Filmtipp

Misery (1990)

Kurzbeschreibung: James Caan spielte oft kraftstrotzende Kerle – aber hier ist er nach einem Autounfall dem Wahnsinn einer Fanatikerin ausgeliefert, der Kathy Bates eine bedrohliche Unberechenbarkeit verleiht. In einem entlegenen Haus im verschneiten Colorado liefern sich beide ein eskalierendes Psychoduell.

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Manchmal handeln Filme nicht von Menschen in einer bestimmten Zeit, sondern vom Menschen selbst, gleich in welcher Zeit. In „Misery“ geht es um obsessive, krankhafte, falsche Liebe. Aus ihr erwächst ein menschliches Desaster mit sinnlosem Leid und Tod. James Caan, der in seiner Karriere fast immer Unbesiegbare, Kraftpakete, Unbeugsame gespielt hat, ist in diesem Film ans Bett gefesselt. Aber „Misery“ beginnt natürlich ganz anders: Paul Sheldon (Caan) ist der Autor einer erfolgreichen Romanserie. Seit seinem ersten Bestseller kehrt er für jedes neue Projekt dorthin zurück, wo er einst sein erstes Manuskript geschrieben hat: nach Colorado, in eine knietief verschneite Landschaft. Nachdem er sein neuestes Werk, ein „seriöses“, fertiggestellt hat, steigt Sheldon – hier ganz Caan-typisch – in seinen vom Schnee befreiten ’65er Mustang und braust los, in der Aktentasche das fertige Manuskript, stolzes Ergebnis kraftraubender Schöpfungsarbeit.

James Caan als Paul Sheldon im verunglückten Fahrzeug mit blutverschmiertem Gesicht und perplexem Blick, neben ihm seine lederne Aktentasche.

Im Rausch des Moments und wegen der Fahrbahnglätte kommt Sheldon von der Straße ab, verunglückt in seinem Muscle-Car (quasi das motorisierte Blechpendant zu James Caan). Eine kräftige Frau (Kathy Bates) rettet ihm das Leben, indem sie die Fahrertür mit einem Brecheisen aufstemmt, den bewusstlosen Körper aus dem Wrack hievt und ihn nach Hause schleppt. Eigentlich hat Sheldon enormes Glück: Die Frau ist ausgebildete Krankenschwester und hat ihn hervorragend versorgt; und sie ist obendrein treuer Fan seiner Bücher, eine Bewunderin des Autors, dessen göttliche Schaffenskraft zu loben sie nicht müde wird.

Kathy Bates als Annie Wilkes am Rollstuhl, in dem Sheldon mit seinem Arm in einer Schlinge sitzt.

Gerade wird Sheldons aktuelles, letztes „Misery“-Buch ausgeliefert; mit der Romanserie will er endlich brechen, in seiner ramponierten Aktentasche lagert bereits der Auftakt zu einem neuen Kapitel seiner Schriftstellerkarriere. Annie Wilkes, seine Retterin, liest es und ist enttäuscht, wütend; aber zum Glück kauft sie als Nächstes ein druckfrisches Exemplar des neuen „Misery“-Bandes, verschlingt ihn auf der Stelle; immer wieder stürzt sie begeistert in Sheldons Zimmer, um sich für die göttliche Literatur zu bedanken und sich voller Vorfreude sogleich wieder in die Kitsch-Lektüre zu vertiefen. Sheldon merkt schnell, dass Wilkes eine fanatische Anhängerin seiner Romanprotagonistin Misery ist – sogar ihr Hausschwein hat sie nach ihr benannt. Aber er – und mit ihm das Publikum – weiß auch, dass Misery am Ende des Buches stirbt. Und so beobachtet man Wilkes, wie sie auf ihre persönliche Katastrophe zusteuert, und Sheldon, wie er, ans Bett gefesselt, um die nahenden Konsequenzen bangt.

Nahaufnahme von Kathy Bates als Annie Wilkes.

Sheriff Buster und Virginia, gespielt von Frances Sternhagen, blicken skeptisch auf das im Schnee geborgene Fahrzeugwrack, im Hintergrund steht eine Menchentraube im verschneiten Colorado.

Als schließlich auch Wilkes es weiß, rastet sie aus. Mit bebenden Körperbewegungen und Schimpftiraden verflucht sie Sheldon, eben noch ihr Gott, jetzt ein Frevler. Klar ist: Ihre Psyche ist mindestens instabil, wenn nicht völlig im Eimer. In den regionalen Medien firmierte sie vor einigen Jahren wegen ominöser Todesfälle auf der Kinderstation eines Krankenhauses eine Zeit lang als die „Dragon Lady“, eine mutmaßliche Killerin – Sheldon wird das erst später herausfinden, denn sie hat die Zeitungsausschnitte sorgfältig in ihr Memorabilien-Album geklebt. Längst weiß der durch seine geschundenen Beine gehunfähige Autor zumindest, dass sie nie seine Agentin, nie die Polizei, nie das Krankenhaus verständigt hat, um ihn bei besserer Wetterlage dorthin zu transportieren, wie sie ihm stets Glauben gemacht hat.

Nahaufnahme von J.T. Walsh als Polizist am Rande eines Waldes in Colorado.

Lauren Bacall steht als Literaturagentin Marcia Sindell in ihrem New Yorker Büro am Schreibtisch und telefoniert.

Kathy Bates bekam für ihre Rolle der durchgeknallten Krankenschwester, des irren Fans, dem die Romanfigur zur Obsession wird, je einen „Oscar“ und „Golden Globe“. Und in der Tat setzt Bates ihre Figur, die ihre psychopathischen Persönlichkeitsstörungen hinter einem freundlichen Gesicht und überbordender Hilfsbereitschaft versteckt, sehr beeindruckend um. Unter der Regie von Rob Reiner machen Bates und Caan aus Stephen Kings Romanvorlage ein aberwitziges Kammerspiel, das sich fast ausschließlich in dem kleinen, abgelegenen, ja niedlich-beschaulichen Haus zuträgt, in dem Wilkes ihren Lieblingsautor gefangen hält. Aber es ist nicht so, dass sie ihn für sich allein haben will. Vielmehr redet sie sich ein, als Gottes Sprachrohr dem vermeintlich abtrünnigen Schriftsteller die Wiederkehr der eigentlich ausgelöschten, verstorbenen, Romanfigur Misery einzuflüstern.

Annie Wilkes aus der Froschperspektive in einem düsteren Raum ihres Hauses.

Das ist ein Horror, viel aufreibender und haarsträubender als jeder noch so wilde Roadtrip durch entlegene Gebiete: Mit einem Mal schiebt Wilkes einen Kugelgrill ans Krankenbett und zwingt Sheldon, sein eben noch aus dem Autowrack glücklich gerettetes, nun mit Brennstoff übergossenes Manuskript anzuzünden, das hoffnungsbeladene Resultat harter Arbeit (es ist die einzige Kopie). Während die Flammen lodern und Wilkes im gespielten Furor einer emsigen Hausfrau so tut, als sei lediglich ein Steak in der Pfanne angebrannt, hat Sheldon soeben unwiederbringlich das Produkt seiner monatelangen Kreativität vernichtet – nur für den Wahnsinn seiner Peinigerin, ein unendlich sinnloser Akt. Und als nächste Stufe der Selbsterniedrigung soll er ein neues Buch schreiben, ganz nach den Vorlieben von Annie Wilkes, die diesem Projekt eine Ernsthaftigkeit beimisst, als gehe es um den Kodex menschlichen Zusammenlebens oder eine neue Weltordnung.

Nahaufnahme von Shelton an einer Schreibmaschine in dem Haus von Annie Wilkes.

Sheldon versucht natürlich mit aller verbliebenen Kraft, aus diesem Biedermeier-Gefängnis, einem in Eichenholzoptik eingerichteten Gästezimmer, zu entkommen. Mit einer zu Boden gefallenen Haarnadel öffnet er die Zimmertür, als Wilkes in die Stadt gefahren ist; in der Küche erbeutet er sich ein scharfes Küchenmesser; Schmerztabletten spart er auf, um eine Überdosis zusammenzumischen, die er Wilkes verabreichen will. Ständig knallen dabei seine extrem schmerzempfindlichen Beine gegen den Boden oder eine Tür – und Caans Gesicht verzerrt sich dabei zu einer verstörenden Grimasse. Und wiederholt bestraft Wilkes ihn für angebliche Unzulänglichkeiten in seiner neuen Story, tickt aus, während er ihren Wahn weglächelt und versucht, sie zu beruhigen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Die beiden liefern sich ein perfides Psychoduell. Immer wieder werden dabei die Gesichter der beiden Kontrahenten so nah herangeholt, dass sie das Bild füllen – und es sind ja auch die Gedanken in diesen Köpfen, die das Geschehen bestimmen und sich in Blicken manifestieren: unberechenbar und labil der eine, entgeistert und besorgt der andere.

Nahaufnahme von Richard Farnsworth als Kleinstadt-Sheriff Buster, der nachdenklich durch die Lamellen der Jalousie eines Fensters blickt.

Vom fernen New York aus veranlasst derweil Sheldons Agentin (Lauren Bacall) den örtlichen Sheriff (Richard Farnsworth), nach dem vermissten, inzwischen längst totgeglaubten Sheldon zu suchen. Der aber wird weiterhin furchtbar malträtiert, seelisch wie körperlich. In einer der unvergesslichsten Szenen des Films, einer meisterhaften Montage lakonischer Gewalt, zertrümmert Wilkes die Knöchel des sowieso schon lädierten Mannes mit einem Vorschlaghammer. Sie lächelt dabei.

Text verfasst von: Robert Lorenz