Filmtipp

Little Caesar (1931)

Kurzbeschreibung: Der Film definierte archetypische Parameter des klassischen Gangsterfilms: Chicago, Gier, Brutalität und Selbstüberschätzung – der American Dream von seiner düsteren Seite. „Little Caesar“ ist so etwas wie der Ur-Gangsterfilm, der Edward G. Robinson zum Star und zur Legende machte.

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Nie rührt er Alkohol an, aber zum Schluss ist er ein Säufer in der billigsten Unterkunft der Stadt. Caesar Enrico Bandello, in Unterweltkreisen bald nur „Little Caesar“ genannt, durchläuft eine atemberaubende Metamorphose: vom gewöhnlichen Kleinkriminellen, wie es sie damals in den USA vermutlich zehntausende gab, zum mächtigen Gangsterboss von Chicago, den die Zeitungen ablichten, um dann abzustürzen, zum anonymen Bewohner eines Flophouse, in dem Vagabunden für ein paar Cent die Nacht hausen. „The bigger they come, the harder they fall“, hatte Rico einst selbst noch doziert.

Little Caesar“ ist einer, wenn nicht der Gangsterfilm – prägend für ein ganzes Subgenre. Und Edward G. Robinson, der den Little Caesar spielt, definierte eine Leinwandvorstellung vom Kopf des organisierten Verbrechens in den Metropolen der USA in den 1930er Jahren, der dramatischen Depressionszeit, die unvergesslich, stilbildend und doch unerreichbar war. Ein Jahr später kam Scarface“ (1932) heraus, mit einer ähnlichen Story, ebenfalls in Chicago, der Wirkungsstätte des legendären Al Capone, angesiedelt und mit Paul Muni in der Hauptrolle des Tony Carmonte (einer fiktiven Entsprechung zu Capone). In diesen beiden Filmen – zusammen mit The Public Enemy“ (1931), in dem James Cagney den Prohibitionsgangster Tom Powers spielte – manifestierte sich die Angst des anständigen Amerika vor dem düsteren Treiben der Unterwelt, vor skrupellosen Männern, die mit ihrem Überfluss an Ehrgeiz und Gier, mit paramilitärischer Waffengewalt die Großstädte terrorisierten. Robinson, Muni und Cagney schufen mit ihren Performances Archetypen der „dunklen“ Seite des American Dream: furios, unberechenbar, zu allen Schandtaten bereit, die Hand immer am Abzug einer Schusswaffe.

Bandello (gespielt von Edward G. Robinson) drapiert mit finsterem Blick Geldbündel auf dem Schreibtisch seines aufgebrachten Bosses (gespielt von Stanley Fields).

Aber Robinsons Rico hat eine besonders rotzige, besonders entlarvende Art: Zu Beginn des Films sitzt er mit seinem Kumpel Joe Massara (Douglas Fairbanks Jr.), der eigentlich Profitänzer werden will, in einem Diner und blättert in einer Zeitung – beide sind Kleinkriminelle. Als er von Nachrichten über große Gangster liest, beschließt er, mit Joe nach Chicago zu gehen, um dort Geld und Ruhm zu erlangen. Nobodys seien sie, zürnt Rico; im Bewusstsein ihrer momentanen Bedeutungslosigkeit will er etwas Großes erreichen – denn er weiß um sein kriminelles Genie. So gehen sie also nach Chicago; und während Joe sich in einem Nachtclub um seine Showkarriere kümmert – unter der Verachtung von Rico, der lieber andere für sich tanzen lassen will –, schleust sich Rico zielstrebig in die Gang von Sam Vettori (Stanley Fields) ein, einem der maßgeblichen Unterweltbosse in der Stadt. Aber von Anfang an will Rico mehr, nein: alles: „There ain’t no use in being scared of any of these big guys“, sagt er. Und binnen kurzer Zeit mausert er sich in Vettoris Organisation vom belächelten Rookie zum gefährlichen Konkurrenten für den Boss.

der „Big Boy“ genannte Oberboss (gespielt von Sidney Blackmer) sitzt an der Kante seines barocken Schreibtisches, im Gespräch mit Bandello (gespielt von Edward G. Robinson), der ihm gegenüber mit Zigarre in einem Sessel sitzt.

Ricos Präsenz und Durchsetzungskraft, sein Gangstercharisma, sind so stark, dass die Handlanger ihrem Boss Sam Vettori schließlich die Gefolgschaft aufkündigen und unter das Kommando von Rico wechseln, während Vettori hilflos zusieht, wie Rico zum zweitmächtigsten Ganoven der Stadt aufsteigt – über ihm lediglich der große Oberboss, der nur „Big Boy“ genannt wird. Edward G. Robinson spielt Caesar Enrico Bandello so bravourös, dass man sich niemand anderen in dieser Rolle vorstellen kann. Und so ikonisch, dass John Huston ihn, fast zwanzig Jahre später, in Key Largo“ (1948) (Review auf Filmkuratorium.de lesen) noch einmal als einen solchen, gealterten Verbrecherboss vor die Kamera holte: als Johnny Rocco, der über sich selbst in der dritten Person redet und sich am eigenen Mythos des sagenumwobenen Prohibitionsgangsters berauscht. Aus Robinsons feister Mimik quillt die ganze Arroganz, der triefende Narzissmus, dieses Psychopathen, der seine Pistole eiskalt als Arbeits- und Machtinstrument einsetzt, mit dem er Feinde durch eine geringfügige Handbewegung einfach auslöschen kann. Rico „Little Caesar“ Bandello – vage an Al Capone angelehnt – schmiedet keine raffinierten Pläne, sondern benutzt in einer primitiven, fast schon naiven Nonchalance brachiale Waffengewalt; er ist kein Redner, sondern tatsächlich einer, der die Kugeln sprechen lässt.

Ein Spieltisch mit Spielern und Croupiers aus der Vogelperspektive.

Der Film zeigt den kometenhaften Aufstieg und Fall eines kleinen, untersetzten Mannes, angetrieben von immensem Erfolgs- und Geltungsdrang, der eine grenzenlose Ambition hat, die ihn buchstäblich über Leichen gehen lässt. Es ist ein extremes Leben und es sind dieselbe Hybris und Narzissmus, die Rico aufsteigen und dann wieder abstürzen lassen. Als er seinem ursprünglichen Boss Vettori dessen Macht in all seiner Dreistigkeit und Schnelligkeit einfach wegnimmt, macht ihn der „Big Boy“ (Sidney Blackmer) zum zweiten Mann des Verbrecherkartells. Der geheimnisvolle Oberboss tritt auf wie ein frühneuzeitlicher Monarch, sein Büro ist voller barockem Pomp. Rico schmaucht dort eine Zigarre – und als er sie anzündet und den ersten Zug nimmt, flackert für den Bruchteil einer Sekunde die Unsicherheit des Parvenüs auf, der noch nicht ganz glauben kann, wo er hier gelandet ist. Überhaupt sind diese Gangsterbosse wie kleine Könige, die riesige Summen für die Insignien ihrer (eingebildeten und realen) Macht ausgeben: Als er zum Chef des Nordbezirks aufsteigt, richtet sich Rico sein eigenes Prunkappartement ein – ästhetische Details interessieren ihn nicht, sondern nur das Wissen, dafür eine fünfstellige Summe verprasst zu haben. Und wie Napoleon seine Hand in die Weste steckte, so hat der kleine Cäsar sie am Revers, während in der anderen die Zigarre wie ein sechster Finger ruht. Da ist diese eine Szene, in der Rico auf einem Tisch steht und sich im Spiegel bewundert, langsam von wachsender Eitelkeit erfüllt und angespornt von den begeisterten Zurufen seines Speichelleckers Otero (George E. Stone).

Otero (gespielt von George E. Stone) bewundert lachend seinen Boss Bandello (gespielt von Edward G. Robinson), der im Spiegel in eitler Pose zu sehen ist.

Rico ist so eitel, dass ihn sein Polizeikontrahent Sergeant Flaherty (eine großartige Figur, gespielt von Thomas E. Jackson) am Ende des Films, als Rico untergetaucht ist, aus dessen Versteck lockt, indem er den kleinen Cäsar in Presseinterviews als feige und fertig darstellt. Noch ein letztes Mal bricht da der ganze Größenwahn des kleinen Cäsars aus, der nun – unrasiert, betrunken und verlottert – Flaherty anruft und ins Telefon schreit: „You’re all through!Flaherty aber hat den Anruf verfolgen lassen; und offenbar war diese Methode damals so neu, dass sie hier – im Unterschied zu fast allen Gangsterfilmen danach – tatsächlich funktioniert. Rico stirbt, halb durchlöchert von Flahertys Maschinenpistole, unter einer Plakatwand, auf der „Tipsy Topsy Turvy“ steht und eine Tanz-Show seines einstigen Freundes Joe Massara ankündigt. „Is this the end of Rico?“, sind seine letzten Worte. Aber vielmehr war es der Beginn von Edward G. Robinsons Mythos.

Text verfasst von: Robert Lorenz