Inside Daisy Clover (1965)
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„From rags to riches“, der soziale Aufstieg von ganz unten nach ganz oben, ist das vordergründige Thema dieses Films. Aber in „Inside Daisy Clover“ geht es um viel mehr: um das ausbeuterische Hollywood-System, um das private Unglück in Glanz und Gloria, um die menschlichen Tragödien, die sich hinter den Fassaden der amerikanischen Unterhaltungsindustrie abspielen. Es ist das Jahr 1936: Daisy Clover, ein sechzehnjähriger Teenager (gespielt von der zehn Jahre älteren Natalie Wood), der mit seiner Mutter in einem schäbigen Trailer am Strand von L.A. lebt, wird von einem großen Hollywood-Produzenten entdeckt und auf das einschüchternd große Studiogelände gebracht. Es gibt einen Vertrag, eine große Rolle, die sichere Aussicht auf eine prächtige Karriere.
Als Raymond Swan (Christopher Plummer) das stimmbegabte Mädchen von der Strandpromenade rekrutiert, hat er das Drehbuch für dessen Karriere schon längst geschrieben: „There’s a certain mixture … of orphan and clown that always packs them in. It’s got a dirty face, heart of gold, and it sings. It doesn’t smoke, or bite its fingernails, or cut its hair without permission. It becomes America’s Little Valentine. And it goes to the top of the tree.
“ Plummers Swan, der die allmächtigen Studiomonarchen der Zwanziger und Dreißiger repräsentiert, speist das Mädchen aus einfachen Verhältnissen, das etwas aus sich machen will, sofort in die rüscksichtslose Maschinerie der kalifornischen Traumfabrik ein. Als Erstes soll ihre Mutter (Ruth Gordon), eine nicht präsentable Esoterikerin, von der Bildfläche verschwinden – sie kommt in ein Heim für psychisch Kranke. „Oh, you’re gonna be news. People will wanna know everything about you. They’ll shine bright lights in all your dark corners
“, antizipiert der Hollywood-Mogul, der auf seinen Jungstar stets nur in der dritten Person mit „it“ rekurriert. Als handle es sich um ein unverrückbares Naturphänomen, doziert Swan: „Like most high places, the air is quite good. It gets lonely, but we learn how to deal with that. We learn how to look beyond personal disappointment.
“ Und wie eine Drohung erklärt er: „Fame does have its obligations.
“
Ein Daisy-Clover-Werbefilm gaukelt dem Publikum eine All-American-Biografie vor: der eingewanderte Großvater, der im Ölgeschäft ein Vermögen machte – und wieder verlor –; der bei einem Zugunglück tragisch ums Leben gekommene Vater; schließlich die jüngst verstorbene Mutter, die sich am Sterbebett nichts sehnlicher gewünscht habe, als noch einmal die wundervolle Stimme ihrer talentierten Tochter zu hören; und somit als Quintessenz dieses Schicksalsmärchens das Mädchen mit der Wahnsinnsstimme aus ärmlichen, aber redlichen Verhältnissen, das durch Zufall entdeckt wird, kurzum: eine Botschafterin des American Dream, ein leibhaftiger Beweis für das amerikanische Versprechen auf Glück – ein anbetungswürdiger Star.
Abzüglich dieser Verfälschungen ist „Inside Daisy Clover“ ein bisschen auch die Geschichte von Natalie Wood. Auch sie etablierte sich als Minderjährige, im Grundschulalter, in Hollywood; auch sie kam aus bescheidenen Verhältnissen. Hollywood gestattete sich in unregelmäßigen Abständen eine Katharsis (natürlich nicht, ohne auch daran ordentlich zu verdienen); und „Inside Daisy Clover“ steht ganz in dieser Tradition. Als 1954 Judy Garland in „A Star Is Born“ (1954) eine talentierte Sängerin spielte, die wie Daisy Clover sogleich von den Studioroutinen absorbiert wird, spielte sie zu einem gewissen Teil sich selbst. So, wie Gloria Swanson in Billy Wilders „Sunset Boulevard“ (1980) als gealterte Stummfilmdiva in nicht geringem Maß ihre eigene Vita adaptierte.
In alledem offenbart sich die grenzenlose Manipulationsbereitschaft der Studiobosse und Manager, die ihre Stars und Starlets gnadenlos, wie Skulpturen, formten und veränderten. „It’s the one thing about me they haven’t changed
“, sagt Daisy über ihren Namen. Und auch ihr Liebhaber Wade Lewis heißt eigentlich Lewis Wade – aber eine Umfrage habe ergeben, dass die umgekehrte Variante „sexier“ sei. Die erste Begegnung der Zuschauer mit diesem Wade Lewis ist erwähnenswert: Mit der Kamera und Daisy Clover gelangen wir in einen Raum von Swans größenwahnsinniger Villa – links auf dem Bett liegt in eleganter Abendkleidung und mit ausgestreckten Beinen Robert Redford, so als habe man da schon gewusst, was für ein großer Star er in ein paar Jahren sein würde. Mit einer selbstsadistischen Klarheit seziert Refords Schauspieler die Situation, in der sie, die beiden Stars, sich befinden: „We meet in the castle of lost souls. In the land of the Black Swan. Otherwise known as the Prince of Darkness. Welcome, little captive, to the waterfall of sweet dreams.
“
Natürlich haben die beiden eine Affäre; und wenn Wade in seinem cremefarbenen Rolls-Royce-Cabriolet heranbraust, kann er sicher sein, dass Daisy in ihrem Zorn über die ständigen Öffentlichkeitsverpflichtungen mit ihm eine weitere Alltagsflucht unternimmt. Aber der notorische Troublemaker Wade weiß die Macht des Erfolges hinter sich, die den Studioboss Swan jede noch so schwer erträgliche Allüre erdulden lässt: „I just signed him for three more pictures
“, sagt Swan in leisem Sarkasmus, während er schonungslos Wades Egoismus und Fehlverhalten referiert.
Im Buch, das dem Film zugrunde liegt, ist Wade schwul – eine Tatsache, die es in der hollywood’schen Selbstzensur eigentlich nicht auf die Leinwand geschafft hätte. Aber hier fließt sie still und heimlich über einen Dialog in den Film hinein, zumindest als Bisexualität verkleidet, als Swan die von Wade im Stich gelassene Daisy über Wades Romanzen aufklärt: „Your husband never could resist a charming boy
“ – Männer wie Frauen: „They take him to heart, he takes them to bed.
“ Das war ein Aspekt, der erst langsam in Mainstream-Filme einfloss.
Überhaupt kann man eigentlich nur staunen, dass eines der großen Hollywood-Studios – Warner Bros. –, eines, das den Mythos Hollywood entscheidend mitbegründet hatte, eine solch harsche Kritik an der menschenverachtenden Unterhaltungsindustrie mitmachte. Wir sehen einen Produzenten, für den sein Star – in diesem Fall noch dazu ein minderjähriger Teenager – bloß ein Investment ist, das er notfalls auch buchhalterisch abschreiben kann. Wir hören von der Produzentengattin, dass sie in Wirklichkeit einen Anderen liebt und sich wegen dieser unerwiderten Liebe selbst körperliche Verletzungen zugefügt hat. Wir verfolgen, wie die Stars entgegen ihrer Individualität für einen mutmaßlichen Massengeschmack modelliert und vertraglich nahezu entmündigt werden. Für die landesweiten Werbekampagnen werden Biografien manipuliert und Trugbilder erstellt – Daisys Mutter wird für tot erklärt und in einer Psychiatrie versteckt. Wir beobachten einen Selbstmordversuch, als die Protagonistin des Films ihren Kopf in den Gasofen ihrer Küche legt und das Ventil öffnet, sodass ein schauerliches Gasrauschen zu hören ist. Wir sehen, wie das Starlet für die Medienöffentlichkeit ein falsches Lächeln exerziert, hinter dem sich eine unglückliche Seele verbirgt. Wir erfahren von der Glamour-Hochzeit, die tags darauf heimlich wieder annulliert werden muss. Aus einigen Szenen können wir Sex mit einer Minderjährigen ableiten. Und wir erfahren, dass der selbstsichere Womanizer in Wirklichkeit bisexuell ist und seine homosexuelle Seite hinter der Fassade des Frauenschwarms versteckt. Und all das in einem Film von 1965, zumal in einem Film, der um diese Aspekte, die jeder für sich schon die Handlung eines Films ausfüllen könnten, keinerlei Aufhebens macht, sondern sie einfach nur zeigt.
Die Schauspielleistungen sind superb: Natalie Wood, die sich – glaubwürdig – von der burschikosen Rabaukin in den glamourösen Star verwandelt; Robert Redford, der mit einem aggressiven Zynismus auf den Mechanismen des Systems herumreitet, dessen Privilegien er doch so schamlos ausnutzt und genießt; Ruth Gordon als exzentrische Individualistin, die in rührende Traurigkeit verfällt, als man sie in einem „special place
“, einer Psychiatrie, einzusperren sucht; Katharine Bard als Produzentengattin, bei der sich hinter der rosafarbenen Fassade teurer Kleider, Schmuckstücke und einem ewigen Lächeln ein tief unglückliches Individuum verbirgt; und Christopher Plummer als einer der Prinzen dieses Märchenkönigreichs Hollywood, der grandiose Monologe hält, wie man sie in heutigen Filmen nicht mehr findet. Besonders diabolisch ist sein letzter Satz, als er seinen Star – den Teenager, der nach einem Nervenzusammenbruch zu Hause im Bett liegt – wieder ans Filmset zwingen will, weil dessen Abwesenheit Geld kostet („You don’t cost me money, you make it.
“): „I don’t care what happens to you. There’s more where you came from. I’ll just write you off.
“
Aber das Beste des Films ist das, was man eigentlich nicht sieht, sondern bloß spürt: der kalifornische Sonnenschein über dem neoklassizistischen Swan-Anwesen (stellvertretend für die monumentalen Bauten der Stars des alten Hollywood), in den sich trübe Stille und dumpfe Einsamkeit für all jene mischen, die in diesem klaustrophobischen Soziotop leben.
TextRobert Lorenz
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