Filmtipp

Sprengkommando Atlantik (1980)

Kurzbeschreibung: Mit Filmen wie „Sprengkommando Atlantik“ gönnte sich Roger Moore während seiner Bond-Ära kleine 007-Auszeiten auf der Leinwand – der Film steht am Ende einer kommerziell ausgebeuteten Terrorismus- und Katastrophenfilmepoche.

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Esther, Ruth und Jennifer sollen in die Luft gesprengt werden. Bei ihnen handelt es sich freilich nicht um Menschen, sondern um die Namen zweier Ölplattformen und ihres Versorgungschiffes, die mit Sprengsätzen verdrahtet sind – jederzeit lassen sie sich über ein Steuerpult zur Explosion bringen. Mit ihnen würden hunderte von Menschen untergehen, Milliarden verpulverisiert und verheerende Umweltschäden angerichtet werden. Die perfiden Ingenieure hinter diesem mikro-apokalyptischen Szenario sind harmlos, fast langweilig wirkende Männer. Aber ebendiese spröden Typen haben die Macht, die britische Regierung um 25 Millionen Pfund zu erpressen – und keine Armee der Welt könnte sie in diesem Moment daran hindern.

Die Terroristen werden angeführt von einem cholerischen Psychopathen, der sich Kramer nennt. Anthony Perkins ist eine gelungene Besetzung des gewissenlosen, nihilistischen Hijackers, der von sich behauptet, kein Terrorist zu sein, weil er keine Philosophien vertrete, sondern nur Geld wolle. Wenn man in Kramers/Perkins’ Gesicht blickt, kann man förmlich sehen, wie sich dieser Mann an dem Gedanken berauscht, mit einem einzigen Tastendruck die britische Wirtschaft zu erschüttern und unzählige Menschenleben auszulöschen.

Anthony Perkins als überlegen dreinblickender Terrorist Kramer im Rollkragenpullover bei einem Telefonat; neben ihm ein Seemann, im Hintergrund ein Komplize.
Drei Taucher in dunklen Anzügen unter Wasser.
Nahaufnahme von James Mason als Admiral Brinsden mit ernster Miene mit einem Telefonhörer am Ohr; im Hintergrund ist Kramer mit finsterem Blick erkennbar.

An Bord gelangen die Terroristen getarnt als Journalisten großer Tageszeitungen, um sich nur wenig später und mit fiesem Grinsen brachial als gewissenlose Kriminelle zu entpuppen. Auf der Brücke zücken sie ihre Pistolen und übernehmen das Kommando. Nach nur wenigen Minuten hat Perkins’ Oberkrimineller bereits das erste Opfer erschossen, um seine radikale Entschiedenheit und Gnadenlosigkeit zu demonstrieren. Die Leiche des tüchtigen Seemanns, den alle geschätzt, vielleicht sogar geliebt haben, lässt er in der kalten Nordsee versenken – obwohl oder gerade weil der Kapitän zuvor um eine christliche Bestattung gebeten hat.

Moore als ffolkes im hellen Rollkragenpullover und gestreifter Wollmütze vor seiner Burg.

Die britische Regierung beschließt, die Truppe des exzentrischen Söldneranführers Rufus Excalibur ffolkes (Roger Moore) anzuheuern. ffolkes lebt irgendwo im Norden der britischen Insel auf einer alten Burg, wo er seine Männer – permanent von ffolkes persönlich gedrillte Draufgänger – trainiert. Mit rot-weiß gestreifter Wollmütze fährt Moores ffolkes in seinem Schlauchboot an der Küste entlang und wirft scharfe Handgranaten ins Meer, die kurz unterhalb der Wasseroberfläche über seinen Tauchern detonieren – mit einem schelmischen Gesichtsausdruck, als verstecke er Ostereier für seine Kinder. Und in den Gemächern der Burg schleichen und liegen überall Katzen herum – denn ffolkes ist vernarrt in die Fellknäuel (um all die Katzen für die Burggemächer aufzutreiben, hat die Crew angeblich in einer irischen Lokalzeitung annonciert: „James Bond Looks for Pussy Galore“). Jedes Mal, wenn er unterwegs ist, ob im Helikopter oder im Zug, holt ffolkes ein ranziges, DIN-A3-großes Textil heraus, an dem er – angeblich bereits seit 17 Jahren – beflissen am Porträt einer Katze häkelt. Auf die Anwesenheit von Frauen reagiert er allergisch und er echauffiert sich unendlich über Raucher, während er selbst immer eine Flasche Whisky dabeihat, aus der er sich zu jeder Tageszeit einen ordentlichen Schluck genehmigt – unmissverständlicher konnte Moore damals auf der Leinwand keinen Kontrastpunkt zu seinem Bond setzen.

Roger Moore, mit Vollbart und Hornbrille, als ffolkes in exzentrischer Pose vor einer Karte.

Es ist dieser abgrundtief britische Spleen, der Roger Moores Rufus Excalibur ffolkes – und damit letztlich auch den ganzen Film – so überraschend unterhaltsam, so sehenswert macht. Der frauenverachtende Katzenliebhaber ist sicherlich Moores exzentrischste Rolle. Und trotz allem Hochseehijackings, Militärbrimboriums und der mit der tickenden Uhr angeheizten Spannung im Finale ist es am Ende der vollbärtige Moore als Froschmann, als eitler Stratege in Sherlock-Holmes-Kluft, als selbsternanntes Genie, das jedem einfach – ob dem Flottenbefehlshaber oder der Premierministerin – mit entwaffnender Selbstsicherheit Anweisungen gibt, an dem man sich während des Films kaum sattsehen kann.

Zwei britische Marineoffiziere, von denen einen James Mason spielt, in ländlicher Umgebung mit alten, niedrigen Steinmauern, im Hintergrund weidet eine Kuhherde.

ffolkes entwirft eine naturgemäß kühne Vorgehensweise. Derweil hecken die in Geiselhaft genommenen Crew-Mitglieder des Versorgungsschiffs selbst einen perfiden Plan aus: Sie wollen die Verbrecher mit vergiftetem Kaffee umbringen. Aber Kramer, der überhaupt immer wieder eine wache Intuition zeigt, wittert den Coup und bietet grinsend dem Besatzungsmitglied den Kaffee an. Er zwingt dem Mann das tödliche Getränk auf, schüttet es ihm sogar qualvoll in den Rachen. Der Seemann lehnt kurz darauf mit weit geöffnetem Mund, aufgerissenen Augen am Terminal und Kramer lässt ihn, noch lebendig, einfach von Bord schmeißen. Später weist Kramer dann seinen feigen Komplizen, der nicht mehr mitmachen will, an, mit dem Helikopter wegzufliegen; und als der erleichtert in Richtung des wartenden Hubschraubers schreitet, schießt ihm Kramer in den Rücken. Und noch als Kramer, von ffolkes harpuniert – vermeintlich tot –, auf einem Hocker auf der Brücke kauert, sehen wir, wie Kramer mit einem fiesen Perkins-Gesichtsausdruck in seinen allerletzten Lebenssekunden versucht, die Sprengkörper zu zünden.

James Mason – einer der größten britischen Schauspieler, die jemals auf Erden wandelten – spielt den britischen Admiral Sir Brinsden, den die Premierministerin als Unterhändler der Regierung zur Bohrinsel entsendet. Brinsden will immer das machen, was ffolkes sogleich – und im Beisein des Admirals – als folgenschweren, naiven Fehler bezeichnet. Stets hat ffolkes die pfiffigere, aussichtsreichere Idee parat. Und man sieht Mason nicht an, ob er bei der Darstellung dieser Figur einfach keine Lust hatte oder ganz besonders viel seiner Schauspielkunst in sie investiert.

Nahaufnahme von Perkins als Kramer mit ernstem Gesichtsausdruck und dem Telefonhörer am Ohr.

Und weil Margaret Thatcher 1979 gerade die Regierung übernommen hatte, ist folgerichtig „the Prime Minister“ (ein Name wird freilich nicht genannt) auch eine Frau (Faith Brook), optisch unverkennbar an Thatcher angelehnt – wenn auch in ihrer Mimik nicht so hart und kühl, wie man die „Iron Lady“ heute in Erinnerung hat (und vielleicht auch damals, zu Beginn der Achtziger, empfand).

Roger Moore war seinerzeit noch aktiver James-Bond-Darsteller. Aber als Ausgleich zur permanenten Darstellung des berühmtesten aller Geheimagenten suchte er sich immer wieder Nebenprojekte aus. „Sprengkommando Atlantik“ drehte er zwischen den beiden „Bonds“ Moonraker“ (1979) und For Your Eyes Only“ (1981). Auch andere Rollen standen wie „Sprengkommando Atlantik“ im Zusammenhang mit (oft maritimen) Geheimkommandos: die eines Söldners (The Wild Geese“, 1978), eines deutschen Offiziers im Mittelmeereinsatz (Escape to Athena“, 1979) oder eines britischen Ex-Soldaten als Mitglied eines Spezialkommandos im Zweiten Weltkrieg (The Sea Wolves“, 1980). Waren das kleine Ventile, um den Druck des vermaledeiten, aber verflucht lukrativen James-Bond-Daseins erträglich zu machen, oder hätte Moore sie auch sonst gespielt?

ffolkes“ (so der Titel in manchen Ländern) lebt von ffolkes. Aber auch optisch ist der Film ansprechend: Die aquanautische Operation der Söldner – den „ffolkes ffusiliers“ – wird in wenigen, aber tollen Bildern gezeigt, in denen die Taucher in ihren dunklen Neoprenanzügen anmutig durch die Tiefe gleiten, während sich über ihnen tausende kleine Luftbläschen tummeln. Eine Aufnahme zeigt die Ölplattform im Dunkel der Nacht: Von hunderten Lichtern erhellt, sieht sie aus wie ein großurbaner Bürokomplex, der sich auf gigantischen Säulen aus den Tiefen der Nordsee erhebt.

Moore in nahezu völliger Dunkelheit als ffolkes im Taucheranzug mit angelegter Harpune.
Nahaufnahme von Moore mit Vollbart als ffolkes in ziviler Kleidung im Gespräch.

Und „Sprengkommando Atlantik“ ist eine Spätgeburt der Dekade des Terrorismus, der 1970er Jahre, die auch in der Filmbranche ihre Spuren hinterließ. In Juggernaut“ (1974) droht ein Sprengstoffspezialist, einen vollbesetzten britischen Passagierdampfer mitten auf dem Atlantik in die Luft zu jagen; in Ransom“ (1974) bringen Terroristen ein britisches Flugzeug in ihre Gewalt; und in Rollercoaster“ (1977) erpresst ein Vietnam-Veteran die Betreiber amerikanischer Freizeitparks, indem er droht, deren spaßbringende Fahrgeschäfte mit kleinen Sprengladungen in perfide Todesfallen zu verwandeln. Und jedes Mal rücken Spezialeinheiten aus, angeführt von eigensinnigen Individuen, deren manchmal blitzschnelle Entscheidungen zahllose Menschenleben kosten – oder bewahren – können. „Sprengkommando Atlantik“ ist ein spätes Produkt dieser Ära, eine Verfilmung des Romans von Jack Davies aus dem Jahr 1979: „Esther, Ruth, and Jennifer“.

Text verfasst von: Robert Lorenz