Thief (1981)
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Nur wenige Filme strotzen so vor visueller Kraft wie Michael Manns „Thief“. Schon die Eingangssequenz: Ein Mann mit Schutzbrille bedient eine mächtige Bohrmaschine, die sich mit brachialer Gewalt ihren Weg durch die Außenhaut eines zentimeterdicken Safes bahnt. Die Intensität dieser Szene – an sich schon hundertmal gezeigt – entsteht durch die Kameraperspektive: Der Mann, Frank (James Caan), und die Maschine werden von schräg unten gefilmt; dann blendet die Kamera auf das Zahlenschloss, neben dem der Bohrer rotiert, während die herausgefrästen Späne davonfliegen. Wie ein Meister, der nach Fertigstellung eines Kunstwerks zufrieden seinen Namen eingraviert, treibt Frank zum Schluss einen Meißel durch das Loch, um dem stählernen Ungetüm der selbstbewussten Sicherheitsindustrie den letzten Schlag zu versetzen – das große Finale eines ungeheuren Kraft- und Präzisionsakts.
„Thief“ ist ein visueller Film. Über den gesamten Verlauf erstrecken sich geniale Aufnahmen: die Frontalaufnahme eines Lokals, bevor und während es in einer fulminanten Explosion zerbirst; Frank, wie er im Morgengrauen mit einem Becher Kaffee nach getaner Arbeit am Ufer des Lake Michigan entlanggeht, während sich im Hintergrund anmutig die Skyline von Chicago erhebt und im Wasser schimmert; der schwere Cadillac mit seiner stoischen Chromfront und die ungemein atmosphärische Optik der durchgängig verregneten Straßen Chicagos (angeblich ließ Regisseur Michael Mann den Asphalt mit einem eigens bestellten Tanklaster befeuchten). Einmal blickt die Kamera ein Treppenhaus hinab: Dabei entsteht ein Bild wie ein surreales Gemälde. Großartig auch sind zwei Sequenzen, in denen Frank mit vorgehaltener Pistole in geschlossenen Räumen agiert. Und die Einstellung, als Frank von zwei Cops auf der Straße gestoppt wird und die beiden sich mit großkalibrigen Waffen dem Fahrzeug nähern, erinnert schon stark an Manns vielleicht berühmtestes Werk „Heat“ (1995). Aber all das wird übertroffen von der Szene, in der Frank mithilfe zweier Komplizen den vermeintlich undurchdringlichen Bank-Safe mit einer extra hierfür angefertigten Vorrichtung, einem industriellen Monstrum, unter höllischen Temperaturen zum Schmelzen bringt – ein furioses, wirklich infernalisches Schauspiel.
Michael Mann, der auch das Drehbuch zu dieser Adaption des Frank-Hohimer-Romans „The Home Invaders: Confessions of a Cat Burglar“ schrieb, zelebriert in „Thief“ die zerstörerische Kompromisslosigkeit eines kriminellen Einzelgängers. Und James Caan, damals Anfang vierzig, passt wunderbar auf die Rolle dieses Selfmademan, dessen ganze Optik – goldene Uhr, wuchtige Limousinen, getönte Sonnenbrille mit ausladenden Gläsern – die Attitüde des einsamen Aufsteigers förmlich herausschreit. Vom Waisenkind zum reichen Mann: der amerikanische Traum, in seiner illegalen Version.
Franks Karriere als einer der besten Safeknacker der USA versteckt er hinter einem Gebrauchtwagenhandel in Chicago, der „Windy City“ (und Heimatstadt Manns). Und eigentlich drängt es ihn auch heraus aus dieser Außergewöhnlichkeit, hinein in die Gewöhnlichkeit des amerikanischen Durchschnittsbürgers: mit Frau, Kind und „normalem“ Job. In einer Collage aus ausgeschnittenen Illustriertenbildern hat der Ex-Häftling seine persönliche Bürgertumsutopie festgehalten, die er nun eins zu eins umsetzen will. Doch bevor er in die Legalität wechselt, will Frank auf illegalem Weg noch eine richtig große Summe heranschaffen, die ihm das neue, zurückgezogene Dasein finanzieren soll – der rührige Irrglaube so vieler Filmgangster vor und nach ihm. Das ist auch der Grund, weshalb sich Frank von Leo, einem schwer durchschaubaren Gangsterboss, in ein riskantes Joint Venture locken lässt.
Ihn spielt Robert Prosky – mit der gleichen Miene des gutmütigen TV-Dracula in „Gremlins 2: The New Batch“ (1990) oder des solidarischen Nachrichtensenderchefs in „Broadcast News“ (1987). Und gerade das macht diese zunächst unscheinbare, geschmacklos gekleidete Figur, die manchmal wie ein Bingo-Rentner wirkt, so bedrohlich. Denn derselbe Mann, der Frank mithilfe seiner Verbindungen ein Baby verschafft und im spießigen Wohnzimmer gemütlich seine Zeitung liest, entpuppt sich als gnadenloser Gangster – genau wie die Mafiosi in den Scorsese-Filmen, die hinter ihrem kleinbürgerlichen Habitus grenzenlose Gewaltbereitschaft und unsentimentalen Geschäftssinn verbergen.
Leo will, dass Frank in den Safe einer Bank eindringt – die sich hinter ihrer Glasfassade als schier uneinnehmbare Festung präsentiert. Daneben plagen Frank private Probleme: Der alte Okla – sein Mentor und eine Art Ersatzvater (berührend gespielt vom Country-Star Willie Nelson) – sieht seine Kräfte schwinden, aber will nicht im Knast sterben; und im Wissen um Franks Machenschaften bedrängt ihn der schmierige Detective Attaglia (Tom Signorelli), der für sich und seine Kollegen auf dem Revier einen Prozentanteil an den „Umsätzen“ des famosen Diamantendiebs verlangt.
Doch Frank treibt eine traumatische, fast paranoide Angst um, in die Abhängigkeit eines anderen zu geraten, eingeschränkt zu sein in seinem radikalen Individualismus. Den korrupten Cops will er deshalb kein Schutzgeld zahlen – auch wenn sie ihn im Verhörzimmer verprügeln und sein Haus verwanzen; gegenüber seinem undursichtigen Auftraggeber Leo will er keinen Deut von der ursprünglichen Vereinbarung abrücken – auch wenn der mit seinem Einfluss und seiner Macht droht, ihn zu zerstören. Franks Unnachgiebigkeit geht stets mit der Haltung einher, dass all diese Halunken ihr Geld doch mit „redlicher“ Arbeit verdienen sollen, statt es einfach einem Tüchtigen wie ihm wegzunehmen – der Stolz und die Skepsis des Proletariers, die ständige Angst, dass einem das hart Erarbeitete von illegtimen Anspruchstellern weggenommen wird.
Dabei ist Frank selbst ein Dieb in mehrfacher Hinsicht: Nicht nur bestiehlt er Banken und Institutionen; erst stiehlt er seiner späteren Frau Jessie (Tuedsday Weld) deren Eigenständigkeit und altes Leben – nur um später auch ihr neues Leben zu stehlen, als er sie mitsamt dem Kind einfach davonjagt, das gemeinsame Haus und seine Cocktail-Lounge in die Luft sprengt und seinen Autohandel in Flammen aufgehen lässt – die höllische Tabula rasa eines Verzweifelten, der nichts mehr zu verlieren haben will, um vielleicht mit diesem radikalen Bewusstsein seine übermächtigen Feinde vernichten zu können.
Wie in den meisten Werken seines Œuvres taucht Mann auch in „Thief“ tief hinab in die Mentalität und Seelen amerikanischer Gangster, die er als ungemein zerstörerische Figuren zeichnet. Franks Stolz und Selbstbehauptungswille kosten seinem besten Freund Barry (James Belushi) das Leben, zerstören das Leben seiner Frau und bedrohen das seines Kindes, führen zur Vernichtung seines Anwesens und Geschäfts; und sie löschen schließlich einen kompletten Gangsterring aus – eine universelle Verwüstung, an deren Ende Frank an den Leichen seiner Feinde vorbei in die Dunkelheit der Nacht schreitet.
TextRobert Lorenz
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