Der nackte Kuß (1964)

Filmtipp

Atmosphäre des Films:

Sehenswert: Schonungsloser Independent-Blick in die Nischen der US-amerikanischen Gesellschaft

Kurzbesprechung:

Prostitution und Pädophilie: Die Themen, die Samuel Fuller in „Der Nackte Kuß“ behandelt, waren in den frühen Sechzigern reichlich kontrovers und skandalös. Fuller – ganz in Auteur-Manier Regisseur, Produzent und Autor des Films in hochkreativer Personalunion – überwältigt sein Publikum damit, ohne diese Konfrontation mit viel Aufhebens zu inszenieren. Seine Protagonistin ist Constance Powers als Kelly, die zu Beginn des Films als Sexarbeiterin in eine US-amerikanische Kleinstadt kommt und sich als erfolgreiche Kinderkrankenschwester in einer Klinik für körperlich eingeschränkte Kinder ein neues Leben aufbaut, anstatt im örtlichen Bordell anzuheuern.

Der Nackte Kuß“ ist ein vielseitiger Film, der nicht nur mit seinem noch immer frischen Low-Budget-Charme begeistert, sondern auch gleich eine ganze Menge Sujets behandelt: Prostitution, die von der vermeintlich tugendhaften Mehrheitsgesellschaft abgelehnt, aber zugleich auch nachgefragt wird, solange sie sich in reglementierten Nischen versteckt; die Schwierigkeit, von einem einmal eingeschlagenen Pfad abzuweichen und die Last der Vergangenheit loszuwerden; und natürlich insgesamt die Doppelmoral der (US-amerikanischen) Kleinstadtmittelklasse. Überhaupt begibt sich Fuller, wie schon kurz zuvor in Shock Corridor“ (1963), an die Ränder der Gesellschaft, wo er – damals noch mehr als heute – kaum bekannte Orte wie ein Krankenhaus für invalide Kinder mit Amputationen oder eine psychiatrische Einrichtung exploriert. Veredelt wird „Der Nackte Kuß“ von den äußerst stimmungsvoll ausgeleuchteten Szenerien, mit einem raffinierten Licht- und Schattenspiel, in dem sich die düsteren Geheimnisse und Neigungen der Menschen spiegeln.