Filmtipp

Wake in Fright (1971)

Kurzbeschreibung: Ein junger Lehrer gerät auf seinem Weg nach Sidney in einen verstörenden Psychotrip durch das australische Outback zwischen Känguru-Killern, Glücksspielern und Alkoholikern.

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Was für eine Einöde: John Grant (Gary Bond) arbeitet in Tiboonda, im Nirgendwo des australischen Outback, als Lehrer. Auf seinem Weg in die Schulferien macht er Halt in der Stadt Bundanyabba; von dortaus will er am nächsten Tag ein Flugzeug nach Sidney zu seiner Freundin Robyn nehmen. Aber dazu kommt es nie, denn Grant lässt sich in die Abgründe der lasterhaften Minenarbeiterstadt hineinziehen: Als er im beinahe fieberhaften Wahn seinem Traum nacheilt, sich mit schnellen Wettgewinnen aus seinem frustrierenden Job herauszukaufen und ein neues Leben als Journalist in England zu beginnen, verzockt er im alkoholisierten Enthusiasmus sein gesamtes Geld im illegalen Würfelspiel. Doch das ist erst der Auftakt einer psychedelischen Odyssee, die mit dem Kontakt zum eskapistischen Doc Tydon (Donald Pleasence) begonnen hat.

„Everybody likes the Yabba.“ Die vermeintlich harmlosen Worte des Taxifahrers werden aus der Sicht des Protagonisten binnen kurzer Zeit ebenso ad absurdum geführt wie der Kommentar des Polizisten Jock Crawford (Chips Rafferty): „You can always come to the Yabba for your holidays.“ Dass es hier „natürlich“ auch Selbstmorde gebe, tut John anfangs noch mit dem Scherz ab, dass dies wohl der einzige Weg aus der Stadt sei – eine Anmerkung, die sich für ihn noch als düstere Prophetie erweisen wird. Nachdem er im Suff einen Blackout erlitten hat, erwacht er in völlig desolatem Zustand in einer Unterkunft so schäbig, dass er in diesem Moment vermutlich doch wieder an sein Lehrerpult zurück will. Finanziell abgebrannt, fällt er in die Hände von perspektivlosen Outback-Alkoholikern, die ihn zwischen Bier, Glückspiel und Känguruhatz immer weiter nach unten ziehen. Sidney ist jetzt ganz weit weg …

Verstörende Känguru-Killer

„Wake in Fright“ zeichnet ein fütchterliches Bild von der australischen Bevölkerung jenseits der großen Städte. Gezeigt werden haufenweise chauvinistische Männer, die sich mit Dosenbier besaufen und mit Bildung nichts anzufangen wissen: „What’s the matter with him? He’d rather talk to a woman than drink?“ – „School teacher.“ – „Oh.“ In beinahe jeder Szene liegt literweise Schweiß in der Luft; alle sind angespannt, fundamental aggressiv. Abends brechen die Kerle, mit denen John Grant in all seiner Hilflosigkeit und Verlorenheit Bekanntschaft geschlossen hat, zur Känguru-Hatz auf. Die Disc-Hülle warnt denn auch: „Contains strong scenes of kangaroo hunting and slaughter“. Der hierzulande befremdliche Hinweis ist jedoch kein grundloser: Die brutalen Jagdszenen, in denen skrupellose Trunkenbolde in einem Pickup eine Känguru-Herde abschlachten, sind nicht gestellt, sondern zeigen professionelle, d.h. lizenzierte Kängurujäger – laut Aussage der Filmcrew, um damit auf die Grausamkeit dieses Geschäfts aufmerksam zu machen (was definitiv gelingt).

Die Rolle des deprimierten Lehrers, der sich in dem ausweglosen Zirkel eines ungnädigen Schicksals wiederfindet, war Gary Bonds größter Erfolg. In bleibender Erinnerung dürfte er eingefleischten Filmfans allenfalls noch als Nebendarsteller in dem britischen Historiendrama „Zulu“ (1964) sein. Bond starb 1995 an den Folgen einer Aids-Erkrankung. Das mit großem Abstand hochkarätigste Mitglied im Cast ist der englische Schauspielveteran Donald Pleasence (1919–95). Nachdem er 1963 in „The Great Escape“/„Gesprengte Ketten“ inmitten eines sagenhaften Starensembles (u.a. James Garner, Steve McQueen, Charles Bronson u. Richard Attenborough) den meisterhaften Dokumentenfälscher Blythe gemimt hatte, „erfand“ er 1967 – also nur kurze Zeit vor „Wake in Fright“ (1971) – mit seiner Interpretation des James-Bond-Erzfeindes Ernst Stavro Blofeld in „You Only Live Twice“ das Muster für den späteren Dr. Evil in Mike Myers Spionage-Parodie Austin Powers: International Man of Mystery“ (1997). Kindern der Achtziger dürfte indes der lakonische Barkeeper Charlie (John Meillon) bekannt vorkommen – in den beiden „Crocodile Dundee“-Filmen von 1986 und 1988 spielt er den Sidekick Walter Reilly (Meillons letzter Spielfilmauftritt). Meillon machte jahrzehntelang Werbung für die Biermarke „Victoria Bitter“, ehe er 1989 im Alter von 55 Jahren an Leberzirrhose verstarb.

„Wake in Fright“ ist ein verstörender, surrealer Film, dessen Schauspielperformances und Settings so gut zusammenpassen, dass man beinahe Angst bekommt.

Text verfasst von: Robert Lorenz