Filmtipp

Narrow Margin (1990)

Kurzbeschreibung: In diesem Zug-Thriller kontrastiert Peter Hyams die malerische Weite der Rocky Mountains mit der Enge des Abteils.

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Blind Dates sind stets mit einem Risiko behaftet. Schließlich weiß man nie genau, mit wem man sich da einlässt. Für Carol Hunnicut (Anne Archer) endet ihr Date mit Michael Tarlow (J.T. Walsh) dann auch in einem grauenvollen Debakel: Tarlow ist höflich, sympathisch, als erfolgreicher Anwalt auch finanziell eine gute Partie. Tolles Essen, ein nettes Gespräch; aus einem Nebenraum des Hotelzimmers beobachtet sie dann jedoch unbemerkt, wie jemand Tarlow durch einen Kopfschuss tötet – eine der denkbar schlimmsten Wendungen eines Blind Date. In ihrer wahnsinnigen Angst, als Nächste zu sterben, taucht die alleinerziehende Lektorin unter, gibt ihren Sohn in die Obhut von Verwandten und versteckt sich weit weg von Los Angeles in der Wildnis der Rocky Mountains.

Leo Watts in einem schwach ausgeleuchteten Hotelzimmer neben seinem Killer, der eine Pistole mit Schalldämpfer im Anschlag hat.

Vermutlich würde Leo Watts, der Unterweltboss hinter dem Mord an Tarlow, sie niemals finden, ja nicht einmal von ihrer Existenz erfahren (großartig, wie Harris Yulin diesen Obergangster so unscheinbar wirken lässt, dass er statt sein Todesurteil über Tarlow zu sprechen, in diesem Moment auch einen Staubsauger verkaufen könnte). Ausgerechnet Polizei und Justiz werden Watts’ Killer zu Hunnicut führen. Denn weil ihre Fingerabdrücke seit einer Festnahme bei einer Anti-AKW-Demo in den Siebzigern in der Polizeidatenbank lagern, ist ihr Name schon bald mit dem Tarlow-Mord verknüpft. Und nichtsahnend führt Robert Caulfield (Gene Hackman), der stellvertretende Staatsanwalt, der die mutmaßlich unschuldige Hunnicut als Zeugin gegen den Verbrecher Watts unbedingt finden will, die Auftragskiller zur Berghütte, in der sich Hunnicut verkrochen hat.

Hunnicutt in ihrer Berghütte im Beisein von Sergeant Benti und Caulfield.

Caulfield ist voller Euphorie, in Kürze mit einer handfesten Zeugenaussage aufwarten und den kriminellen Geschäftsmann Watts endlich auf die Anklagebank zerren zu können. In Begleitung eines verlebten Cops (M. Emmet Walsh – „I only drink when I’m on duty.“) lässt sich Caulfield mit einem Helikopter in das entlegene Refugium einfliegen. Kurz nach ihnen trifft allerdings auch Watts’ Killerkommando ein: in Gestalt eines zweiten Helikopters, der den ersten einfach zerstört und die Hütte aus der Luft mit einem Maschinengewehr unter Beschuss nimmt. Nur Hunnicut und Caulfield überleben diesen „James Bond“-artigen Angriff und fliehen in einem Geländewagen. Darin knallen sie in rasender Geschwindigkeit mitten im Wald einen Abhang voller Bäume hinunter, ehe sie sich in einen Zug flüchten können.

Nahaufnahme von Hunnicutt und Caulfield in einem Geländewagen mit beschädigter Windschutzscheibe.

So wie diese Action-Sequenz gewinnt der ganze Film seinen Charme aus der Anti-Helden-Aura seiner beiden Protagonisten, denen im Unterschied zu „nativen“ Heldentypen jener Kinozeit, à la Bruce Willis oder Sylvester Stallone, die ganze Hetzerei in ständiger Lebensgefahr doch sichtbar unbehaglich ist.

Caulfield im Gespräch mit einer Frau an der Zugbar.

Der schier endlose Zug, metalline Manifestation der Weiten Nordamerikas, ist Zufluchtsort und Todesfalle zugleich. Denn Watts’ Häscher sind ebenfalls mit an Bord. Hunnicuts einzige Chance besteht darin, dass die Berufskiller nur Caulfields, nicht aber ihr Gesicht kennen. Während sich der riesige Zug durch die Rocky Mountains in Richtung Vancouver quält, liefern sich Hunnicut und Caulfield – beide unbewaffnet – in den engen, ewiggleichen Korridoren der Waggons mit den Killern ein nervenaufreibendes Versteck- und Verwirrspiel – „12 Stunden Angst“, wie der deutsche Titelzusatz verkündet.

Blick aus Vogelperspektive auf den Passagierzug, der sich durch die bewaldete Wildnis der Rocky Mountains schlängelt.

Hackman, der sonst stets eine grandiose Besetzung für die zwielichtigen Typen ist, spielt hier einen radikal unbestechlichen Staatsdiener, einen Gerechtigkeitsfanatiker, der sich selbst von den höchsten Summen aus der Mafiaschatulle nicht beeindrucken lässt. In einer Szene trifft er im Zug auf Nelson (James Sikking), einen Killer mit exzentrischem Schuhwerk; wie zwei Geschäftsleute unterhalten sich die beiden mit falscher Höflichkeit im Bordrestaurant („I have a business proposition for you. […] I was thinking that we might perhaps negotiate an arrangement that would be mutual satisfactory.“). Und wie zur Unterstreichung ihrer Business-Attitüde tragen die Auftragsmörder Anzug und Krawatte; schon in der Szene zu Beginn des Films hat Tarlow ahnungslos seinen Mörder noch per Handschlag begrüßt, im Glauben, es handelte sich um einen von Watts’ Büroassistenten. Und dann zementiert Nelson sein „Verkaufsargument“ mit der Drohung: „And then there’s always the possibility that you won’t survive“ – so beiläufig, dass er danach einen Schluck aus seinem Drink nimmt, als hätte er lediglich ein harmloses Bedenken geäußert. Mit frechem Hackman-Grinsen nimmt Caulfield den Kampf mit dem White-collar-Mordkommando auf.

Einer der Killer blickt aus dem fahrenden Zug.

Text verfasst von: Robert Lorenz