkurrenz standen.

Jack Nicholson als Robert Dupea, der mit Helm auf einem Ölfeld arbeitet.

Dupea ist ein Sozial-Aussteiger, ein Eskapist, der lieber auf einem Ölfeld malocht, als dem gesellschaftlichen Hintergrund seiner Familie aus dem kultivierten Bildungsbürgertum gerecht zu werden. Seine musikalischen Talente lässt er im Lebensstil eines Redneck in Bars und Bowlinghallen verkümmern, mit seiner bildungsfernen Freundin Rayette (Karen Black) haust er in einem kleinen Appartement. Als er von den Schlaganfällen seines Vaters hört, sieht er sich allerdings zum Besuch seines Elternhauses an der Nordwestküste gezwungen. Für seine Rolle des enragierten Suchenden erhielt Jack Nicholson seine damals bereits zweite „Oscar“-Nominierung.

Dupeas Kumpel und Arbeitskollege Eltin bei der Pause mit Dupea, im Hintergrund einige Ölpumpen.

Zum rauen Milieu der Ölarbeiter gehören normalerweise nur Leute, die schon immer dort gewesen sind und fast keine Chance haben, etwas anderes zu tun. Dupea aber ist ein sozialer Immigrant; für ihn soll der Schutzhelm nicht Last, sondern Erlösung bringen. Räumlich und habituell hat er sich so weit wie nur irgend möglich von seiner Herkunft zu entfernen versucht. Dupea, der Pianist, lebt zwischen Bierdosen und Bowlingkugeln.

Silhouetten von Ölarbeitern an einem Bohrturm in der Dämmerung.

Tagsüber malocht er auf einem kalifornischen Ölfeld, umgeben von den gespenstischen Ölpumpen, die lakonisch und monoton ihren Dienst verrichten. Mit dreckverschmiertem Gesicht tritt Dupea jeden Abend aufs Neue seine Heimreise an, zu seiner Freundin Rayette, einer Diner-Bedienung. Ihre Beziehung beschränkt sich auf Sex; denn wegen ihrer geringen Bildung und ihres ambitionslosen Intellekts kann Dupea nicht viel mehr mit Rayette anfangen, als mit ihr zu schlafen und sie zu beleidigen. Am Ende nimmt er sie trotzdem mit auf die Fahrt zu seinem Elternhaus; aber ganz am Ende wird er sie einfach im Auto an der Tankstelle sitzen lassen und als Mitfahrer in einem Truck verschwinden – eine unfassbar lapidare Szene wie als Charakteristikum des New Hollywood-Kinos inszeniert.

Als er von den Schlaganfällen seines Vaters erfährt, ahnt Dupea bereits die Strapaze, welche die Rückkehr für ihn bedeuten wird. Denn mit dem bärtigen, alten, nun an den Rollstuhl gefesselten Mann hat er schon seit Jahren kein Wort mehr gewechselt. Und doch will er auf einen letzten Abschied nicht verzichten. Also klaubt sich Dupea in seinem Appartement einige Reiseutensilien zusammen und bricht auf, Rayette auf dem Beifahrersitz. Die Reise im Auto von der West- an die Nordwestküste mutet wie eine Odyssee des postindustriellen Zeitalters an. Hier kommen gleich zwei besonders sehenswerte Szenen vor: Robert und Rayette nehmen zwei Anhalterinnen mit, von denen eine (Helena Kallianiotes, die Nicholson angeblich als seine Haushalts- und Grundstücksmanagerin einstellte) durch eine unablässige Tirade gegen die Gesellschaft und deren „crap“ auffällt. Weil die Staaten rettungslos vollgemüllt seien, will sie in das mutmaßlich saubere Alaska auswandern – schließlich sei dort ja alles weiß („I saw a picture of it.“). Die beiden Frauen entpuppen sich als herrliche Zerrbilder einer falsch verstandenen Hippie-Bewegung. Zusammen mit den beiden Mitfahrerinnen rasten Robert und Rayette in einem Diner – wo ein banaler Bestellvorgang in einem furiosen Wutausbruch von Dupea eskaliert, als die Bedienung für dessen Essensvorlieben nicht von dem Angebot der Karte abweichen will (Bedienung: „You want me to hold the chicken, huh?“ – Dupea: „I want you to hold it between your knees.“) – eine Szene wie gemacht für die später berühmte Nicholson-Mimik.

Karen Black als Rayette und Jack Nicholson als Robert im Auto, auf der Rückbank zwei Anhalterinnen.

Im Haus seiner Kindheit angekommen, trifft Dupea auf seinen Bruder und seine Schwester, die beide erfolgreiche Musiker geworden sind. Der Vater (William Challee) indes ist ein Pflegefall, ein Wrack, mit dem sich nicht mehr streiten lässt. Bei den Dupeas offenbart sich dann die Macht der sozialen Herkunft, als mit den eitlen Kulturkennern und der aus ihrer Sicht gewöhnlichen, ja einfältigen Rayette zwei völlig verschiedene, inkompatible Welten aufeinanderprallen. Das gerät dann schon mal zur Situationskomik, wenn Rayette in eine eitel diskutierende Runde aus Bildungsbürgern hineinfragt, ob denn in dem Haus auch ein Fernsehgerät stehe. Stark gespielt ist aber vor allem die Szene, in der Dupea seinen regungslosen Vater im Rollstuhl auf eine Wiese schiebt und in einer Katharsis ihre zerrüttete Vater-Sohn-Beziehung reflektiert.

Am bürgerlich kultivierten Tisch bei den Dupeas.

Ein Mann sucht sich selbst“ – wie so oft ist in der deutschen Version der englische Originaltitel durch eine wesentlich weniger subtile Variante ersetzt worden – ist in zahlreichen Facetten ein großartiger Film; einige Kritiker handeln ihn sogar als einen der besten über die amerikanische Gesellschaft jener Zeit. Die Handlung spielt im Amerika des Vietnamkrieges, beide Kennedy-Brüder sind bereits ermordet worden, Bürgerrechts- und Studentenbewegung haben dem Land einen überfälligen Liberalisierungsschub verpasst. Die Ölbohrtürme Südkaliforniens sind stumme, zeitlose Zeugen der Industrialisierung, aus der eine machtvolle Branche hervorgegangen ist, die aber mittlerweile von der Konkurrenz aus dem Nahen Osten herausgefordert wird und einer ungewissen Zukunft entgegensieht. Die Faszinationskraft technischer Geräte, die einst als sensationelle Errungenschaften des Fortschritts in den Büros und Studios von Amerika für Begeisterung sorgten – so wie in der Serie „Mad Men“ (2007–15) häufig gezeigt –, ist einer dumpfen Routine gewichen. Ganz beiläufig fängt der Film diese Atmosphäre ein.

Robert Dupea kniet auf einer Wiese in pessimistischem Licht vor seinem teilnahmslos dreinblickenden Vater im Rollstuhl.

Aber auch sein Hauptdarsteller Jack Nicholson, nicht zufällig für einen „Oscar“ nominiert, macht den Film interessant. Denn hier tritt ein Nicholson in der Hauptrolle auf, wie man ihn sonst nicht wieder sieht. Bereits in dem kurz darauf gedrehten Drama The Last Detail“ (1973) (Review auf Filmkuratorium.de lesen) gleicht er von seiner Statur her schon mehr dem Nicholson der darauffolgenden Jahre. Hier aber, in „Five Easy Pieces“, hat er noch etwas mehr Haare, ist sehr schlank, fast schon dürr. Dadurch kommt sein berüchtigtes Nicholson-Grinsen natürlich noch viel besser zur Geltung – besonders in der Szene, in der er geradezu animalisch einem sexuellen Seitensprung mit Catherine Van Oost frönt (gespielt von Susan Anspach, die später verlautbaren ließ, während der Dreharbeiten mit Nicholson eine Affäre gehabt zu haben, aus der Caleb James Goddard hervorgegangen sein soll). Aber auch sonst bietet das von Regisseur Bob Rafelson und Carole Eastman geschriebene Drama einen Fundus an schlichtweg beeindruckender Mimik und Gestik auf.

Limousine mit verschmutzter Karrosserie an einer Tankstelle in verregneter Szenerie.

Robert Eroica Dupea ist ein Mann, der den gesamten Film über mit seiner Präsenz in unterschiedlichen Welten der amerikanischen Gesellschaft kämpft. Ob auf dem rauen Ölfeld oder unter kultivierten Musikern: Überall gerät er nach kurzer Zeit in Rage. Am Ende trifft er seine Entscheidung.

Text verfasst von: Robert Lorenz