Filmtipp

Liebende Frauen (1969)

Kurzbeschreibung: Ken Russells Film ist eine stark besetzte, atmosphärisch gelungene Exkursion in die großbürgerlich-künstlerische Boheme im England der Zwanziger – inklusive einer Skandalszene.

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Nackt-Wrestling auf dem Bärenfell, entblößte Genitalien im Lichtschein des Kamins: Ganz wie im antiken Athen berauschen sich Gerald Crich (Oliver Reed) und Rupert Birkin (Alan Bates) an ihrer Virilität. Der schweißtreibende Zweikampf vor flackernden Flammen war damals ein aufregender Skandal – und wäre es vermutlich auch heute noch. Denn allzu viel scheint sich in diesen Dingen selbst fast ein halbes Jahrhundert später nicht getan zu haben. Und wilde Anekdoten ranken sich allein um die Entstehungsgeschichte dieser Szene: Angeblich habe Oliver Reed den wegen der Zensur zögerlichen Regisseur Ken Russell so lange auf den Boden gedrückt, bis der seine Zustimmung zum Dreh der Szene gegeben habe; außerdem hätten Reed und Bates zuvor betrunken einen Penisvergleich vorgenommen. Wie auch immer: „Women in Love“ zeigte damals, am Ende der 1960er Jahre, unverschämt viel nackte Haut.

Nauaufnahme der nackten, zueinander gewandten Oberkörper von Rupert Birkin (gespielt von Alan Bates) und Gerald Crich (gespielt von Oliver Reed) vor dem lodernden Kaminfeuer.

Dass sich die prominenteste Szene des Films um zwei Männer dreht, verdeckt allerdings den Ausgangspunkt der Geschichte: das Leben zweier junger Schwestern: Ursula und Gudrun Brangwen (Jennie Linden und Glenda Jackson – spätere Labour-Abgeordnete im britischen Unterhaus, die für ihre Rolle einen „Oscar“ als beste Hauptdarstellerin erhielt). Auch Linden und Jackson haben Nacktszenen und freuten sich – die eine frischgebackene, die andere werdende Mutter – damals über ihre dafür besonders geeigneten „bosoms“.

Gudrun Brangwen, gespielt von Glenda Jackson, und Ursula Brangwen, gespielt von Jennie Linden, auf einem Friedhof zwischen Grabsteinen.

Women in Love“, die Verfilmung des gleichnamigen Romans von D.H. Lawrence (1885–1930), spielt kurz nach dem Ersten Weltkrieg, zu Beginn der „Roaring Twenties“. Schon das 1920 erschienene Buch erhitzte die Gemüter der Zeitgenossen, Kritiker sahen in den erotischen Bezügen eine skandalöse Schmuddellektüre (bereits Lawrences Vorgängerwerk „The Rainbow“ von 1915 war in Großbritannien verboten worden). Auch in diesem Punkt versuchte die Filmversion also beim Original zu bleiben: mit expliziten Szenen, die Ende der 1960er Jahre – als sich die jüngeren Bevölkerungsteile bereits energisch gegen überkommene Autoritäts- und Moralvorstellungen ihrer Eltern und Großeltern auflehnten – noch immer dazu geeignet waren, entsetzte Blicke penibler Sittenwächter und bigotter Moralapostel auf sich zu ziehen.

Lawrence porträtierte mit den Brangwen-Schwestern zwei Frauen, die mit ihrem Anspruch auf eine autonome Lebensgestaltung mit den traditionellen Geschlechterrollen brechen und damit gegen die Konventionen ihrer Zeit rebellieren. Ken Russells Skandalverfilmung des Skandalromans erkundet im England der Zwanziger inmitten des zeitlosen Spannungsfelds von romantischer Liebe und sexueller Begierde das ewige Mysterium zwischenmenschlicher Zweisamkeit.

Der Film spielt in den englischen Midlands, wo seinerzeit schon seit dem 18. Jahrhundert die Kohleflöze liegen, die aus dem Gebiet die „Black Country“ gemacht haben: die geografische Mitte Englands, den Feuerofen der britischen Industrialisierung, voller verborgener Energiereserven, aber auch schmutziger Luft und massiver Armut – und das schon lange bevor dieses Gebiet in den 1970er Jahren zum Modernisierungsverlierer der Dienstleistungsgesellschaft wurde. So schleichen hier in manchen Szenen monotone Gestalten durch die Straßen der backsteinernen Arbeitersiedlungen zum düsteren Kohlewerk; die einzige helle Farbe inmitten dieser industriellen Finsternis kommt von der offenen Limousine der reichen Eigentümer. In der sitzt Gerald Crich (Reed), Sohn eines Bergbaupatriarchen, ein souveräner Montanmanager in jungen Jahren, dessen bester Freund Rupert Birkin (Bates, der hier keineswegs zufällig D.H. Lawrence sehr ähnlich sieht) für die Schulbehörden arbeitet.

Die Brangwen-Schwestern treffen auf die beiden Freunde, schon bald entstehen nach gemeinsamen Nachmittagen und Abenden zwei Paare. In der Beziehung zwischen Gerald und Gudrun, dem Industriellen und der Künstlerin, prallen zwei ungleiche Welten aufeinander, deren soziale Fremdheit sich durch einen Mangel an emotionaler Zuneigung verschärft. Im Gegensatz zu ihnen entfaltet sich zwischen der Lehrerin Ursula und dem Schul-Bürokraten Rupert wahrhaftige Liebe – beide sind exzentrische Freigeister, die von vorneherein nicht weit auseinanderliegen. Das Verhältnis von Gerald und Gudrun nimmt dagegen zerstörerische Züge an. Im Alpenurlaub malträtiert Gudrun ihren Partner Gerald durch die Bekanntschaft mit dem Dresdner Bildhauer Loerke (Vladek Sheybal) – einem Mann, der ihre Sensibilität für Ästhetik und Kreativität viel besser nachvollzieht, als Gerald es jemals könnte, und der ihr mit seinen inspirierenden Einwürfen einen neuen Horizont eröffnet.

Loerke, gespielt von Vladek Sheybal, und Gudrun Brangwen sitzen vor alpinem Hintergrund an einem Holztisch.

Aber auch die Partnerschaft von Ursula und Rupert wird überschattet, und zwar von Ruperts geistiger und physischer Zuneigung zu seinem Freund Gerald. Den dandyhaften Mann, dem so viel an Selbstoptimierung gelegen ist, treibt plötzlich – und ganz progressiv – die Frage um, ob eine Frau das Liebesbedürfnis eines heterosexuellen Mannes in all seinen Facetten überhaupt alleine erfüllen kann.

Ursula und Rupert liegen im Bett.

So werden bei ihrem Streben nach dem Ideal am Ende alle mit großer Ernüchterung konfrontiert: Die rauschhafte Wirkung von Glücksmomenten voller besinnungsloser Hingabe zueinander wird nur kurze Zeit später verdrängt von konfligierenden Wünschen und Erwartungen, die sie an den jeweils anderen Partner richten. Ihre Suche nach der perfekten Partnerschaft ist aussichtslos und geht für beide Paare letztlich völlig unterschiedlich aus – dazwischen wird viel über Sex, Liebe und Bindung gesprochen und es ereignen sich zahlreiche Szenen von unerwarteter Skurrilität (etwa der theatralische Ausdruckstanz von Eleanor Bron, der dann jäh von Charleston-Einlagen unterbrochen wird; oder Glenda Jacksons ekstatischer Tanz vor einer irritierten Rinderherde).

Beeindruckend ist außerdem die Szenerie, mit der Russell und sein (hierfür „Oscar“-nominierter) Kameramann Billy Williams die materielle Ästhetik der Zwanziger und die mittelenglische Flora einfangen. Auch repräsentieren die vier Protagonisten die modische Ausdrucksfähigkeit der jungen Generation jener Zeit: Bates mit Panamahut und Boheme-Schal, Jackson mit Cloche, Linden im grauen Zweireihermantel und Reed im Notch Lapel Stripe-Jackett.

Gerald und Rupert ruhen lässig im Wohnzimmer.

Women in Love“ trägt starke autobiografische Züge: Autor Lawrence, geboren im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in den East Midlands als Sohn eines Bergarbeiters, lebte eine Zeitlang in Ober­bayern sowie in Italien und mit seiner Affäre mit einer sechs Jahre älteren, verheirateten Frau, mit der er durchbrannte, forderte er die gesellschaftlichen Bestimmungen seiner Zeit heraus.

Für Ken Russell (1927–2011) bedeutete der Film den großen Durchbruch: Freilich heftete er sich damit – und mit folgenden Werken – das Etikett des unverbesserlichen Skandalfilmers und notorischen Provokateurs an; doch verleiht ja gerade so etwas einer Karriere erst Ausstrahlungskraft. Wenige Jahre später inszenierte Russell das abgedrehte „The Who“-Musical „Tommy (1975); und als irgendwann die Studios dem unberechenbaren Filmemacher kein Geld mehr geben wollten, wich Russell auf die Oper aus. Auch war er sich nicht zu schade, Trash-Filme wie „The Lair of the White Worm“ (1988) zu drehen – filmische Tabus gab es da ohnehin schon nicht mehr viele zu brechen.

Text verfasst von: Robert Lorenz