The Charge of the Light Brigade (1968)
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Die britische Militärgeschichte ist so reich an Ereignissen, dass sie mehrere Bände füllen kann. Und natürlich hat sich die Film- und Fernsehindustrie aus diesem schier unerschöpflichen Material immer wieder bedient (bspw. „Khartoum“, „Zulu“, „The Battle of Britain“). Eines der furchtbarsten Debakel war eine Schlacht des Krimkriegs (1853–56), der sich zur Mitte des 19. Jahrhunderts am Expansionsdrang des russischen Zarenreichs entzündet hatte. Damals kam die bekannte Rede von der Türkei, dem Osmanischen Reich, als dem „kranken Mann am Bosporus“ auf. Zar Nikolaus I. glaubte, Russland an der Erosion dieses riesigen Reichs bereichern zu können, und ließ es auf einen Krieg ankommen.
Im Frühjahr 1854 zogen dann auch Großbritannien und Frankreich in den Krieg gegen Russland – mit dem Ziel, die russische Festung am Schwarzen Meer, Sewastopol, einzunehmen. Während die Briten die Festung belagerten, griffen die Russen im Morgengrauen des 25. Oktober 1854 bei Balaklawa an. In dieser Schlacht wurde die Leichte Brigade, eine Eliteeinheit aus exzellenten Kavalleristen – ein Kleinod des britischen Militärapparats – im Frontalangriff auf eine russische Artilleriestellung aufgerieben. Dass die Einheit wider alle Vernunft stroisch den übermittelten Befehl ausführte, wurde als Fanal vorbildlichen Gehorsams glorifiziert, ebenso wie es den Wahnsinn sinnloser Weisungsbefolgung symbolisiert.
„The Charge of the Light Brigade“ beginnt in Friedenszeiten, in einem idyllischen Park, in dem die Kavalleristen ein kleines Manöver ausführen, um sich voller Stolz und in all ihrem Prunk der viktorianischen Öffentlichkeit zu präsentieren. Angeführt wird das Regiment von Lord Cardigan (skurril gespielt von Trevor Howard), einem rothaarigen und -bärtigen Schürzenjäger, der überall als Etappenhengst verschrien ist (später im Film verführt er die Frau eines seiner Offiziere: eine absurde Szene, in der die beiden mit ihren Korsetts auf einem Sofa sitzen und Lord Cardigan der Frau auf den Hintern haut, worauf sie erst empört schreit und dann verzückt kichert – „It is by no means a bad thing when getting onto a strange horse for the first time to give the middle of the saddle three or four hard bangs with the flat of your hand!“). Lord Cardigan verlangt von seinen Männern ultimative Disziplin und sorgt zum Leidwesen der Militärverwaltung mit seinem eigensinnigen, unnachgiebigen Verhalten immer wieder für peinliche Schlagzeilen.
Als Großbritannien schließlich ein Militärkontingent über die Mittelmeerpassage an die Krim schickt, ist auch Lord Cardigans Leichte Brigade dabei. Ihm vorgesetzt ist sein Schwager Lord Lucan (Harry Andrews) – beide Militärs können sich nicht ausstehen und halten den jeweils Anderen für den größten Idioten der britischen Armee. Oberbefehlshaber der britischen Krimstreitkräfte ist Lord Raglan (gespielt vom damals schon über sechzigjährigen John Gielgud, der diesem Charakter etwas wunderbar Bizarres verleiht). Raglan hat zwar als Soldat Fronterfahrung gesammelt, im Gefecht auch einen Arm verloren, aber noch nie ein Kommando im Feld geführt. Die folgenden Szenen, in denen Raglan mit General Airey (Mark Dignam) dann die Schlachten lenkt, als würde er eine Bridge-Partie organisieren, oder sich mit dem beinahe senilen französischen Marschall St. Arnaud (Georges Douking) bespricht, wirken so grotesk, dass man glaubt, die französisch-britische Streitmacht werde von trotteligen alten Männern befehligt.
„The Charge of the Light Brigade“ ist jedoch nicht bloß ein filmisches Schlachtengemälde. Vielmehr blickt der Film mit einem distanzierten Zynismus in die Abgründe und auf die großen und kleinen Absurditäten der damaligen Gesellschaft Großbritanniens. Gezeigt wird etwa, wie eine Abteilung der Brigade nachts durch die Straßen von London zieht, um mit allerlei falschen Versprechungen unter den ahnungslosen underclass-Männern neue Soldaten zu rekrutieren („Our officers just whisper.“). Die mit trügerischer Heiterkeit geköderten Freiwilligen finden sich dann kurz darauf in der rauen Wirklichkeit des knochenharten Militärdiensts wieder, in der sie unter dem Gebrüll ihrer Ausbilder knallharte Routinen exerzieren. Durch die Straßen wird derweil ein riesiges Denkmal des wenige Jahre zuvor verstorbenen Napoleon-Bezwingers und Waterloo-Helden Wellington geschoben – aber niemand weiß, wo es am Ende hin soll, und Lord Raglan zerbricht sich darüber fast so sehr den Kopf wie über die weltpolitische Lage.
Drakonische Maßnahmen sollen die Disziplin in der Truppe aufrechterhalten; jede noch so kleine Verfehlung, das ist die Botschaft, wird mit heftigen Strafen geahndet. So lässt Lord Cardigan einen Mann auspeitschen, der sich jahrzehntelang nichts zuschulden kommen ließ, aber sich weigerte, für Lord Cardigan den verhassten Captain Nolan auszuspionieren, und dann seinen Kummer im Alkohol ertränkte. Der Mann wird vor der versammelten Truppe im Reitstall ausgepeitscht; dabei kann man als Zuschauer die unermessliche Tortur nur anhand der sich vor Schmerz windenden Arme und der entsetzten Blicke eines der Offiziere erahnen, weil die Kamera nur einmal ganz kurz den blutigen, durch die Hiebe zerfetzten Rücken des Mannes zeigt – ein Schauspiel so grausam, dass bei dessen Anblick einer der Soldaten ohnmächtig aus der Reihe kippt.
David Hemmings, der da gerade in Michelangelo Antonionis „Blow Up“ (1966) die Hauptrolle des Londoner Fotografen gespielt hatte, ist hier sehr gut als Captain Nolan besetzt: ein aufstrebender Offizier, dem das Ideal einer liberalisierten Armee vorschwebt, in der die Männer zu tüchtigen Kriegern nicht wegen der Bestrafungen und Schikanen werden, sondern weil sie gut bezahlt sind und wissen, dass im Todesfall ihre Familien anständig versorgt werden. Die Gerten- und Peitschenmentalität seiner Mitoffiziere lehnt Nolan ab und blamiert einen von ihnen, indem er ein eigensinniges Pferd mit sensiblen Gesten und Kommandos statt mit Gewalt unter Kontrolle bringt.
Aber dem Kommandeur, Lord Cardigan, ist er ein Dorn im Auge – allein schon, weil er in Indien gedient und von dort einen „schwarzen“ Stalljungen mitgebracht hat. Später entbrennt dann ein Konflikt zwischen den beiden, weil sich Nolan im Offizierskasino, wo auf Cardigans Weisung nur Champagner ausgeschenkt werden darf, einen Wein in dunkler Flasche bestellt, Cardigan aber darauf besteht, es handle sich um Bier und somit um eine die Offiziersmesse entwürdigende Pub-Kultur. Daraus entspinnt sich dann unter Mitwirkung der Presse der „Black Bottle“-Skandal; als Cardigan kurz vor seiner Abreise in den Krimkrieg eine Theatervorstellung besucht, buhen ihn die Gäste mit „black bottle“-Rufen aus.
Captain Nolan trifft nach Jahren seinen alten Freund Captain Morris (Mark Burns) wieder, der mit Clarissa (Vanessa Redgrave) verheiratet ist. Zusammen musizieren sie, unternehmen einen dandyhaften Bootsausflug – bis hin, dass Clarissa und Nolan eine heimliche Affäre haben. Als die beiden Offiziere dann voller Patriotismus in den Krimkrieg ziehen, bleibt die schwangere Clarissa allein zurück. Der Film ist in zwei Kapitel unterteilt, wodurch der Kontrast zwischen der unbeschwerten Friedenszeit im viktorianischen England und den blutigen Schlachtfeldern auf der Krim besonders drastisch ausfällt.
Mehrmals im Film werden die politischen Ereignisse in Form animierter Propagandamotive – eine Mischung aus Monty Python und Loriot – dargestellt, in denen der starke britische Löwe, hinter dem sich der eitel mit Medaillen behängte französische Hahn versteckt, sich als Europapolizist aufmacht, um den russischen Bären zu zähmen; oder die Queen mit ihrer Gabel beim Nachmittagstee die Türme vom Kreml-Kuchen spickt und genüsslich verspeist.
Der Krimkrieg, der als einer der ersten modernen, industriellen Kriege gilt, wird hier nicht in ebendieser Dimension gezeigt. Stattdessen konzentriert sich der Film auf die sinnlosen Opfer, die bestürzende Nonchalance, mit der die Kommandeure ihre Truppen in den Tod schicken. Inkompetente, teils debile Befehlshaber sitzen mit ihren Fernrohren auf den Kommandohöhen und dirigieren das Geschehen mit einem unfassbaren Dilettantismus. Die Offiziere indes stürzen sich, angetrieben von ihrer naiven Ruhmsucht und Kriegsbegeisterung, euphorisch in die Gefechte.
Anfangs überrennen die russischen Truppen die britischen Stellungen, die am Hügel liegen, während die Leichte Brigade tatenlos in einem Tal auf ihren Einsatz wartet. Als die Russen dann aus den mit Leichen übersäten Stellungen der Briten völlig unbehelligt die schweren Kanonen abschleppen, platzt Captain Nolan der Kragen und er bedrängt Lord Raglan, der die fatale Bedeutung dieses Akts nicht einmal ansatzweise erkennt, doch endlich die Kavallerie einzusetzen. Als Lord Raglan schließlich widerstrebend den Angriffsbefehl erteilt, ist der so widersinnig formuliert, dass Lord Lucan glaubt, er solle mit seinen Reitern – entgegen den Grundkenntnissen der Kriegsführung – die feindlichen Artilleriestellungen frontal angreifen. So traben die britischen Kavalleristen mit wehenden Fahnen in ihren Untergang, zusammengeschossen teils von ihren eigenen Kanonen.
Dieser berühmte, in der Militärhistorie gar berüchtigt gewordene Angriff – als „The Charge of the Light Brigade“ in die Geschichtsbücher eingegangen – wird nicht zuvorderst als epische Schlacht inszeniert. Dem Abschreckungseffekt tut das jedoch keinen Abbruch; denn stattdessen zeigt Regisseur Tony Richardson das Gemetzel in seinen furchtbaren Details, in wenigen Einstellungen, die viel schockierender sind als ein martialisches Spektakel mit vielen Spezialeffekten. Beim Marsch durch die Steppe nach Sewastopol kippen die Invasoren verdurstet von ihren Pferden; im Lazarett blendet die Kamera für einen Augenblick auf ein Zelt, wo ein Arzt mit seiner Knochensäge sein furchtbares Handwerk ausführt. Das erste Opfer in der Schlacht von Balaklawa ist Captain Nolan – der junge, feinsinnige Reformer, der uns bis dahin den ganzen Film über mit seinem patriotischen Edelmut begleitet hat: Als er seine Kameraden zum Angriff anspornen will und zum Ärger von Lord Cardigan mit wildem Geschrei vorausreitet, strecken ihn Granatsplitter nieder und Nolan stürzt zu Boden, wo ihm zum schrillen Nachhall seines Schreis Blut aus dem Mund fließt und der eitle Idealismus dieses jungen Menschen in seinen toten Augen erstirbt.
Als sich die Leichte Brigade in Marsch versetzt und sich direkt auf die feindlichen Geschützstellungen zubewegt, schütteln sogar die Russen ihre Köpfe, während sie ihre Kanonen ausrichten. Und während dieses Himmelfahrtskommandos zeigt die Kamera auf das Gesicht von Lord Raglan, der dem Geschehen fassungslos beiwohnt; unmerklich lässt John Gielgud ihm eine Träne entrinnen.
Im anschließenden Gefecht – ein Würge, Gehaue und Gesteche, unterlegt vom Klirren der Klingen und bestialischen Geschrei der Sterbenden – werden die britischen Reiter durch die Detonationen der Kanonenkugeln reihenweise von ihren Pferden geschleudert, während die Offiziere zu Trompetengetöse mit „Hold steady!“-Rufen zum unablässigen Vormarsch antreiben; und diejenigen, die den schrecklichen Ansturm auf die Artilleriestellung bis dahin überstanden haben, werden anschließend im Nahkampf mit Säbeln und Lanzen massakriert.
Die Kamera – oft auf dem Boden drapiert oder auf die Mündung der Kanonenrohre gerichtet – fängt dieses Grauen mit schonungslosen Blicken auf die blutüberströmten Fratzen der Todgeweihten ein, zeigt Leichen, die im Wasser treiben, während die Kameraden ungerührt an ihnen vorbeistapfen, und abgefallene Reiter, die sich im Geschirr verfangen haben und von ihren Pferden zu Tode geschleift werden.
Aus diesem infernalischen Treiben, das längst von einer gigantischen Staubwolke verdeckt wird, schleppen sich dann die Überlebenden, ein Elendstross, in Richtung des Generalstabs zurück, wo gerade Tee serviert wird. Die Intensität dieses Gegensatzes zwischen den strammen Offizieren zu Beginn des Films und den versehrten Menschen am Ende ist in dieser Intensität vielleicht nur noch einmal, von Michael Ciminos „The Deer Hunter“ (1978), wieder erreicht worden. Von der peniblen Militärschau vom Anfang des Films ist nichts mehr erkennbar; Lord Cardigan hält seine martialische Ansprache nun vor einer johlenden Krüppelgruppe, die mit ihrem unwirklichen Kampfgeist an den Schwarzen Ritter aus „Monty Python and the Holy Grail“ (1975) erinnert.
Die Rückkehrer sind zerschundene Gestalten, blutüberströmt, einige durch Säbelhiebe erblindet – und überall liegen grausam entstellte Pferdekadaver. Einer davon, der Kopf abgerissen, bildet die Schluss-Szene, die dann zum Holzschnitt erstarrt, über den sich der Abspann legt, während man dem hektischen Surren der Kadaverfliegen lauscht.
TextRobert Lorenz
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