Serientipp

The Fear (2012)

Kurzbeschreibung: Demenz kann jeden treffen – auch einen Gangsterboss. In der britischen Miniserie „The Fear“ spielt ein großartiger Peter Mullan den kriminellen Geschäftsmann Richie Beckett, der trotz Krankheit um seine Macht in Brighton kämpft.

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Eifrig klicken die Objektive der Pressekameras, der Bürgermeister schüttelt seine Hand, eine riesige Scheckattrappe wird gereicht, im Hintergrund steht schon das Gerippe des großen Projekts, das Richie Beckett (Peter Mullan) an der Promenade des englischen Seebads Brighton nun endlich begonnen hat. Doch bald wird er davon nicht mehr viel wissen. Denn Beckett ist krank: Er leidet an Demenz.

Das wird ihm, dem gleichermaßen respektierten wie gefürchteten Mann, natürlich nicht sofort klar. Für einen, der keine Schwäche zeigen darf, ist schließlich schon eine Grippe kein Zustand, den man sich so leicht eingesteht. Aber Beckett driftet unaufhaltsam in die Demenz: Erst hat er Blackouts, in denen er auf offener Straße wildfremde Passanten krankenhausreif prügelt, später sogar einen seiner Söhne zusammenschlägt; dann vergisst er plötzlich, wo er ist, mit wem er spricht, was er eben nocht vorhatte. In seiner Position als Richie Beckett, der alleinige Gangsterboss von Brighton, hat dieser geistige Verfall natürlich unweigerlich drastischere Konsequenzen als in den meisten anderen Fällen.

Wie schon bei den Herrschern des antiken Imperium Romanum beginnt Becketts Regime in dem Moment zu bröckeln, in dem die Führungsleute der zweiten und dritten Reihe sich nicht mehr sicher sein können, ob sie nicht unter der Ägide des ersten Mannes in den Untergang gerissen werden. So entzieht der korrupte Polizeichef die Privilegien, die Beckett einst über das Gesetz stellten, weil der mit seinem schwindenden Machtmonopol nicht mehr den Frieden in der Stadt vebürgen kann. Beckett entgleitet die Kontrolle über sein kleines Reich – der Traum vom Pier-Ausbau rückt in weite Ferne.

Brechreiz-Brutalität in Brighton

Dabei sollte der Pierkomplex doch die Hinterlassenschaft eines Mannes sein, der auf ein turbulentes Leben zurückblicken kann: Exzesse, Beziehungsdramen, Schlägereien, Schießereien – all das also, was man im Management der Unterwelt eben so erlebt. In seinem Büro – der kriminellen Schaltzentrale – das sich in der oberen Etage eines beachtlichen Hotels ausbreitet, steht ein dezent beleuchtetes Modell der geplanten Anlage, die das Vermögen dieses ohnehin reichen Mannes noch weiter mehren soll. Und außerdem gibt es ja noch die beiden Söhne Matty und Cal (Harry Lloyd und Paul Nicholls), die schließlich einmal den Laden übernehmen sollen, den er – mit Bestechung, Mord und Gewalt – in so vielen aufreibenden Jahrzehnten aufgebaut hat. Nun aber steht die Existenz – nicht nur die finanzielle, auch die physische – seiner Familie auf dem Spiel.

Denn noch etwas geht schief: Cal – der weniger klügere von beiden Söhnen – gerät in Schwierigkeiten, als er in einem Loft, den der junge Familienvater für kleine Sex-Affären nutzt, eine grauenvolle Entdeckung macht (eine Szene mit der punktuellen Brechreiz-Brutalität, wie sie unlängst gerne von Serien wie „Dexter“ oder „Hannibal“ zelebriert worden ist).

Dahinter stecken arglistige Albaner, die mit ihren versifften Wohnwagen außerhalb der Stadt auf einem verlassenen Bauernhof ungeduldig darauf warten, in die Domäne der Becketts einzudringen. Das sind außerordentlich bedrohliche Typen, die mit ihren kurzgeschorenen Haaren, Lederjacken und grenzenloser Gewaltbereitschaft sogar den Beckett-Männern Angst einjagen. Sie sind Meister der widerlichsten Methoden, operieren mit Erniedrigung, Erpressung und Einschüchterung. Jedem ist sofort klar: Mit denen ist nicht zu spaßen, und wie zum Beweis liefern sie dann auch gleich die wohl radikalste Interpretation der Redensart „gekommen um zu bleiben“.

Im Konflikt mit dem Albaner-Clan krachen dann britischer Unterweltfuror und die blutige Methodik osteuropäischer Gewaltkultur aufeinander – jedenfalls wird dies in „The Fear“ so inszeniert. Dazu gehören Schusswechsel, Entführungen, Prügeleien, Brandanschläge. Zwischen den britischen und den albanischen Gaunern entbrennt ein blutiger Kleinkrieg um die Macht in Brighton.

Wie so oft in Krisen werden familiäre Bruchstellen und persönliche Abgründe offengelegt und den Betroffenen ein Bekenntnis zum Grad ihrer gegenseitigen Verbundenheit abverlangt. Auch wenn es vordergründig um einen lokalen Verbrecherboss und dessen Herrschaftsgebiet geht: „The Fear“ ist letztlich doch eine – wenn auch außergewöhnliche – Familientragödie.

Richies Frau Jo (Anastasia Hille), die ihre Ehe bis dahin nur noch als Formalität betrachtet hat, kehrt aus Solidarität und Mitleid an die Seite des Mannes zurück, der ihr Leben mehrmals ruiniert hat. Entrüstet treffen die erwachsenen Söhne auf einen Vater, der sie nicht mehr erkennt und in Gesprächen mit ihnen in die Leere starrt; doch dann gibt es auch Momente liebevoller Vater-Sohn-Eintracht, in denen urplötzlich lange erwartete Worte fallen, wenn sich die Härte des Familienpatriarchen in der berührenden Hilflosigkeit eines kranken Mannes verliert („I love you. I’m proud of you.“).

Visualisierte Demenz

„The Fear“ ist zunächst einmal famos besetzt: Peter Mullan, schon lange die glaubwürdige Inkarnation des britischen Raufbolds, spielte bereits in der grandiosen Miniserie „Top of the Lake“ (2013) einen Familienvater und Gangster, der mit seinen eigentümlichen Methoden jenseits der Legalität, durch Angst und Korruption, ein kleines Reich aufgebaut hat, das er mit Händen und Füßen verteidigt. Dort glich er mit seinem Outfit eher einem rabiaten Hippie-Kriminellen; in „The Fear“ kommt er in der Verkleidung des seriösen Geschäftsmannes daher.

Anastasia Hille glänzt als die Frau, die trotz ihrer jahrelangen Entbehrung die Kraft aufbringt, um ihrer Familie beizustehen. Demosthenes Chrysan und Dragos Bucur verkörpern die furchteinflößenden Anführer der albanischen Mafiafamilie, die Brighton mit Mord und Gewalt überziehen, aber letztlich auch nur auf der Suche nach einem spießigen Eigenheim sind. Und Richard E. Grant, der zuletzt mit einigen Gastauftritten in prominenten Serien überrascht hat (u.a. „Girls“, „Downton Abbey“), spielt den Edelarzt Seb Whiting, den mit Jo und Richie Beckett eine gemeinsame Vergangenheit verbindet und der nun aus seinem Berufsidyll gerissen wird, um etwa im Kugelhagel den albanischen Gang-Patriarchen zu verarzten.

Wirklich stark wird die Miniserie aber durch ihre visuelle Darstellung der zunehmenden Demenz. Erst sporadisch, dann immer häufiger flackern Erinnerungen in realistischen Bildern auf, die um den Mord an einer jungen Frau kreisen; eine Angelegenheit, die Richie seelisch zermartert und zeigt, unter welchen Umständen er in seine Position gelangt ist. Die Szenen, in denen er den Kontakt zur Wirklichkeit verliert und in seinen Gegenübern ganz andere Personen, aus seiner Vergangenheit, erkennt, sich später nicht mehr an die Deals und Gewaltakte erinnern kann, die er in geistiger Absenz abschließt und verübt, werden in verschwommenen Konturen gezeigt – die Kamera presst sich dann eng an Mullans Gesicht und zeigt dessen tragischen Protagonisten bei seiner Irrfahrt durch die Realität.

Die Serie ist nicht zuletzt deswegen so gut, weil ihr gelingt, die Zuschauer Symapthie für diesen ramponierten, geistig dahin siechenden Mann entwickeln zu lassen – der doch eigentlich ein rücksichtsloser Gesetzesbrecher, Mörder und Tyrann ist. Und ihr Clou besteht wohl darin, das unangenehme, aber längst unvermeidliche Thema der Demenz in eine schillernde Umgebung zu verfrachten, die aus abgrundtiefen Killern, Waffengewalt und Erotikclubs besteht.

Text verfasst von: Robert Lorenz